Weniger kann mehr sein

Ist der Ruf erst einmal ruiniert, dauert es ewig, bis das Image wieder hergestellt ist. Davon kann Iveco ein Lied singen. Längst hat der aktuelle Stralis XP einen hohen Reifegrad erreicht und trotzdem wird der Italiener sein schlechtes "Pizzablech-Image" einfach nicht los. Als weitere Gegensteuerungsmaßnahme schickt Iveco das nächste Testfahrzeug ins Rennen. Wobei dessen 420 PS, welche die schwächste Einstellung des 11,1 Liter kleinen Cursor 11 an die Hinterräder schickt, wenig nach Fahrspaß klingen. Auch das maximale Drehmoment von 2000 Newtonmetern ist in dieser Leistungsklasse eher durchschnittlich. Dafür steht es schon ab frühen 870 Touren zur Verfügung. Der Motor entwickelt Vibrationen Diesen Drehzahlbereich meidet die serienmäßige ZF-Traxon-Schaltautomatik aber konsequent. Und das hat seinen Grund, denn der Reihensechszylinder reagiert auf eine niedertourige Fahrweise mit hohen Vibrationen. In Verbindung mit der langen 2,64er-Hinterachse des Testwagens liegen bei Reisetempo 85 km/h drehzahlschonende 1100/min an, bei denen der Cursor noch leise und unauffällig vor sich hin werkelt. Fällt an leichten Steigungen die Drehzahl aber um weitere 50 Touren, durchzieht lautes Dröhnen die Stralis-Kabine und der Motor entwickelt Vibrationen, die man bis ins Lenkrad spürt. Deshalb leitet das Traxon-Getriebe von ZF spätestens bei 1020 Touren eine Rückschaltung ein und bringt den Common-Rail-Sechszylinder in den Bereich um 1300/min, wo er wieder kultiviert arbeitet und naturgemäß mehr Leistung bietet. Genug, um die 32 Tonnen schwere Testfuhre kaum langsamer in Richtung Kuppe zu befördern als der um 60 PS stärkere 480er-Stralis, der im Euro-Truck-Vergleich die gleiche Transportaufgabe zu bewältigen hatte (siehe VR 5/2017). Anders als beim stärkeren Bruder verzichtet Iveco beim 420er konsequent auf eine Abgasrückführung und verspricht dadurch besonders niedrige Verbräuche. Schützenhilfe leistet der GPS-Tempomat, der die kinetische Energie der 32 Tonnen für ausgedehnte Rollphasen nutzt. Zwischen nicht weniger als neun verschiedenen Eco-Programmen mit Hysteresen von +2/-3 bis +10/-3 km/h kann der Fahrer neuerdings wählen. In heimischen Gefilden empfehlen wir das vierte Programm mit +5/-5 km/h. Ganz so fein auf die Topografie abgestimmt, wie man das von der Konkurrenz kennt, ist Ivecos GPS-System allerdings nicht. Mitunter scheint sich die Elektronik zu verrechnen, geht vor Kuppen zu früh vom Gas und muss dann durch einen zusätzlichen Gasstoß verhindern, dass der XP nicht die untere Hysterese unterläuft. Bergab keine Überschwingfunktion Auch aufs "Angasen" vor Steigungen verzichtet das Iveco-System, wodurch schneller verbrauchstreibend zurückgeschaltet werden muss. Nicht die schlechteste Strategie ist dagegen, dass Iveco seinen Topografie-Tempomaten bergab mehr auf Tempo als den letzten Tropfen Dieseleinsparung getrimmt hat. In manchen Gefällen der Testrunde wählte die Elektronik bewusst den Neutralmodus, anstatt den XP gänzlich ohne Verbrauch per Schubabschaltung im zwölften Gang talwärts rollen zu lassen, obwohl so der Retarder eher eingreifen muss. Das mag zwar etwas Diesel kosten, dafür erhofft sich Iveco aber eine höhere Akzeptanz bei den Fahrern, das System nicht zu deaktivieren, weil der Lkw nach Kuppen schneller auf Tempo kommt. Ein dickes Lob gebührt den Programmierern dafür, dass sie - anders als viele Wettbewerber - nicht auf Kosten des Fahrers Diesel sparen. Der Stralis hält auch am Ende von Gefällen brav Tempo 90 und überschreitet das eingestellte Maximaltempo eben nicht bewusst am Ende des Berges, um einige km/h mehr Schwung mit in die Ebene zu nehmen. Nach wie vor ohne Tadel ist das ausgewogene Stralis-Fahrwerk. Erst recht, weil man im Rahmen der letztjährigen Modellpflege nochmals Hand an die Achsaufhängungen und den hinteren Stabi legte, bietet der Stralis einen sehr guten Kompromiss aus Komfort und Fahraktivität. Dazu passen die direkte Lenkung und die Tatsache, dass der Stralis-Kabine kaum ein Wackeln oder Nicken zu entlocken ist. Dass sich Letztere mittlerweile im fortgeschrittenen Alter befindet (den Rohbau verwendet Iveco seit 2002), ist im Inneren dafür an mancher Stelle zu spüren. Die breiten Fensterstege der Seitenscheiben irritieren beim Blick in die Rückspiegel, deren Gehäuse vergleichsweise klein ausfallen. Auch beim Verstellbereich von Sitz und Lenkrad bieten andere Hersteller deutlich mehr und der Stralis gehört nach wie vor zu den Lastwagen mit einer lauteren Geräuschkulisse. Kabine mit guten Platzverhältnissen Kritik, mit der Iveco sicher mit der für 2018 avisierten überarbeiteten Kabine aufräumen wird. Dann werden die Italiener vielleicht auch eine Fahrerhausvariante mit ebenem Boden anbieten können. Die Platzverhältnisse im Stralis fallen aber trotz des 23 Zentimeter hohen Motortunnels großzügig aus und an kleine Verarbeitungsmängel, wie die stets mit einem lauten Quietschen öffnenden Seitenfenster, gewöhnt man sich mit der Zeit. Gern gewöhnt man sich auch an die Wirtschaftlichkeit des "kleinen" Italieners: 25,6 l/100 km bei einer Durchschnittsgeschwindigkeit von 79 km/h genehmigte sich der 420er auf der genormten VR-Testrunde. Damit distanzierte er den Stralis XP 480 deutlich, der lediglich 0,3 km/h schneller unterwegs war, sich aber über einen halben Liter mehr Sprit pro 100 km gönnte. Womit Iveco ein weiterer Schritt weg vom Pizzablech-Image gelungen sein sollte. Alle Tests und Fahrberichte für Abonnenten www.verkehrsrundschau.de/testdatenbank Kommentar Gute Wahl für leichte Einsätze Angesichts seines geringen Hubraums geht der Cursor 11 erstaunlich elastisch zu Werke und liefert passable Fahrleistungen bei einem niedrigen Verbrauch. Als 420er ist er die richtige Wahl für Transporteinsätze, bei denen das maximale Gesamtgewicht nie oder nur selten voll ausgeschöpft wird. In der Kabine zeigt sich an manchen Stellen aber das fortgeschrittene Alter der Stralis-Baureihe.Kontakt: jan.burgdorf@springernature.comJan Burgdorf VR-Testredakteur

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