"Als Dienstleister fühlt man sich niemals sicher"

Gereizt habe ihn das Transportgeschäft nie ausschließlich, räumt Michael Jackl unumwunden ein, der seit über 28 Jahren die Geschäfte von Reichhart Logistik in Gilching führt - zunächst mit dem Firmengründer Horst Reichhart und später mit dessen Sohn Alexander. Was ihn letztlich doch bewogen hat, nach seinem Marketing- und Verkehrswissenschaftsstudium in dem damaligen Teil- und Komplettladungsunternehmen anzufangen? "Das war das absolute Vertrauen, das mir Horst Reichhart sofort geschenkt hat", schwärmt Jackl. "Ich hatte als Assistent der Geschäftsführung von Anfang absolute gestalterische Freiheit - gleich nach Abschluss meines Studiums." Ein Vertrauen, das so weit ging, dass sich Reichhart gerade mal zwei Jahre nach Jackls Einstieg in 1990 aus der aktiven Unternehmensführung zurückzog und seinem einstigen Assistenten das Steuerrad alleine überließ. 60 Mitarbeiter zählte da das Unternehmen. Heute sind es knapp 1000 Beschäftigte. "Damals stand unser Transportunternehmen strategisch am Scheideweg", erinnert sich Jackl. "Wir waren für den Wettbewerb im europäischen Binnenmarkt zu klein. Für die Nische waren wir andererseits zu groß", schildert er seine Überlegungen bei der Positionierung des Unternehmens. Fest stand für ihn nur, Reichhart sollte mehr sein als eine Spedition. "Denn Spedition fängt Sp an - genauso wie Spitzbub", formuliert er es augenzwinkernd. Ziel war nie das Massengeschäft "Unser Ziel war immer die Kontraktlogistik, nie das Massengeschäft. Wir wollten lieber Kunden in spezifischen Branchen individuell und intensiv betreuen", begründet Jackl seinen Strategieschwenk. Eine Neuausrichtung, mit der er den Nerv der Zeit traf. BMW Group, RUAG Aerostructures, Eberspächer, Stahlgruber - um nur wenige Namen zu nennen - sie alle zählen heute zu den Auftraggebern des Unternehmens. Schritt für Schritt übernahm der vormalige Transportdienstleister für seine Kunden immer mehr logistische Zusatzleistungen - zunächst Verpackungsaufgaben, Warehousing, später Just-in-time-Verkehre, Just-in-sequence-Belieferung bis hin zu innerbetrieblichen Werksverkehren. Mittlerweile sitzt die Hälfte der Reichhart-Mitarbeiter auf dem Werksgelände der Kunden und wickelt für diese, quasi als verlängerte Versandabteilung, den Versand der Waren ab. Und für die BMW Group liefert Reichhart Logistik heute sogar die Abgasanlagen für den 3er- BMW und führt in Pliening ein Sequenzcenter für Sitzbezüge und -mechanik einschließlich Montage, beschreibt Jackl die Entwicklung, der seit 2000 mit Alexander Reichhart, dem Sohn des Firmengründers die Geschicke des Unternehmens lenkt (siehe Kasten Seite 20). Am Transportgeschäft hielt Jackl trotz seiner Logistik-Leidenschaft immer fest - wenngleich nicht immer in Eigenregie. So setzte schon Firmengründer Horst Reichhart sehr früh Lkw-Fahrer als Frachtführer ein, die er als atypische stille Gesellschafter an der Reichhart KG beteiligte. Diese erwarben mit eigenen Mitteln eigene Lkw und brachten diese als Einlage in das Firmeneigentum ein. Im Gegenzug verpflichtete sich Reichhart Logistik, ihnen angemessene Aufträge zu vermitteln. "Unser Leistungspartner-Modell war immer sauber", betont Jackl im Rückblick. "Das hatte nichts mit Scheinselbstständigkeit zu tun." Enormer Produktivitätsdruck 2004 gab das Unternehmen das Modell trotzdem auf - mangels nachrückender Leistungspartner und investierte wieder in eigene Fahrzeuge. 70 Lkw umfasst der Eigenfuhrpark heute. Sitz der Fuhrpark-Gesellschaft "Reichhart just in time" ist Gilching; die Zweigniederlassung sitzt in Pilsen/Tschechien - unter Leitung von Georg Berberich, Geschäftsführer des vormaligen Leistungspartners Lobeko, an dem sich Reichhart Logistik in 2009 beteiligt hat. Seit zweieinhalb Jahren nimmt die Transportsparte von Reichhart auch am Lang-Lkw-Feldversuch teil. Insgesamt drei jeweils 25 Meter lange Fahrzeuge fahren zwei Mal die Woche Flugzeugteile aus dem bayerischen Oberpfaffenhofen nach Hamburg. "Das Transportgeschäft ist für uns also nach wie vor wichtig", betonen beide Geschäftsführer. Der Produktivitätsdruck sei aber enorm. "Für Verlader darf der Transport einfach nichts kosten." Wie bei Reichhart trotzdem etwas hängen bleibt? "Dreh- und Angelpunkt ist die Auslastungsoptimierung. Jedes Quäntchen, das man da mehr rausholt, bringt etwas", unterstreicht Jackl, der immer ganz genau wissen will, was unterm Strich im Geschäft hängen bleibt. "Stetige Erfolgskontrolle ist gerade im Transportgeschäft das A und O." Mittlerweile optimiert Reichhart auch für Auftraggeber die Transporte. "Als Single Forwarder agieren wir für diese Kunden wie ein 4PL, bündeln ihr gesamtes Transportportfolio und sind ihr einziger Ansprechpartner. "Unsere Auftraggeber sparen sich so Kosten ein und wir verdienen an ihrer Kostenoptimierung", erklärt Jackl das Geschäftsmodell. Chefeinkäufer erfolgreich überzeugen "Für einen Kunden haben wir im ersten Jahr 16,5 Prozent Ersparnis erzielt, ohne einen einzigen Preis anzufassen. Bei jährlich vier Millionen Euro Frachtumsatz waren das für diesen 660.000 Euro Kosteneinsparung", erzählt der Geschäftsführer stolz. Reichhart hatte von diesem Auftraggeber die gesamten Teilladungs- und Stückgut-Rundläufe im Werkverkehr übernommen und komplett neu für diesen organisiert. Größter Einspar-Hebel sei die Leergut-Bündelung gewesen, die zuvor nicht erfolgt sei. "Das funktioniert aber nur, wenn ein Auftraggeber seinem Dienstleister vertraut. Denn er gibt ihm ja etwas von seiner Benchmark-Fähigkeit ab." Chefeinkäufer von solchen Konzepten zu überzeugen sei aber nicht immer leicht - gerade im Zeitalter elektronischer Einkaufsplattformen. "Manchmal ist das durchaus ein Kampf", räumt Jackl ein. Viele würden lieber häufiger ausschreiben, weil sie sich so größere Kostenvorteile im Einkauf versprechen. "Im Grunde verschenken sie damit aber unnötig Geld", glaubt er. Zielführender für beide Seiten sei es, wenn sich ein Dienstleister zum strategischen Partner seines Auftraggebers entwickeln könne. "Das geht aber nur über Vertrauen. Dann kann man Dinge miteinander umsetzen, die wirklich Kosten einsparen helfen. Das sind dann die hohen Weihen in der Logistik." Steigender Druck durch IG Metall Allerdings werden auch in der Kontraktlogistik die Anforderungen für Dienstleister höher - nicht zuletzt wegen neuer gesetzlicher Hürden und dem steigenden Druck der IG Metall. "Die neuen Regelungen zu Werksvertrag und Leiharbeit sind aus Sicht der Kontraktlogistik-Dienstleister nicht unproblematisch", bestätigt Jackl. Dies betreffe aber ausschließlich das sehr niedrige Lohnsegment, in dem sein Unternehmen sowieso nicht tätig sei. "Wir bezahlen unsere Mitarbeiter fair." Viele davon seien schon seit über 20 Jahren für einen Auftraggeber tätig und würden dadurch die Prozesse perfekt beherrschen. "Wettbewerbsvorteile durch niedrigere Entgelte haben wir also nicht nötig", betont er. Ein Auftraggeber habe sowieso nur kurzfristig etwas davon, wenn er seinen Dienstleister ausschließlich als verlängerte Werkbank sehe. Dass den beiden Geschäftsführern und ihrem Team noch lange nicht die Ideen ausgehen, zeigt die Softwarefirma Reichhart Digital Logistics, die der Dienstleister Anfang 2014 gegründet hat, um sich für das Thema Industrie 4.0 zu rüsten: "Ein Logistiker muss künftig in der Lage sein, alle seine Prozesse standardmäßig zu digitalisieren. Diese Kompetenz wollen wir ganz bewusst in unserem Unternehmen haben, um da nicht von anderen Spezialisten abhängig zu sein", begründet Jackl die Neugründung. Mit "Motus" hat Reichhart Digital Logistics sogar eine eigene Softwarelösung entwickelt, die innerbetriebliche Versorgungsprozesse in der Werkslogistik und Sequenzierung steuert. "Motus kann logistische Prozesse in Echtzeit abbilden, selbstständig Nachschub ordern und so den gesamten Warenfluss lenken", erklärt Jackl. "Jedes Teil, das in der Fabrik intern befördert werden muss, ist so informationstechnisch komplett nachvollziehbar." Dass Reichhart Logistik mit diesen Neuerungen offenbar richtig liegt, zeigt die Nachfrage. "Wir erhalten unheimlich viele Ausschreibungen mit Outsourcing-Themen. Bei zahlreichen OEM sind wir auf den großen Ausschreibungsplattformen dabei", erzählt Jackl. Der Trend zum Outsourcing sei ungebrochen hoch - dem Gegenwind der Gewerkschaft IG Metall zum Trotz. Selbst vormalige strategische Kernkompetenzen würden Verlader zunehmend fremdvergeben. Konzern-Allüren hemmen nur "Zehn Prozent Umsatzwachstum und damit ein vier Mal so hohes Wachstum wie im Branchenschnitt" sind laut Geschäftsführer Alexander Reichhart in diesem Jahr also allemal drin. Zu schnell wachsen wolle das Unternehmen aber auf keinen Fall, betont er. Zukäufe seien deshalb nie Thema gewesen. "Wir sind ein Familienunternehmen aus Leidenschaft und wollen die Wendigkeit eines Mittelständlers behalten", betont Reichhart. "Denn wenn man zu schnell wächst, muss man aufpassen, dass man keine Konzern-Allüren bekommt. Dann entstehen Bürokratismen und die hemmen nur", ergänzt Jackl. Stattdessen fokussieren sich die beiden Geschäftsführer, deren Aufgaben im Übrigen strikt geteilt sind, nun auf die internen Strukturen von Reichhart Logistik. "Unsere vielen dezentralen Standorte am Sitz unserer Kunden sind Stärke und Schwäche unseres Unternehmens zugleich", räumt Jackl ein. "Bei uns ist es dadurch vielleicht etwas schwieriger, Mitarbeitern einen Bezug zum Unternehmen und ein Wir-Gefühl zu vermitteln". Aber auch daran arbeitet die Geschäftsführung und setzt da an vielen Hebeln an. Standorte werden nun regelmäßig besucht und die Bedürfnisse der Mitarbeiter gehört: "Reichhart hört zu". Zusätzlich findet alljährlich ein internes Qualitäts-Benchmarking an allen Standorten statt - mit entsprechender Auszeichnung. Jackl: "Das stärkt das Wir-Gefühl unserer Mitarbeiter und gleichzeitig optimieren wir weiter unsere Qualität". Im Blick: 100 Millionen Euro Umsatz Mit der Kompetenzcenterstruktur, bestehend aus Warehousing, Sequenzierung, Werkslogistik, Produktions-Support, Transportlogistik und Digital Logistics, die Reichhart vor drei Jahren geschaffen hat, bearbeiten zudem spezialisierte Projektmanager unternehmensübergreifend Ausschreibungen in dem jeweiligen Fachbereich - von der Konzeption, Kalkulation bis hin zur Steuerung der Anlaufphase. Von alledem verspricht sich Jackl nochmals einen deutlichen Umsatz-Wachstumsschub. "100 Millionen Euro im kommenden Jahr, wenn wir 50-jähriges Bestehen feiern, wären ein Traum", sagt er und lacht. "Als Dienstleister fühlt man sich zwar niemals sicher", sagt er. "Mit unserem Unternehmen haben wir aber dann eine Größenordnung erreicht, mit der auch ich mich nicht mehr unsicher fühle." Mehr zum Thema im Dossier Unternehmensführung www.verkehrsrundschau.de/dossiers Daten + Fakten Reichhart Logistik Der Logistikdienstleister Reichhart Logistik mit Hauptsitz in Gilching bei München wurde 1967 von Horst Reichhart gegründet. Im vergangenen Jahr erwirtschaftete das Unternehmen mit knapp 1000 Mitarbeitern einen Umsatz von 76 Millionen Euro. 2003, 2005, 2011 und 2014 zählte Reichhart Logistik zu den 50 wachstumsstärksten inhabergeführten Mittelständlern in Bayern und erhielt dafür vom Freistaat die Auszeichnung Best 50.Der Logistikdienstleister bietet verschiedene Supply-Chain-Lösungen an. Neben Transportdienstleistungen gehören Kontraktlogistik und Digital Logistics zum Portfolio des Unternehmens. eh

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