Wie löchriger Käse

Wenn in Brüssel eine Einigung verkündet wird, heißt das noch lange nicht, dass diese Beschlüsse dann europaweit umgesetzt werden. Das wird deutlich an den Reaktionen auf den Kompromiss, den die Verhandlungsführer des Europäischen Rates (das Gremium der Staats- und Regierungschefs der Europäischen Union) und des Europäischen Parlaments erzielt haben. Die Vertreter der beiden Institutionen saßen Mitte Juni zusammen, um europaweite Vorgaben zu machen, wie künftig die Straßenbenutzungsgebühren in der EU erhoben werden sollen. Eines war schon vorab klar und wurde dann auch so beschlossen: Der Verringerung der CO2-Emissionen und damit der CO2-Ausstoß der Fahrzeuge soll bei der Berechnung der Lkw-Maut eine deutlich höhere Bedeutung zuteilwerden. Damit soll der Straßenverkehr einen wichtigen Beitrag zur Einhaltung der Ziele aus dem "Green Deal" leisten, der vorsieht, dass die EU spätestens 2050 klimaneutral ist. Die Einigung sieht unter anderem vor, dass die zeitabhängigen Vignetten für schwere Nutzfahrzeuge auf den Haupttransitrouten der Vergangenheit angehören. Stattdessen sollen an ihre Stelle entfernungsabhängige Gebühren treten, wobei Ausnahmen in begründeten Fällen erlaubt sind. Damit einher geht, dass sich die Gebühr nicht mehr an den Euro-Klassen der Fahrzeuge orientieren soll, sondern an deren CO2-Ausstoß. Aber der gefundene Kompromiss lässt Schlupflöcher: So soll es den Mitgliedstaaten überlassen werden, wie sie die Maut- und Benutzungsgebühren für verschiedene Fahrzeugtypen anwenden. Jeder Staat kann also selbst entscheiden, ob er unterschiedlich hohe Gebühren für schwere Nutzfahrzeuge, für leichte Nutzfahrzeuge, für Busse oder Kleinbusse, für Pkw etc. ansetzt. Die Staaten können sogar auch festlegen, bestimmte Fahrzeugkategorien ganz aus der Bemautung zu nehmen. Umstellung im Zeitlupentempo Fest steht: Schwere Lkw werden künftig auf Grundlage der CO2-Emissionen bemautet. Diese Kategorie wird als Erstes umgestellt. Die Mitgliedstaaten haben - sofern sie bereits ein entfernungsbasiertes System einsetzen - für die Umsetzung der Bestimmungen zwei Jahre Zeit, nachdem die Richtlinie in Kraft getreten ist. Wird derzeit eine Vignette zeitbasiert erhoben, bleiben den Staaten sogar acht Jahre für den Wechsel. Vor allem mit Blick auf die Brennerautobahn ermöglicht der Kompromiss auf stark überlasteten Straßen einen Aufschlag in Höhe von bis zu 50 Prozent. Allerdings müssen dazu alle betroffenen Mitgliedstaaten zustimmen (siehe Kasten). Die Europäische Kommission begrüßte die Einigung. Sie sieht die auf der CO2-Emissisonen basierende Maut für schwere Lkw als eine wichtige Säule zur Erreichung der Klimaneutralität. "Neben Emissionsnormen, Digitalisierung und alternativen Kraftstoffen wird uns die Straßenbenutzungsgebühr helfen, die verkehrsbedingten Emissionen zu reduzieren", sagte EU-Verkehrskommissarin Adina Valean. Doch hat die Einigung auch Kritik nach sich gezogen. Deutliche Worte fand Markus Ferber, verkehrspolitischer Sprecher der CSU im Europäischen Parlament: "Die Einigung zur Eurovignette ist von so vielen Ausnahmen durchlöchert, dass ein Schweizer Käse neidisch wird", machte er keinen Hehl aus seiner Unzufriedenheit. Er kritisierte die große Zahl an Ausnahmen, beispielsweise für Länder mit Maut-Konzessionsverträgen. "Deshalb werden die neuen Regelungen in erster Linie Deutschland, Österreich, die Niederlande und Belgien betreffen. Damit wird weder eine einheitliche europäische Lkw-Maut geschaffen noch kann etwas für die Umwelt erreicht werden", bemängelte der Europaabgeordnete. Kritik von CSU und den Grünen Auch seine Parlamentskollegin von Bündnis 90/Die Grünen, Anna Deparnay-Grunenberg, kritisierte den Kompromiss. "Das Ergebnis der Trilogverhandlung zur Eurovignette ist enttäuschend, denn mit diesem Kompromiss werden die gesetzten Klimaziele nicht erreicht." Sie werde sich für Änderungen einsetzen und "wenn möglich, eine Mehrheit im Europaparlament gegen den jetzigen Kompromiss organisieren". Der DSLV (Bundesverband Spedition und Logistik) begrüßte hingegen die Einigung, machte aber zur Bedingung, dass die Umsetzung europäisch einheitlich erfolgen muss. Kritisiert wird vom Verband, dass Ausnahmen für bestimmte Nutzergruppen vorgesehen sind. Zudem warnte der DSLV davor, dass der Güterverkehrssektor in Deutschland über das Brennstoffemissionshandelsgesetz (BEHG) nochmals und damit doppelt zur Kasse gebeten wird. "Mit Inkrafttreten der CO2-Mautkomponente muss der Straßengüterverkehr deshalb wieder aus dem Anwendungsbereich des BEHG entlassen werden", sagte Frank Huster, Hauptgeschäftsführer des DSLV. Angesichts der kritischen Stimmen - vor allem aus dem EU-Parlament - muss man davon ausgehen, dass dieser Kompromiss so auf keinen Fall Gesetz wird. Das sieht auch Ferber so: "Der Deal ist noch lange nicht in trockenen Tüchern." Die Abstimmung zu dem Vorhaben werde "alles andere als eine reine Formsache sein". Mehr zum Thema finden Sie unter #LkwMautinEuropa www.verkehrsrundschau-plus.de/hashtag In Kürze Die Verhandlungsführer des Europäischen Rates und des Europaparlaments haben sich auf einen Vorschlag geeinigt, wie die Straßenbenutzungsgebühren künftig in der EU erhoben werden sollen. Allerdings stößt der Vorschlag zum Teil auf heftige Kritik, weshalb Änderungen sehr wahrscheinlich sind. Widerstand aus Österreich und Tirol In Österreich war man sich quer über alle Parteien einig, wie das Verhandlungsergebnis zur Eurovignette zu bewerten ist: Das war nicht der große Wurf.Leonore Gewessler, Bundesverkehrsministerin von den Grünen, konnte zwar kleine Verbesserungen erkennen, aber in Summe sei das Gesamtpaket "zu wenig", teilte sie der Tiroler Tageszeitung mit. Vor allem das offenbare Veto-Recht Italiens und Deutschlands bei möglichen Anhebungen der Maut auf der Brennerstrecke lehnte sie ab. Platter bezeichnet Teile der Einigung als "völlig indiskutabel"Wenig verwunderlich, dass der Landeshauptmann von Tirol, Günther Platter, kein gutes Haar an dem Vorschlag ließ: "Vor allem, dass Italien und Deutschland als Nachbarstaaten zukünftig die Möglichkeit erhalten sollen, Mauterhöhungen in Tirol mittels Veto zu blockieren, ist völlig indiskutabel." Seine Bewertung der Einigung verheißt nichts Gutes für den Transitverkehr: "Solange EU-Mitgliedsländer wie Deutschland und Italien die europäische Transitpolitik nur nach ihren nationalen Interessen ausrichten wollen, werden belastete Regionen wie Tirol auch weiterhin gezwungen sein, ihre Bevölkerung mit allen Mitteln gegen die Transitlawine zu schützen." Eine Lockerung beispielsweise bei der Blockabfertigung ist also nicht zu erwarten.

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