Warum Pullover bei Adler funken

Die Kundin nimmt die Bluse und legt sie auf den Kassentisch. In diesem Moment funkt ein kleiner Chip im Preisschild einen elektronischen Produktcode an die Kasse. Von hier aus wandert die Information ins Warenwirtschaftssystem des Händlers. Die Bluse wird als verkauft markiert und die Bestandsänderung verbucht. Im Logistikzentrum bringen Mitarbeiter eine Nachlieferung auf den Weg beziehungsweise ordern die Bluse beim Lieferanten nach. Das ist keine Zukunftsvision: Bei den Adler Modemärkten gehört die Funkkennzeichnung von Produkten seit Kurzem zum Alltag. Die Kette betreibt derzeit eines der modernsten Systeme dieser Art in Deutschland. Glaubt man Branchenkennern, ist das sogar nur ein Anfang. "Der Megatrend der nächsten Jahre ist, dass sich alle Dinge untereinander selbstständig vernetzen", sagt Helmut Merkel, Honorarprofessor an der Universität Mannheim und ehemals Vorstand bei Karstadt-Quelle. Er siehteine völlig neue Welt entstehen, in der alle Teile einer Transportkette über Funk und Internet miteinander verbunden sind und Informationen austauschen. In der IT-Branche wird diese Entwicklung derzeit unter dem Stichwort "Internet der Dinge" gehandelt (siehe Kasten). Für Logistiker ist dieser Trend freilich nichts Neues, sondern unter einem anderem Stichwort schon lange bekannt: RFID (Radio Frequency Identification, Radiofrequenz-Identifikation). Anfang der Nullerjahre tobte ein regelrechter Hype um die Funktechnik. Bald werde jeder Joghurtbecher im Supermarkt mit einem elektronischen Produktcode (EPC) gekennzeichnet sein, prognostizierten Trendforscher seinerzeit. Doch aus der Vision wurde nichts und vielerorts verschwanden die RFID-Pläne wieder in der Schublade. So zunächst auch bei den Adler Modemärkten im bayerischen Haibach. Die Kette hatte auf dem Höhepunkt des RFID-Hypes eine Machbarkeitsuntersuchung gestartet - mit negativem Ergebnis. 99 Prozent Lesequote bei Hängeware "Das Projekt ist vor allem an den hohen Preisen für Tags gescheitert", erinnert sich Roland Leitz, Bereichsleiter IT und Organisation. Zwischen 15 und 20 Cent sollten die funkenden Etiketten damals kosten - zu teuer, um jedes der 27 Millionen Teile, die durchs Logistikzentrum der Modekette laufen, anzubringen. Doch Adler hat das Thema RFID weiter verfolgt - und im zweiten Anlauf jetzt gemeistert. Mitte 2014 wurde die Technik unternehmensweit ausgerollt: Ab sofort steht jede Bluse und jeder Pullover in den 180 Filialen mit der Zentrale quasi in Funkkontakt. Mithilfe von RFID soll vor allem ein Grundproblem gelöst werden, das den Handel seit jeher plagt: Niemand weiß genau, welche Ware sich im Laden befindet (auch wenn so mancher Geschäftsführer das bestreitet). Nur einmal im Jahr findet eine Inventur statt, danach sind die Bestandsdaten nie zu 100 Prozent exakt. Kommt etwa ein Produkt abhanden, ohne dass es regulär ausgebucht wird, entsteht ein Loch im Sortiment, das unter Umständen zwölf Monate lang niemandem auffällt - außer dem Kunden. Genau das ist mit RFID nicht mehr möglich, denn durch die Technik wird Inventur zum Dauerzustand. Wie hoch die Bestände sind und wo sie lagern, ist jederzeit sichtbar. Doch bevor diese Vorteile genutzt werden können, ist viel Arbeit nötig. Auch bei Adler zog sich das Projekt RFID über mehr als ein Jahr hin. Die Mammutaufgabe begann damit, rund 350 Lieferanten - viele davon in Fernost - darauf zu verpflichten, schon in der Fabrik die Funketiketten an die produzierten Textilien anzubringen. Dann folgte die Ausrüstung der Läden. "Da muss schon das eine oder andere Kabel gezogen werden", lacht IT-Leiter Roland Leitz, der das Projekt auf dem diesjährigen EHI-Handelslogistik-Kongress vorgestellt hat. Zeitgleich wurde das Adler-Logistikzentrum in der Nähe von Erfurt mit Lesetunneln ausgerüstet. Frühere Mängel der Technik sind mittlerweile beseitigt. "Unsere Lesequote bei Hängeware liegt bei 99 Prozent", freut sich Projektleiter Leitz. Insgesamt acht Millionen Euro hat der Mittelständler sich den Einstieg in die elektronische Produktauszeichnung kosten lassen. Deutliche Effizienzsteigerung Diese Investitionen sollen sich in kürzester Zeit amortisieren, vor allem dadurch, dass die Abläufe in der Filiale verbessert werden. Das beginnt schon im Wareneingang: Angelieferte Ware wird mit einem einzigen Druck auf den Funkscanner erfasst; da die Stücklisten elektronisch avisiert wurden, reicht es, wenn ein Teil im Karton erkannt wird. Danach werden die Textilien im Lager beziehungsweise auf der Verkaufsfläche verräumt. Da auch im Übergangsbereich noch einmal automatisch gescannt wird, ist jederzeit sichtbar ist, wo genau sich ein Teil in der Filiale befindet. So kann der Kundenberater das alte Versprechen "Das hole ich Ihnen schnell aus dem Lager" auch wirklich einlösen. Darüber hinaus macht die Adler-Zentrale den einzelnen Filialen sogenannte Nachfüllvorschläge, sagt also, welche Ware aus dem Lager in den Verkauf gebracht werden könnte. Der größte Vorteil aus Kundensicht dürfte der schnellere Bezahlvorgang sein. Der gesamte Einkauf wird auf einmal erfasst, das einzelne Scannen vor Barcodes entfällt. Durch RFID überflüssig geworden ist außerdem das Entfernen von Diebstahlschutzetiketten, die früher selektiv an einigen Produkten angebracht waren. Scanner im Eingangsbereich registrieren jedes Teil, das den Laden verlässt und schlagen Alarm, wenn eines davon nicht im Kassensystem als "bezahlt" gekennzeichnet ist. Alles in allem beschleunigt RFID den Kassierprozess extrem. "Das erspart den Kunden pro Jahr 40.000 Stunden Wartezeit", schätzt Leitz. Soweit die Vorteile der funkenden Preisschilder. Doch um sie zu realisieren, musste Adler einige Widerstände überwinden. "Ein ganz schwieriger Aspekt war, die Lieferanten der Leseeinheiten auf Leistungsparameter festzulegen", berichtet Leitz. Sprich: Lesetunnel müssen in jeder Umgebung funktionieren, egal, ob daneben ein Aufzug oder eine Feuerschutztür liegt (gerade Stahl stört die Funkwellen, auf denen RFID basiert). Ein weiteres Problem: Nicht alle Lieferanten halten sich immer an die Vorgaben und verwenden die vorgeschriebenen Etiketten mit Funkchip. In einem Einzelfall hat ein Betrieb die Etiketten zum Beispiel per Kopierer vervielfältigt - wobei die elektronischen Innereien natürlich verloren gingen. RFID ist ein Dauerprojekt Hinzu kommt, dass RFID ein Dauerprojekt ist - selbst, nachdem die Technik erfolgreich installiert wurde. "Hier ist ein permanentes Monitoring der Prozesse nötig", beton Leitz. Mitarbeiter sind ständig im Außendienst unterwegs, um an die korrekte Bedienung der Technik zu erinnern. Denn die ist und bleibt sensibel. Wenn ein Mitarbeiter einen Rollwagen statt mit 80 Teilen - dem vorgeschriebenen Maximum - mit 120 Teilen belädt und dann auch noch mit überhöhtem Tempo durch den Scannertunnel zieht, sind Lesefehler nicht auszuschließen. "Es bedarf eines permanenten Trainings", resümiert Leitz. Was empfiehlt der Logistikleiter anderen Unternehmen, die jetzt wieder über den Einstieg in RFID nachdenken? Vor allem nicht nur über Tags und Megahertz zu reden, sondern vor allem über die geschäftlichen Ziele, die man erreichen will. "Es geht nicht um Technologie, sondern um die Optimierung der Nachversorgung", so Leitz über den Ansatz bei Adler. Einkaufserlebnis der Kunden steigern Derzeit beschäftigt sich die Modekette Adler übrigens schon mit der nächsten Ausbaustufe von RFID - und die hat nichts mehr mit Logistik zu tun: Die vorhandenen Daten sollen dann dafür genutzt werden, um das Einkaufserlebnis für die Kunden zu verbessern. Angedacht sind zum Beispiel intelligente Umkleidekabinen, die erfassen, welches Teil der Kunde gerade anprobiert, und auf einem Bildschirm direkt passende Kleidungsstücke präsentieren. Vielfältiger Einsatz denkbar Vom Internet der Dinge zur funkenden Viertelpalette Das Nutella-Glas auf dem Frühstückstisch merkt, wenn der Vorrat zur Neige geht und bestellt beim Supermarkt Nachschub. Die Heckenschere meldet sich auf dem Smartphone, wenn es Zeit ist, wieder im Garten tätig zu werden. Das mit Sensoren bestückte Essbesteck misst die Kalorienzahl, vergleicht sie mit dem Diätplan und verständigt Arzt und Versicherung, wenn Abweichungen auftreten. Alle diese Zukunftsvisionen soll das sogenannte "Internet der Dinge" wahr werden lassen (Englisch: Internet of Things). Der Kern: Künftig verfügt fast jeder Gegenstand über einen drahtlosen Internetzugang und sendet auf diesem Weg Informationen an Hersteller, Dienstleister oder Kunden. Sinkende Preise für Funkmodule und allgegenwärtiges drahtloses Internet sollen das "Internet der Dinge" möglich machen.Ein aktuelles Beispiel für den Trend kommt aus der Handelslogistik: Der Palettenpool-Betreiber Chep bietet ab kommendem Jahr eine intelligente Viertelpalette an, die bei Promotions in Handelsunternehmen zum Einsatz kommen soll. Sie erfasst unter anderem Umgebungstemperatur, Beladungsstatus sowie ihren genauen Standort (auch innerhalb des Ladens) und funkt die Daten an einen zentralen Server. So kann der Hersteller erkennen, ob die Kunden seine Promotion auch tatsächlich gesehen haben. Hintergrund: Rund 18 Prozent aller sogenannten Displays kommen zu spät oder gar nicht auf der Fläche an; dadurch entsteht jährlich ein Schaden von 1,15 Milliarden Euro, hat Chep errechnet. Damit die Lokalisierungsfunktion innerhalb der Filiale funktioniert, müssen dort allerdings spezielle Empfänger installiert werden. cg Glossar RFID-Technologie Radio-Frequency Identification (RFID) (Identifizierung mittels elektromagnetischer Wellen) bezeichnet eine Technologie für Sender-Empfänger-Systeme zum automatischen und berührungslosen Identifizieren und Lokalisieren von Objekten und Lebewesen mit Radiowellen. Ein RFID-System besteht aus einem Transponder (Funketikett), der sich am oder im Gegenstand befindet und einen kennzeichnenden Code enthält, sowie einem Lesegerät zum Auslesen dieser Kennung.Vorteile von RFID gegenüber Barcodes sind laut GS1 Germany unter anderem:- Sichtkontakt zwischen Transponder und Lese-/Schreibgerät ist nicht nötig- Transponder sind unempfindlich gegenüber Schmutz oder Abdeckung- Transponder haben eine höhere Speicherkapazität- Mehrere Transponder können gleichzeitig erfasst oder beschrieben werden. eh

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