Auslaufmodell Autohaus?

Volkswagen leitet das Ende des Autohauses ein. So jedenfalls titelten einige Zeitungen, als der Automobilkonzern unlängst ankündigte, in den Internetvertrieb einsteigen zu wollen. Endverbraucher sollen schon ab April 2020 ihre Neuwagen im Netz ordern können. Das erklärte VW-Vertriebsvorstand Jürgen Stackmann der Presse in Berlin. Ganz ohne die reale Welt soll eine solche Transaktion aber nicht ablaufen. Ein Autohaus in der Umgebung des Bestellers erhält eine Provision für den Verkauf und fungiert danach als Ansprechpartner, zumal dann, wenn es um Garantieleistungen geht. Bis Ende November müssen sich daher 5400 VW-Händler entscheiden, ob sie mit diesen Konditionen einverstanden sind oder lieber Fahrzeuge anderer Marken verkaufen wollen. Sollten die Händler zustimmen, wäre das für den Autosektor ein großer Schritt in Richtung E-Commerce. Und der hätte Folgen für die Automobillogistik. Denn was ist, wenn die Transportkette nicht mehr im Autohaus, sondern vor der Haustür des Kunden endet? Lösung für Schnäppchenjäger Schritte in dieser Richtung gibt es schon länger. Viele OEMs (Original Equipment Manufacturers, die Hersteller) haben bereits mit Internetvertrieb experimentiert (siehe Kasten Seite 25). Hinzu kommen Plattformen wie Autohaus24, MeinAuto.de oder Carneoo, wo sich Online-Shopper schon heute einen Wagen per Mausklick kaufen. Die Seiten kooperieren mit stationären Händlern, sodass die Kunden die normale Herstellergarantie bekommen. Ein Autohaus aufsuchen müssen sie aber nicht. "Wir bieten Neuwagenkäufern auch die Option, eine Logistikdienstleistung zu wählen - dieses Angebot wird im Schnitt von gut zehn Prozent der Neuwagenkäufer genutzt", sagt Sebastian Blens, Sprecher von MeinAuto.de in Köln. Neben der Lieferung an die Haustür könne dieser Service auch die Fahrzeugzulassung beinhalten. "Es gibt viele Nutzer, die das Fahrzeug an die Heimatadresse liefern lassen", bestätigt Nadine Große, Geschäftsführerin der Konkurrenz-Plattform Carneoo in Berlin. Und auch bei Autohaus24 (einer Tochterfirma von Sixt) heißt es, die Käufer nähmen Lieferleistungen zunehmend in Anspruch, anstatt sich ihren Wagen bei einem Händler abzuholen. Der einzige Grund, dass der Anteil der reinen Sofa-Käufer nicht noch höher liegt, dürfte an der Klientel selbst liegen: Wer im Internet ein Fahrzeug bestellt, ist meist überzeugter Schnäppchenjäger. Und dem ist jeder Euro bekanntlich einer zu viel. "Bei uns möchte der Kunde an jeder Ecke sparen und würde seinen Wagen sogar im Ausland abholen, wenn der Nachlass stimmt", räumt ein Plattformbetreiber ein. Volkswagen rechnet übrigens damit, dass sich zwischen 2020 und 2025 rund fünf Prozent der Kunden ihr Fahrzeug im Internet bestellen und dann beim Händler um die Ecke abholen werden; von einer Direktzustellung war auf der Pressekonferenz in Berlin noch nicht die Rede. Kein völliges Neuland für Logistiker "Geht die derzeitige Entwicklung weiter, könnte sich langfristig der reine Internetvertrieb durchsetzen", erwartet Johannes Hödlmayr, CEO des gleichnamigen Logistikdienstleisters. Das österreichische Unternehmen mit Niederlassungen in 16 Ländern betreibt eines der größten europäischen Logistiknetze für Fertigfahrzeuge. Noch sieht der Standard-Logistikprozess so aus: Der Dienstleister transportiert das Fahrzeug vom Werk des Herstellers multimodal zu einem eigenen Verteilzentrum, wo eine Qualitätskontrolle stattfindet und das Fahrzeug noch adaptiert wird. Man lackiert zum Beispiel in Sonderfarben oder montiert Zusatzausstattung. Danach geht es per Lkw zum Autohaus. Im Fall einer Internetbestellung würde dieser Transport zum Kunden umgeroutet. Völliges Neuland wäre das nicht. So liefert Hödlmayr schon Landmaschinen direkt an Kunden; dass ein Transport auf einem Feld endet, gehört zum täglichen Geschäft. Logistiker wie BLG Logistics Group, die auch für Leasinggesellschaften tätig sind, haben ebenfalls schon Endkundenkontakt. Hier fahren Mitarbeiter, Jockeys genannt, die neuen Dienstwagen direkt zum jeweiligen Firmenparkplatz. Dass das Fahrzeug dann schon einige Kilometer auf dem Tacho hat, spielt für die Kunden keine Rolle. "Internetkäufer denken eher pragmatisch und könnten das auch akzeptieren", meint Stefan Nousch, Key Account Manager bei BLG in Bremen. Angenommen jedoch, die Neuwagenkäufer bestehen auf der Null auf dem Tacho, müssten die Logistiker vermutlich in neue Fahrzeuge investieren. "Mit einem 18-Meter-Lkw können Sie nicht in ein Ballungszentrum fahren", gibt Hödlmayr zu bedenken. Dafür bräuchte es eher einen Einzeltransporter, ähnlich wie ein Abschleppfahrzeug. Doch das sei machbar. Experte Nousch sieht den Knackpunkt weniger beim fahrenden Material als beim Fahrer. "Er muss zum Beispiel in der Lage sein, dem Kunden zu erklären, wie das Navi funktioniert." Denn im E-Commerce wird der Fahrer zum verlängerten Arm des Herstellers und muss vieles übernehmen, was heute der Verkäufer im Autohaus tut. Er übergibt nicht mehr nur ein Produkt, sondern schafft - optimalerweise - für den Kunden ein positives Erlebnis. Damit dieser Auftritt stimmig ist, müsste das Lieferfahrzeug im Marken-Look des Herstellers gehalten sein. Auch kleine Showeffekte wie ein zeremonielles Enthüllen des Fahrzeugs sind denkbar. Wer Autologistik auf der letzten Meile betreiben muss, braucht also nicht nur (Deutsch sprechende) Fahrer, sondern echte Markenbotschafter. Pionier beim Thema Haustürlieferung ist Tesla. Seit dem Sommer transportiert der E-Auto-Hersteller ein bestelltes Fahrzeug auf Wunsch von der Fabrik zum Endkunden. Zum Einsatz kommen meist größere, geschlossene Autotransporter lokaler Dienstleister. Den Videos nach zu urteilen, die von den stolzen Besitzern ins Internet gestellt wurden, läuft dieser Prozess wie folgt ab: Der Wagen wird abgeladen, der Kunde muss den Empfang quittieren, der Fahrer erklärt kurz die Funktion des Schlüssels - fertig. Würden die Automobillogistiker auf die letzte Meile einbiegen, stünden sie freilich vor den gleichen Herausforderungen wie KEP-Dienste: Was ist, wenn der Kunde nicht angetroffen wird oder ein Fahrzeug retournieren will? Wie lässt sich das Lieferfenster treffen, wenn in der City Dauerstau herrscht? Und kann der Verkehr überhaupt noch weitere Transporte vertragen? 2017 wurden laut Kraftfahrtbundesamt 1,2 Millionen Fahrzeuge von privaten Haltern neu zugelassen. Angenommen, jeder Zehnte würde sich seinen neuen Wagen liefern lassen, kämen 120.000 Transporte zusätzlich auf die Straße. Stadtväter könnten angesichts dieser Zahlen Pkw-Transporte einschränken oder in Ballungsgebieten sogar untersagen. Dann müsste sich der Kunde sein Fahrzeug doch im Autohaus oder einem Showroom abholen. Strich drunter: Der Internetvertrieb von Pkw dürfte in zwei bis drei Jahren richtig in Schwung kommen. Dann wird sich zwar nicht jeder Kunde für eine - mit Zusatzkosten verbundene - Haustürlieferung entscheiden, doch mit einer gewissen Nachfrage ist zu rechnen. Logistikdienstleister, die diesen Markt anpeilen, werden umdenken müssen. Statt im Unternehmensgeschäft (B2B) sind sie dann zusätzlich im Endkundengeschäft (B2C) tätig, mit all seinen Tücken. BLG-Manager Nousch hält einen Einstieg für machbar. "Man müsste das Berufsbild des Fahrers anpassen und neue Qualifikationen erarbeiten." Branchenkenner Hödlmayr sieht vor allem noch Hürden im rechtlichen Bereich. Darf der Fahrer den Wagen überhaupt dem Kunden übergeben? Wie sieht es mit der Gewährleistung aus? An wen wendet sich der Kunde, wenn er bei der Übergabe Mängel entdeckt? Sollten diese Fragen geklärt sein, kann sich aber auch Hödlmayr gut vorstellen, auf der letzten Meile Logistikleistungen zu erbringen. "Warum nicht? Wir haben 64 Jahre lang immer auf den Kunden gehört!" Mehr zum Thema im Dossier Automobillogistik www.verkehrsrundschau.de/dossiers Praxislösung "Die Standards aus dem E-Commerce erfüllen" Im Internet bestellte Fahrzeuge ausliefern - das ist für den Kfz-Dienstleister DAD Deutscher Auto Dienst, Ahrensburg, Alltag. So übernimmt das Unternehmen zum Beispiel für die Plattform MeinAuto.de die nötigen Transporte."Wir erwarten im Online-Geschäft einen kontinuierlichen Anstieg", sagt Mirko Wittschen, Bereichsleiter Operations beim DAD. Allerdings sind die Ansprüche in diesem Segment wesentlich höher als im reinen Transportgeschäft: Die Endkunden erwarten hohe Termintreue, Flexibilität bei Zeit und Ort der Lieferung sowie eine technische Einweisung in das Fahrzeug. Außerdem muss der Dienstleister das gelieferte Fahrzeug zulassen, waschen, tanken und gegebenenfalls ein Altfahrzeug mitnehmen."Die Kundenansprüche steigen weiter", ergänzt Wittschen. Alles, was beim bekannten Einkauf im Netz üblich sei, werde auch beim Autokauf erwartet, zum Beispiel die Nachverfolgung der Lieferung (Tracking) und eine einfache Rückgabe. Hinzu kommen die üblichen Tücken des E-Commerce: Autobesteller wollen zum Beispiel den Lieferort und die Lieferzeit spontan verschieben."Außerdem kann es vorkommen, dass die Kunden ihre Erfahrungen mit dem Kaufprozess auf den Transportdienstleister projizieren und der dann den Unmut des Kunden abbekommt", so Wittschen. cg Praxislösung Wenn im Amazon-Karton ein Auto steckt Volkswagen ist mit seinem geplanten Internetvertrieb keineswegs ein Pionier. Seit Jahren starten Hersteller immer wieder zaghafte Versuche in diese Richtung. Mercedes etwa hat schon 2013 einen Online-Shop für vorkonfigurierte Neuwagen eröffnet, BMW wagte erste Gehversuche in diesem Bereich mit seinem Stromer i3. Letztes Jahr brachte Opel ein Sondermodell seines Kleinwagens Adam heraus, das im Rahmen der Sendung "Germany's Next Top Model" vermarktet wurde und über Amazon bestellbar war. Aktionen dieser Art sind in der Regel aber nur von kurzer Dauer, weil die Händler des jeweiligen Herstellers schnell ihren Protest anmelden und den Direktvertrieb stoppen.Selbstverständlich ist der Internetvertrieb bislang nur beim Hersteller Tesla. Hier kann der Kunde das Fahrzeug so kaufen, wie er auch ein Buch oder eine CD bestellt: Ein Klick auf "Bestellen" und eine Anzahlung von 4000 Euro reichen. Ist das Auto dann produziert (was freilich etwas dauern kann) liefert es Tesla fertig zugelassen zum Kunden.Die bislang spektakulärste Aktion in Sachen E-Commerce hat Nissan gestartet. Die Japaner boten vor vier Jahren ihren Kleinwagen Versa Note für kurze Zeit beim Internetkaufhaus Amazon an. Einige der Fahrzeuge wurden mit einem Truck ausgeliefert, auf dessen Ladefläche sich ein überdimensionaler Amazon-Karton befand. Der Nachbar eines der Käufer machte ein Foto von der ungewöhnlichen Zustellung und stellte es ins Internet - wo es sofort tausendfach angeklickt wurde. cg

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