Brüssel. Vertreter der EU-Ratspräsidentschaft und des Europäischen Parlaments haben sich heute Nacht auf einen Kompromiss zur Überarbeitung der Eurovignetten-Richtlinie, auch Wegekostenrichtlinie genannt, geeinigt.
Demnach sollen auf den Kernstrecken des transeuropäischen Verkehrsnetzes (TEN-V) innerhalb von acht Jahren nach Inkrafttreten der Richtlinie zeitbasierte Vignetten durch fahrleistungsabhängige (kilometerbasierte) Systeme ersetzt werden. In Fällen, in denen die Mitgliedstaaten ein gemeinsames Vignettensystem anwenden, haben diese zwei weitere Jahre Zeit, um das System anzupassen. Diese Regelung gilt für die Hauptrouten, auf denen der größte Teil des internationalen Transits von Nutzfahrzeugen stattfindet.
Bei geringer Bevölkerungsdichte in einem Gebiet oder wenn eine Vignette nur für einen begrenzten Streckenabschnitt gilt, kann weiterhin ein zeitbasiertes System angewendet werden, wenn die EU-Kommission darüber informiert wird.
Kombination von Mautsystemen möglich
Außerdem sieht der Kompromiss vor, dass die EU-Mitgliedstaaten für Lkw oder bestimmte Lkw-Klassen die beiden Systeme kombinieren dürfen. Die bestehenden Euro-Schadstoffnormen und das neu eingeführte System nach CO2-Emissionen könne variiert werden, so die portugiesische Ratspräsidentschaft. Dieses System werde die Grundsätze „Benutzer zahlt“ und „Verursacher zahlt“ berücksichtigen und den Mitgliedstaaten gleichzeitig die nötige Flexibilität bei der Ausgestaltung ihrer Mautsysteme einräumen.
Bestimmte Fahrzeuge können ausgeschlossen werden
Zudem behalten die Mitgliedstaaten die Freiheit, die Mautgebühren für verschiedene Fahrzeugkategorien, zum Beispiel Lkw, Pkw und Busse, unterschiedlich zu gestalten. Sie können beispielsweise beschließen, Busse überhaupt nicht zu berücksichtigen. Falls ein Mitgliedstaat eine Pkw-Maut einführt, muss es aber Tagesvignetten für Transitfahrten und Gelegenheitsreisende geben.
Das neue System soll zunächst für schwere Lkw gelten und sich an den CO2-Emissionen ausrichten. Es könne dann nach und nach auf andere Nutzfahrzeuge ausgeweitet und an den technischen Fortschritt angepasst werden. Für Transporter und Kleinbusse sollen ab 2026, soweit technisch machbar, abweichende Maut- oder Nutzungsgebühren basierend auf den Umweltstandards geben. Zudem seien „Verbesserungen“ vorgenommen worden, um zu verhindern, dass Hybridfahrzeuge durch eine Mautermäßigung doppelt profitieren. Wird eine Lkw-Maut erhoben, müssen nach einer Übergangszeit von vier Jahren Zuschläge für die Luftverschmutzung verlangt werden. Ausnahmen könne es nur geben, wenn dann Ausweichverkehr „mit unbeabsichtigten negativen Folgen“ zu befürchten sei. In jedem Fall können die Mitgliedstaaten für den CO2-Ausstoß Zuschläge für Lkw erheben.
Keine Zweckbindung der Mauteinnahmen
Unverändert bleiben die Grundsätze zur Zweckbindung der Mauteinnahmen. Weiterhin sind die Länder nicht verpflichtet, die Einnahmen aus der Maut für Infrastrukturprojekte zu verwenden. Hier bleibt es bei einem „sie sollten.“ Zuschläge für Staus wollen die Mitgliedsstaaten zur Stauvermeidung sowie nachhaltigen Verkehr einsetzen.
Möglich solle es außerdem sein, auf stark überlasteten Routen einen bis zu 50 Prozent höheren Zuschlag auf die Infrastrukturgebühr zu erheben, wenn alle betroffenen Mitgliedstaaten zustimmen. Ausnahmen von den neuen Regelungen wird es weiterhin für dünn besiedelte Regionen geben und für Mautstraßen, die privat verwaltet werden.
Der portugiesische Minister für Infrastruktur und Vorsitzende des Verkehrsministerrates, Pedro Nuno Santos, sagte, der Kompromiss gebe „Anreize für saubere Transporte“ und „Herstellern und Transportunternehmen ein klares Signal und Rechtssicherheit für das nächste Jahrzehnt.“
Noch keine beschlossene Sache
Der Kompromiss muss vom Europäischen Rat und vom Europäischen Rat noch bestätigt werden. Dies sei jedoch mehr als reine Formsache, heißt es aus Brüssel. Markus Ferber, verkehrspolitischer Sprecher der CSU im Europäischen Parlament, teilte in einer Pressemitteilung mit, die Einigung sei „mit so vielen Ausnahmen durchlöchert, dass ein Schweizer Käse neidisch wird.“ Durch die Ausnahmen würden die neuen Regelungen in erster Linie Deutschland, Österreich, die Niederlande und Belgien betreffen. Damit werde weder eine einheitliche europäische Lkw-Maut geschaffen, noch könne etwas für die Umwelt erreicht werden. Es sei bezeichnend, dass diejenigen, die den Deal ausgehandelt haben, allesamt aus Ländern kämen, die selbst nicht von der neuen Eurovignette betroffen sind.
Wird die überarbeitete Wegekostenrichtlinie bestätigt, haben die Mitgliedsländer der EU zwei Jahre Zeit, um sie in nationales Recht umzusetzen.
Hintergrund zur Wegekostenrichtlinie/Eurovignetten-Richtlinie
Die Eurovignetten-Richtlinie ist der europarechtliche Rahmen für die Ausgestaltung der Straßenbenutzungsgebühren für schwere Nutzfahrzeuge innerhalb der EU. Den EU-Staaten steht es frei, ob sie diese Gebühren überhaupt erheben wollen und ob diese zeit- oder fahrleistungsabhängig erhoben werden. Entscheiden sie sich jedoch für die Erhebung der Gebühren, müssen sie die Vorgaben der Richtlinie einhalten. (ir)