Vom Labor auf die Straße

Entwicklungsarbeit zum Anfassen und hinterfragen. Lernen, wie Experten alternative Antriebstechnologien und Logistikkonzepte angehen. Verbrauchsoptimierungen selbst per Mausklick durchführen oder das Lkw-Cockpit der Zukunft gestalten: Das alles ermöglichte der Lkw-Hersteller Daimler im Rahmen des "FutureLab@Mercedes-Benz Trucks" Ende Juni im Branchen-Informations-Center (BIC) des Mercedes-Benz-Werks Wörth. In einem halbstündigen Workshop-Zirkeltraining konnten Besucher hier die Lkw-Technik von morgen kennenlernen.Sieben Themenkreise wurden dabei behandelt - nach einer knappen Einführung, die Stefan Buchner, Mitglied des Bereichsvorstands Daimler Trucks & Leiter Mercedes-Benz Lkw anführte. Seine Strategie für die Zukunft nennt Daimler CASE. CASE steht für Vernetzung (Connected), automatisiertes Fahren (Autonomous), flexible Nutzung (Shared & Services) und elektrische Antriebe (Electric). Das Ziel ist klar definiert - die Technologieführerschaft von Mercedes-Benz Trucks auszubauen. Entwicklung von innen nach außen Steffen Kaup, Leiter des Teams Zukunftsforschung Transport und Logistik bei Daimler, erklärt, warum der Dialog mit Kunden und Fahrern immer enger und wichtiger wird. Im Mittelpunkt der "Road-Efficiency 2030" stehe der Kundennutzen durch niedrige Gesamtkosten, hohe Sicherheit, größtmögliche Entlastung des Fahrers und maximale Fahrzeugverfügbarkeit. Der Fahrer als "RoadStar" profitiere von optimierter Ergonomie, intuitiver Bedienbarkeit und einem Fahrerhaus, das mehr Erholung während der Ruhephasen ermöglicht. Zudem ließen sich durch autonome Fahrvorgänge Stand- und Wartezeiten reduzieren und Lenkzeiten verändern. Damit möchte Daimler auch den Fahrermangel angehen: Allein in Deutschland fehlen laut dem Hersteller derzeit 45.000 Berufskraftfahrer, ihre Zahl könnte sich in der nächsten Dekade sogar fast verfünffachen. Konsequent werden neue Technologien wie die digitale Vernetzung genutzt. Den Anfang dafür machte Daimler vor vier Jahren mit dem Mercedes-Benz Future Truck 2025.Vorgestellt auf der IAA Nutzfahrzeuge gab er die Richtung für anstehende Produktentwicklungen und Modellpflegen vor - durch vernetzte Assistenzsysteme. Das Ergebnis: mehr Sicherheit, weniger Kraftstoffverbrauch sowie verbesserte Arbeitsbedingungen für die Berufskraftfahrer. Zugleich zeigte er, wie Konnektivität den Transport durch verbessertes Fahrzeug- und Transportmanagement sowie pfiffige App-Lösungen unterstützen kann. Wasserstoff und Brennstoffzelle Ein einheitliches System als Gesamtablösung des heutigen dieselbetriebenen Schwerverkehrs samt dessen CO2-Ausstoß gibt es für Daimler nicht. Wohl aber drei Alternativen, von denen zwei bereits konkret in Fahrzeugen umgesetzt wurden. Mit dem Econic NGT (Natural Gas Technology) hat Mercedes-Benz Trucks bereits seit 2014 ein Fahrzeug im Angebot, dessen Motor mit komprimiertem Erdgas betrieben wird. Die CO2-Bilanz Well-to-Wheel verbessert sich weiter, wenn reines Biomethan oder als Beimischung eingesetzt wird. Nachhaltigkeit und Einsatzmöglichkeiten rund um die Uhr geben für Mercedes-Benz Trucks den Ausschlag, im städtischen Verteilerverkehr auf reinen Elektroantrieb zu setzen. Bei häufigem Anhalten, Bremsen und Beschleunigen kommen laut dem Hersteller auch die Vorteile wie Rekuperation zur Geltung. Parallel hierzu wird auch an Technologien gefeilt, um künftig Lkw im Fernverkehr emissionsfrei antreiben zu können. Wasserstoff-Infrastruktur im Fokus Der hohe Wirkungsgrad des Brennstoffzellenantriebs macht diese Technologie attraktiv - Wasserstoff lässt sich leicht transportieren und schnell betanken, versichert Daimler. Deshalb beteiligt sich Mercedes-Benz am Ausbau des H2-Tankstellennetzes. Schon 2015 wurde die H2 Mobility Deutschland GmbH & Co. KG gegründet. Daimler AG zusammen mit Air Liquide, Linde, OMV, Shell und Total sind sich einig: Rund 400 Wasserstoff-Tankstellen sollen bis 2023 eingerichtet werden. Ebenso ausführlich wie die Workshops zur digitalen Denkweise, zur Frage nach neuen Kraftstoffen und der neuen Gesetzgebungsära wurde aktive Unfallvermeidung als Schlüsselthema der Truckentwicklung gezeigt. "Wie können wir den schwächsten Teilnehmer im Straßenverkehr - den Menschen - noch besser schützen? Und wie können wir - gerade im Fernverkehr - den Fahrer auf langen, monotonen Strecken entlasten und dadurch die Sicherheit weiter steigern?", fragte Stefan Buchner anfangs in die Runde. Assistenzsysteme etablieren Viele heute gängigen Sicherheitssysteme für Lkw feierten ihre Premiere in Mercedes-Benz Trucks - den ersten Active Brake Assist beispielsweise hatten die Schwaben schon vor zehn Jahren eingeführt. Unter der Leitung von Andreas Schwarzhaupt, Leiter Fahrerassistenzsysteme Serienentwicklung Mercedes-Benz wurde 2016 der Active Brake Assist 4 (ABA 4) vorgestellt. Der gleichzeitig eingeführte Abbiege-Assistent ist zudem das erste Warnsystem, das laut Hersteller Fußgänger und Radfahrer in Abbiegesituationen von Lkw effektiv schützen kann. Ab 2022/24 soll es bei EU-Neufahrzeugen Pflicht werden - und helfen, dem EU-Ziel, die Zahl der Verkehrstoten von 2010 bis 2020 zu halbieren, näher zu kommen. Hand in Hand mit der Sicherheit rückt nun auch die Einführung des autonomen Fahrens ein Stück näher - als Level 2 bezeichnet es Stefan Buchner schon in der Einführungsrede. Aufgeklärt wird der kryptische Begriff in der halben Stunde als "Inside into Automation": Gemeint ist der Automatisierungsgrad. Die Industrie hat sich auf fünf Stufen geeinigt. Level 2 bedeutet Teilautonomie - die Möglichkeit, auf geeigneten Strecken durch Kombination der Assistenzsysteme das Steuer an die Elektronik abzugeben. Dabei übernimmt der adaptive Tempomat samt Notbremsassistenten die Sicherung in Längsrichtung, der Spurhalteassistent mit aktivem Lenkeingriff das "Roadholding" quer dazu. Kundennutzen steht an erster Stelle Auch in puncto Vernetzung hat sich bei Mercedes-Benz Trucks einiges getan. "Der moderne Truck besitzt heute um die 400 Sensoren", erklärt Michael Kimmich von Digital Solutions & Services Mercedes-Benz Trucks. Darüber sendet das herstellereigene Telematiksystem MB Uptime alle 30 Sekunden eine Diagnose an den Server, der alle vier Minuten einen Wartungsempfehlungscheck durchläuft. Daraus will man weiteren Mehrwert generieren. Mit Ladungs- und Streckenprofilen etwa will man Wartungs- und Tauschempfehlungen konkretisieren. "Wenn wir heute über einen neuen Lkw nachdenken, dann über sein Innenleben: Wie vernetzen wir seine Synapsen?", erklärt Stefan Buchner. Ganz anders verlief der Gestalter-Workshop "Design inside out", der eine Weniger-ist-mehr-Mentalität erkennbar machte. Hintergedanke: Der Fahrer des Future Trucks fährt autonom, sollte dort aber nicht unterfordert sein. Mehr Komplexität erfordert dabei eine intuitive Bedienbarkeit der Instrumente. Das ist die Grundlage beim Gestalten des HMI (Human-Machine-Interface)-Arbeitsplatzes. Ideen dazu skizzierte auf dem FutureLab Andy Sugato, Designer des neuen Actros. Nebenan zeigte Alexander Graf, wie die Grundidee "einfaches System" von HMI-Designerin Annelie Schanz auf die Elemente des Infotainments übertragen wird. Die Geräte werden damit wie ein Tablet oder Smartphone bedienbar. Deren Logik ist dem Fahrer bereits bekannt. Mehr zum Thema finden Sie im Dossier "Mercedes-Benz" www.verkehrsrundschau.de/dossiers

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