Verlieren Mitarbeiter nun ihre Jobs?

Früher übermittelten uns Menschen über Daten-Schnittstellen Aufträge. Künftig werden das Maschinen direkt machen", bringt Andreas Bunz, Geschäftsführer von LGI Logistics Group International, die Auswirkungen des digitalen Wandels in seinem Logistikunternehmen auf den Punkt. So könnten bereits heute defekte Waschmaschinen mittels eines intelligenten Labels kommunizieren, welches Ersatzteil sie benötigen und damit Service- und Transportaufträge bei Logistikdienstleistern auslösen. Natürlich spare diese Form der Übermittlung, sagt Bunz, in der Auftragserfassung in Speditionen Aufgaben ein. Und das ist nur ein Beispiel von vielen: Wenn Maschinen untereinander und mit dem Internet vernetzt sind und intelligente Roboter einen Großteil der menschlichen Arbeit übernehmen können, fallen Stellen weg. Fast die Hälfte der Arbeitsplätze sei durch die Digitalisierung in den kommenden 20 Jahren bedroht, schreiben Carl Benedikt Frey und Michael Osborne von der Oxford-University in einer Studie. In dieser haben sie untersucht, wie die Aussichten für gut 700 Berufe in der "zweiten Welle der Computerisierung" sind, die durch ausgeklügelte Software und neue Roboter geprägt sein wird. Thema läuft auf Hochtouren "Auch in der Speditions- und Logistikbranche werden bis zu 50 Prozent der derzeitigen Stellen mittel- und längerfristig wegfallen und teilweise durch Jobs mit neuen Kompetenzprofilen ersetzt werden", ist Frank Weingarten überzeugt. Als Geschäftsleitungs-Mitglied der Unternehmensberatung Kienbaum verantwortet er dort den Bereich Transport/Verkehr. "Bislang manuell erbrachte Tätigkeiten, vor allem in der Administration und Lagerwirtschaft, werden mittelfristig von Maschinen und intelligenten IT-Tools ersetzt werden", schätzt der Berater. Auch Berufskraftfahrer - Stichwort autonomes Fahren - seien von den Auswirkungen des digitalen Wandels betroffen. Um so wichtiger sei es, rät der Personalexperte, dass sich die Mitarbeiter Know-how im Bereich IT und Technologien aneignen und die Ausbildungsberufe um diese Inhalte erweitert werden. Entsprechend oben auf der Agenda steht das Thema Digitalisierung bei großen Logistik-Playern wie DHL, Schenker, Kühne + Nagel. "Da läuft das Thema auf Hochtouren", beobachtet Weingarten. "Bei den kleineren Transport- und Speditionsbetrieben ist dagegen noch nicht viel passiert", sagt der Berater. "Anstatt in Know-how zu investieren, scheuen viele Firmen das Thema, weil der digitale Wandel Einschnitte in die Produktionsbedingungen und die betrieblichen Abläufe bedeutet." Unterstützen ja, aber nicht ersetzen Ob die Digitalisierung wirklich Arbeitsplätze kosten wird, bezweifeln indes Praktiker. LGI-Chef Bunz ist sich zwar sicher: "Die Art und Weise, wie die Mitarbeiter ihre Aufgaben ausführen, wird sich durch Logistik 4.0 in Zukunft dramatisch ändern." So würden wohl Teile heutiger Aufgaben von Disponenten künftig dank der neuen Vernetzungsmöglichkeiten entfallen, etwa die gesamte Lkw-Überwachung, sagt er. Fallweise sei dies heute schon der Fall dank moderner Tools wie Car2Car-Kommunikation und Fahrer-Apps. Dennoch: "Ersetzen werden aber solche Lösungen Disponenten nie - nur unterstützen, damit sich diese auf andere Aufgaben wie Auftragsakquise besser fokussieren können." Davon ist auch Kai Hasenpusch, Chief Commercial Officer Germany von Hellmann Worldwide Logistics, überzeugt. Er muss es wissen. Denn Hellmann hat im letzten Jahr neben einem neuen Transportmanagementsystem unter anderem eine App für Smartphones entwickelt, die sich Versender aus dem Hellmann-Store herunterladen können und über die die Spedition nun die Abholaufträge und Dispositionsprozesse steuern kann. "Versender müssen also bei uns nicht mehr anrufen, um ihre Abholaufträge aufzugeben", erzählt Hasenpusch. Ziel sei es, dass die Auftragsbestätigung und Abholung künftig automatisiert den Fahrzeugen zugewiesen und durchgeführt wird - genauso wie im heutigen Taxibetrieb. "Das heißt aber nicht, dass Hellmann nun seine Disponenten abschafft", betont der Chief Commercial Officer. "Unsere Disponenten werden zum Teil lediglich andere Aufgaben übernehmen. Sie werden mehr zum Wirtschaftlichkeitscoach von Fahrer und Unternehmer", bringt Hasenpusch die Entwicklung auf den Punkt. So würden Disponenten mehr mit Auswertungstools arbeiten, um Touren weiter zu optimieren und Unternehmer und deren Fahrer besser beraten zu können. Ersatzlos gestrichen würde aber kein Disponent. Auch im Lagerbereich werden, auch in Zukunft, immer Menschen korrigierend eingreifen müssen - selbst wenn sich Paletten und Fördertechnik-Systeme einmal selbst steuern können. Dafür seien die operativen Unwägbarkeiten in der Logistik zu groß. ergänzt LGI-Geschäftsführer Bunz. "Das menschenleere Lager bleibt für mich also eine Utopie", ist er überzeugt. Und selbst im Zeitalter selbststeuernder Lkw - Stichwort autonomes Fahren - werden dem LGI-Chef zufolge Speditionen immer Berufskraftfahrer brauchen: "Lkw-Fahrer werden durch die moderne Fahrzeugsensorik entlastet, verlieren aber ganz sicher nicht dadurch ihren Job." Vorstellbar sei nur, dass sie künftig mehr Aufgaben in puncto Ladungssicherung erhalten oder ihre Ruhezeiten anders gestalten. Dass im Zuge der Digitalisierung fast die Hälfte der Jobs in den Unternehmen wegfallen werden, glaubt auch Andreas Froschmayer nicht. Das Gegenteil sei der Fall, betont der Corporate Director Corporate Development, Strategy & Public Relations von Dachser. "Die Logistikbranche wird von der digitalen Transformation profitieren", sagt er und zitiert Zahlen aus einer aktuellen Studie der US-Beratung Accenture. Demnach soll das BIP in Deutschland bis 2020 durch die Digitalisierung um zusätzliche 2,5 Prozent zulegen. "Die Digitalisierung wird also weitere Jobs in unserer Branche schaffen", betont der Dachser-Mann. Treiber dafür seien technologische Neuerungen wie Big Data und Data Analytics, die die Planung, das Design und die Steuerung von Supply Chains deutlich effizienter gestalten könnten. Froschmayer wörtlich: "Speditions- und Logistikfirmen wie Dachser werden viel mehr qualifizierte Wirtschaftsinformatiker benötigen, die solche neuen Technologien und Algorithmen beherrschen, um etwa bestimmte Prozess-Simulationen zu fahren." Auch im Bereich Forschung & Entwicklung - Stichwort Innovation Logistik 4.0 - würden in der Logistik künftig mehr qualifizierte Fachkräfte beschäftigt werden. USA als Vorbild für Spediteure in Europa Wohin da die Reise bei Speditionen in Europa gehen könnte, zeigen die Aussagen von Stefan Paul, der bei Kühne + Nagel (KN) den Landverkehr verantwortet (siehe Kasten Seite 19). "Noch dominieren bei europäischen Speditionen im Teilladungs- und Stückgutgeschäft Netz- und Cross-Dock-Center-Strukturen, um einen flächendeckenden Service offerieren zu können", weiß er. Die Digitalisierung spiele bei vielen Speditionen da noch kaum eine Rolle - abgesehen vom Einsatz von Transport-Management- sowie Tracking & Tracing-Systemen. Die USA sind hier offenbar weiter. Dort unterscheide man, erzählt Paul, nach "Heavy-Asset-Anbietern", die ausschließlich für die Optimierung ihres Fahrzeugequipments und der Fahrer zuständig sind und den "Brokern". Stellt in den USA ein Kunde über die Webplattform eines solches Brokers eine Anfrage, hat dieser sofort Zugriff auf alle Transportmodi und Preissysteme der einzelnen Anbieter. Binnen weniger Minuten könne der Broker so den Transport disponieren und durchführen und der Kunde erhalte sofort nach Durchführung die Rechnung elektronisch übermittelt. Sprich: Der Prozess zwischen Auftragserteilung, Durchführung und Abrechnung werde deutlich reduziert. Hier sieht der KN-Manager wirkliches Einsparpotenzial für Speditionen: "Wer sich auf solche Entwicklungen IT-technisch vorbereitet, wird Angebot und Nachfrage betriebswirtschaftlich viel effizienter managen können als schon bisher". Vorstellbar ist laut Paul zudem, die Chauffeur-App von Uber in die Speditionswelt zu übertragen. Die digitale Lösung könnte dort den Einkauf und die Steuerung von Transportleistungen vereinfachen und die Effizienz erhöhen, schätzt er. Ein Kunde müsse sich auf der Uber-Plattform nur registrieren, dort seine Kreditkartennummer hinterlegen und habe dann die Möglichkeit, zwischen verschiedenen Fahrzeugen zu wählen - abhängig davon, wo er und das entsprechende Fahrzeug sich gerade befinden. Und nach der Fahrt erhalte der Kunde sofort via Smartphone die Rechnung und könnte zudem die Servicequalität des Fahrers bewerten. "Das Interessante an diesem System ist: Es verknüpft auf intelligente Weise den Anbieter, der das Fahrzeug und die Fahrerleistung erbringt, mit dem Kunden, der diesen Service nachfragt", resümiert der KN-Mann. Und alles das ohne Einschaltung eines Mitarbeiters. Fazit: Die Digitalisierung wird kommen - auch in der mittelständisch strukturierten Speditions- und Logistikbranche. Fest steht auch: Die neuen IT-Tools werden Auswirkungen auf die Ablauforganisation in den Betrieben haben, vor allem in der Auftragsabfertigung, der Disposition und im Lagerbereich. Im großen Stile Mitarbeiter einsparen werden sie wohl nicht. Die neue Technik wird den Betrieben aber helfen, ihre personellen Ressourcen effizienter zu nutzen - gerade in Zeiten des Fachkräftemangels. Mehr zum Thema finden Sie im Dossier Apps & Internet www.verkehrsrundschau.de/dossiers Die Serie Logistik 4.0 - Prozesse im WandelWie die Digitalisierung Unternehmen und Berufsbilder in Transport, Spedition und Logistik verändert- Was Verlader und Experten von Transport- und Logistikfirmen fordern (VR 43/15)- Ersetzen Apps künftig Disponenten und Frachteinkäufer? (VR 5/16)- Autonome Lkw: Braucht es noch Lkw-Fahrer?- Führen Chefs künftig virtuelle Unternehmen? Experten-Tipps Mitarbeiter-Schulungen sind das A und O Wie sich Speditions- und Logistikbetriebe für den digitalen Wandel rüsten können, sagt Jürgen Weber, Geschäftsführer der Unternehmensberatung ITW in Sinzig/Rhein:- Machen Sie das Thema "Digitalisierung" zur Chefsache. Themen wie Big Data, Industrie 4.0 und Internet der Dinge sind nicht ausschließlich Themen der IT-Abteilung. Sie haben Einfluss auf alles: die Zusammenarbeit mit Partnern, Versendern und Empfängern, die Aufgaben von Mitarbeitern und das Geschäftsmodell von Transport- und Logistikunternehmen.- Intelligente Systeme und DV-Lösungen übernehmen künftig zunehmend das Suchen, Archivieren und Dokumentieren von Informationen oder wandeln Sprache in Text um. Einsatzfelder sind in Speditionen etwa mehrsprachige Dispositionssysteme oder eine Datenbrille für den Einsatz im Lager für Pick-by-Vision. Solche Tools werden Mitarbeitern künftig verstärkt vorgeben, wie sie zu arbeiten haben. Die voranschreitende Digitalisierung führt damit zum Teil zu einer gewissen "Zwangsführung" im Berufsalltag. Gleichzeitig werden Mitarbeiter durch solche Tools unterstützt, künftig mehr in kürzerer Zeit erledigen müssen - Stichwort Produktivitätssteigerung. Rüsten Sie dafür Ihre Mitarbeiter mit entsprechenden Weiterbildungs- und Schulungsprogrammen.- Je mehr Prozessabläufe standardisiert und von IT-Tools übernommen werden, desto mehr sinkt in den Betrieben der persönliche Kundenkontakt. Verlieren Sie aber das Thema Kundenbeziehungs-Management nicht aus den Augen. In den neuen Berufsbildern steht auch die soziale Kompetenz sehr weit oben. Probleme werden auch weiterhin schnell und effizient zwischen Menschen behoben.- Mit der Zunahme von internet-basierten Tätigkeiten steigt auch das Risiko. Stichworte sind hier Compliancerichtlinien, Datensicherheit und Riskmanagement. Die Prozesse in der Logistik müssen kompatibel mit den Anforderungen des Gesetzgebers, der Geschäftspartner und der Kunden sein. Kaufen Sie sich dafür Know-how mit entsprechenden Mitarbeitern/Beratern ein. eh

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