Berlin. Die Hoffnung des Bundes, mit der neuen Verhältnismäßigkeitsklausel im Bundes-Immissionsschutzgesetz (BImSchG) weitere Diesel-Fahrverbote verhindern zu können, scheint sich zunächst zu zerschlagen. Wie aus der vergangene Woche veröffentlichten schriftlichen Urteilsbegründung des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg zum Fahrverbotsurteil für Reutlingen hervorgeht, sei die Klausel entweder überflüssig, weil Richter ohnehin die Verhältnismäßigkeit abwägen müssten, oder – was die Unterlagen des Gesetzgebungsverfahrens vermuten ließen – europarechtswidrig motiviert. Die im März von Bundestag und Bundesrat gebilligte Änderung sieht vor, dass Diesel-Fahrverbote wegen überhöhter Stickstoffdioxid-Luftbelastung „in der Regel“ nur in Gebieten in Betracht kommen, in denen der Wert von 50 Mikrogramm/m3 im Jahresmittel überschritten worden ist. Der vom EU-Recht vorgegebene Grenzwert beträgt 40 Mikrogramm/m3.
Falls der Gesetzgeber beabsichtigt habe, so die Richter, „dass bereits bei Erreichung von Jahresmittelgrenzwerten bis einschließlich 50 Mikrogramm/m3 regelmäßig Fahrverbote aus dem Spektrum möglicher Maßnahmen ausgeblendet werden und sie nur bei zusätzlichen atypischen Umständen ermöglicht werden sollten, läge hierin ein klarer Verstoß gegen den Vorrang des Unionsrechts“. Eine Vorschrift, die Fahrverbote im Regelfall erst ab einer Überschreitung von 50 Mikrogramm/m3 zulässt, stelle „einen klaren Verstoß gegen die unionsrechtliche Ergebnisverpflichtung dar, Grenzwertüberschreitungen möglichst kurz zu halten, weil sie es … ermöglicht und sogar im Regelfall verlangt, massive Überschreitungen des Grenzwerts um bis zu 25 Prozent zu tolerieren.“ Ähnlich hatte sich bereits das Verwaltungsgericht Berlin im vergangenen Herbst geäußert.
Landesverkehrsministerium kündigt Revision an
Mit dem Verwaltungsgerichtshof schließt sich nun erstmals ein Gericht zweiter Instanz dieser Interpretation an. Das Landesverkehrsministerium in Stuttgart kündigte noch am Mittwoch an, Revision beim Bundesverwaltungsgericht in Leipzig zu beantragen. „Wir wollen rechtliche Klarheit“, ließ sich Amtschef Uwe Lahl zitieren. „Das neue Immissionsschutzrecht des Bundes muss aus unserer Sicht höchstrichterlich geprüft werden.“ (roe)