(Zu) Kurze Leitung

Hoch konzentriert hält Oliver Rabsch seinen Lkw trotz der ausgeprägten Spurrillen auf der A 5 mittig unter dem Fahrdraht. Ein weißes Lämpchen im Armaturenbrett seines Hybrid-Scania signalisiert, dass er unter der Oberleitung fährt. "Wenn das grüne Signal kommt, kann ich den Pantografen, also den Stromabnehmer, hochfahren", erklärt der Fahrer von Meyer Logistik. Rabsch ist einer von drei Berufskraftfahrern bei Meyer, der am Feldtest beteiligt ist. "Es ist ziemlich schwierig, den Lkw auf Spur zu halten", beschreibt Rabsch. "Fahre ich nicht zentriert, kommt erst eine orange Warnlampe, dann fährt der Stromabnehmer innerhalb von eineinhalb Sekunden herunter - und ich muss erneut andocken." Leider sucht sich der Lkw die richtige Linie nicht selbst, denn der verbaute Spurbindungsassistent ist für solche Anwendungen noch nicht programmiert. Fährt Rabsch zu nahe auf einen Vordermann auf oder setzt den Blinker zum Überholen, fährt der Stromabnehmer ruckzuck nach unten. Je weniger der Lkw unter Oberleitung fährt, desto weniger laden auch die Akkus. "Aktuell schaffen wir mit der Ladung einer Teilstrecke rund zehn Kilometer an elektrischer Reichweite", erklärt Rabsch. Der Meyer-Fahrer hat das kürzlich gemessen, als er mit komplett leerem Akku an die Oberleitung angedockt hat: "Bis zum Ende der Teststrecke zeigte die Ladekontrolle 15 Prozent. Ich müsste also rund 40 Kilometer unter Oberleitung fahren, bis mein Akku komplett voll wäre." So ganz genau könne man das aber nicht sagen, weil durch das Rekuperieren beim Bremsen elektrische Energie erzeugt wird und auch die Batterieauslegung eine Rolle spielen würde. Alternativ kann Rabsch den Akku über den Dieselmotor laden. "Das hat aber zur Folge, dass mein Kraftstoffverbrauch deutlich nach oben geht. Das machen wir also nur, wenn wir wissen, dass wir beim Kunden nur elektrisch, also leise und emissionsfrei anliefern müssen ..." Kein Laden an der Steckdose möglich Im Gegensatz zum normalen Hybrid-Scania hat der Oberleitungs-Lkw keine Plug-in-Funktion. Rabsch kann den Akku also nicht schon über Nacht auf dem Speditionshof voll laden. Immerhin speist sein roter Feldtest-Lkw beim Bremsen und Ausrollen Energie zurück und spart auch in der Stadt durch eine Start-Stopp-Funktion ein paar Zehntel Liter Diesel. Der Fahrer von Meyer Logistik ist mit maximal 36 Tonnen auf Tour. Große Unterschiede zu einem konventionellen Diesellaster gäbe es seiner Aussage nach nicht. "Man ist nur viel leiser unterwegs, wenn der Verbrenner unter dem Fahrdraht ausgeht und nur der E-Antrieb für Vortrieb sorgt." Ein wenig lächerlich findet Rabsch, dass der Strom nur von 8.00 bis 16.00 Uhr angeschaltet ist. Einen vernünftigen Grund, warum das so ist, wisse er nicht Probleme mit dem Auto gäbe es bei Meyer Logistik bislang nicht, er habe aber gehört, dass der andere O-Truck immer mal wieder stehen würde. Wenn etwas passiert, löst Rabsch eine Datenübertragung ins Scania Headquarter nach Södertälje aus. "Die können den Fehler analysieren und greifen online aufs Auto zu - und beseitigen das Problem." Überholen? Kein Problem Der Redakteur will kurz vor Ende der Fahrt natürlich wissen, wie das Überholen klappt. Ganz einfach", meint Oliver Rabsch. "Sobald ich den Blinker setze, geht der Pantograf nach unten, der Dieselmotor springt sofort an, und ich kann die Spur wechseln. Nach Beendigung des Überholvorgangs kann ich den Stromabnehmer wieder nach oben fahren, der Dieselmotor geht in Ruhestellung, und der Lkw fährt wieder rein elektrisch." Und wie ist seine Einschätzung zum Thema Oberleitungs-Lkw? "Da differenziere ich: Die Hybrid-Technik ist eine wunderbare Sache, die gut funktioniert. Ob sich das Oberleitungs-Thema durchsetzt, muss man sehen. Fünf Kilometer Fahrdraht in jede Richtung sind aus meiner Sicht zu wenig, um das System ordentlich testen zu können. Sinnvoll wäre es, wenn die Stromleitung so lang wäre, dass man die Akkus zu 100 Prozent aufladen kann. Und die sollten dann auch 50 Kilometer halten. Wie es aussieht, könnte Rabschs Wunsch bald in Erfüllung gehen, denn Scania arbeitet bereits an der Weiterentwicklung der inzwischen zweiten O-Truck-Generation (siehe dazu auch unsere Interviews mit Scania und Siemens unter www.verkehrsrundschau.de/plus/oberleitung). Die soll nicht nur batterieelektrisch weiter fahren können, sondern auch die Ausrichtung unter dem Fahrdraht automatisieren. Ein Problem, das sich nicht so schnell lösen lassen wird, ist die mangelnde Höhe unter dem Fahrdraht. Speziell Sondertransporte haben das Problem, dass sie bei mehr als vier Metern Höhe nicht auf der Oberleitungs-Spur fahren können. Und typisch Deutschland dürfte künftig auch keine Oberleitung auf zweispurigen Autobahnen gebaut werden, weil dann dort kein Rettungshubschrauber mehr landen kann ... Das hätte zumindest den Vorteil, dass der dreispurige Ausbau vorangehen würde, wenn die Oberleitung tatsächlich kommt. Aktuell loben vor allem die am Feldtest beteiligten Unternehmen und Organisationen den Versuch. Außerhalb dieses Personenkreises ist die Begeisterung verhalten - um nicht zu sagen die Ablehnung ziemlich groß. Weitere Interviews zum Thema finden Sie unter www.verkehrsrundschau.de/plus/oberleitung >> Podcast: Oberleitungs-Lkw - macht das Sinn oder kann das weg?

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