Verbot mit Hintertür

Mit dem Grundsatzurteil des Europäischen Gerichtshofes (EuGH) zur Anwendung der europäischen Wasserrahmenrichtlinie ist das Ausbaggern der Weser und der Elbe schwieriger (die Umweltverbände hoffen: unmöglich) geworden. Die Hafenwirtschaft in Bremen und Hamburg geht davon aus, dass die Vertiefung der Fahrrinnen trotzdem genehmigt wird: Mit einer Ausnahmeregel bleibt nämlich ein Hintertürchen offen. Nach der Entscheidung gibt es keinen Zweifel mehr, dass die Vertiefung der Fahrrinne in Weser und Elbe den Vorschriften der europäischen Wasserrahmenrichtlinie (2000/60/EG) zu genügen hat. Danach müssen die Mitgliedstaaten Maßnahmen verbieten, die zu einer Verschlechterung der Qualität von Oberflächengewässern führen. Der EuGH legt für die "Verschlechterung" strenge Maßstäbe an. Es handele sich nicht um "eine bloße Zielvorgabe für die Bewirtschaftsplanung". Die Mitgliedstaaten müssten vielmehr in jedem Einzelfall verhindern, dass das "ökologische Potenzial" und der "gute chemische Zustand" eines Gewässers Schaden nehmen. Dieser Schaden tritt auch nicht erst ein, wenn das Gewässer in eine niedrigere Kategorie zurückgestuft werden muss. Eine verbotene Verschlechterung liege schon vor, wenn eine einzige "Qualitätskomponente" beeinträchtigt werde, heißt es vonseiten des EuGH. Öffentliches Interesse zählt Zu retten ist die Vertiefung der Weser und der Elbe damit nur noch über die in Artikel 4 (7) der Wasserrahmenrichtlinie vorgesehene Ausnahme, die der Gerichtshof ausdrücklich erwähnt. Für die Ausnahme vom "Verschlechterungsverbot" gibt es allerdings gewisse Anforderungen. Das betreffende Gewässer darf sich nicht schon vorher in einem besonders schlechten Zustand befinden und das entsprechende Projekt muss "von übergeordnetem öffentlichen Interesse" sein. Die Richtlinie verlangt außerdem, dass "alle praktikablen Vorkehrungen getroffen" werden, "um die negativen Auswirkungen auf den Zustand des Wasserkörpers zu mindern". Die endgültige Entscheidung darüber, ob die geplante Vertiefung der Weser und der Elbe diesen Anforderungen genügt, trifft jetzt das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig. Ob die Aussichten der beiden Projekte durch das Urteil des EuGH gestiegen sind, wird von den streitenden Parteien unterschiedlich beurteilt. Der Bund für Umwelt- und Naturschutz glaubt, dass die höchsten deutschen Verwaltungsrichter nicht nur das Ausbaggern der Flüsse unterbinden müssen, sondern auch alle anderen Baumaßnahmen für die Schifffahrt, wie sie beispielsweise an Elbe und Donau geplant sind. Auch Hans-Jörg Schmidt-Trenz, Hauptgeschäftsführer der Handelskammer Hamburg, geht davon aus, dass es in Zukunft schwieriger wird, gewerbliche Projekte zu genehmigen. Die Verkehrsexpertin der liberalen Fraktion im Europaparlament, Gesine Meißner, macht sich dafür stark, die Wasserrahmenrichtlinie zu ändern. Die Vorschriften seien "ziemlich realitätsfern". Zuversichtlicher ist der Wasserrechtsexperte Michael Reinhardt: Der EuGH habe "ein sehr pragmatisches Urteil gesprochen", sagt der Direktor des Instituts für Deutsches und Europäisches Wasserrecht, und das Verschlechterungsverbot abgemildert. In Bremen und Hamburg ist man davon nicht überzeugt. Die Befürworter der Vertiefung von Weser und Elbe setzen ihre ganze Hoffnung jetzt auf die Ausnahmeregel. "Wir können belegen, dass über die Weservertiefung gerade für die niedersächsischen Häfen ein volkswirtschaftlicher Nutzen entsteht", sagt Niedersachsens Wirtschaftsminister Olaf Lies (SPD). Davon geht auch der Hamburger Wirtschaftssenator Frank Horch (parteilos) aus: "Ich bin davon überzeugt, dass gute Gründe für eine Ausnahmeentscheidung bestehen. An dem unstrittigen, öffentlichen Interesse am Fahrrinnenausbau haben weder die EU-Kommission noch das Bundesverwaltungsgericht jemals irgendeinen Zweifel gelassen." Mit der Begründung der Fahrrinnenvertiefung hat der Senat ein Projektbüro beauftragt, das alle Argumente zusammengetragen hat, mit denen man die Richter in Leipzig überzeugen will. Die Hanseaten verweisen vor allem auf die entscheidende Bedeutung, die der Hamburger Hafen für die gesamte Region hat. Hier seien 155.000 Arbeitsplätze direkt oder indirekt vom Hafen abhängig, in ganz Deutschland seien es mehr als 261.000. Rund 14 Prozent der Wertschöpfung in Hamburg und mehr als 11 Prozent der Steuereinnahmen gingen auf den Hafen zurück. Gesetz verlangt zusätzlichen Nutzen Der Hafen ist also auch ohne die vertiefte Fahrrinne eine Erfolgsgeschichte. Ob die Hanseaten die Verwaltungsrichter damit alleine überzeugen können, ist fraglich. Denn die Richtlinie verlangt, dass die geplante Vertiefung der Fahrrinne einen zusätzlichen Nutzen bringt. Und sicher werden die Richter in Leipzig darauf achten, dass der Nutzen im Verhältnis zu den ökologischen Schäden steht. Stärker wiegt, dass der Hamburger Hafen seine Position im Wettbewerb zwischen den Nordseehäfen vielleicht nicht halten könnte. Von den 10.000 Schiffen, die Hamburg im Jahr anliefen, sagt der Sprecher der Handelskammer, Jörn Arfs, seien inzwischen 1000 an das "Tidefenster" gebunden. Das bedeutet, dass sie nur bei Flut ein- und auslaufen können. Oder sie können nicht ihre gesamte Ladekapazität nutzen. Mit der Vertiefung der Fahrrinne könnten größere Schiffe den Hamburger Hafen regelmäßiger anlaufen, was vor allem im Linienverkehr mit Containern von wachsender Bedeutung sei. Dieses Geschäft drohe ohne den Ausbau nach Rotterdam oder Antwerpen abzuwandern. Eine genaue Berechnung dazu gibt es aber nicht. Die Hamburger weisen allerdings darauf hin, dass die erwartete Wirkung in der Vergangenheit eingetreten sei. So sei das Wachstum des Containerumschlags Ende der 1990er-Jahre zurückgegangen, bis die Fahrrinne 1999 vertieft wurde. Im Jahr 2000 habe das Geschäft dann um 13,6 Prozent zugelegt und sei bis 2008 weiter mit zweistelligen Raten gewachsen. Der Rechtsstreit Weserausbau brachte Stein ins Rollen Die Wasser- und Schifffahrtsdirektion Nordwest genehmigte im Juli 2011 den Ausbau der Weser, damit Großcontainerschiffe mit einem Tiefgang bis 13,5 Meter den Bremer Hafen unabhängig von den Gezeiten erreichen können. Dafür muss die Bundeswasserstraße um 1,16 Meter vertieft werden. Flussaufwärts soll die Weser um einen Meter ausgebaggert werden. Gegen den Planfeststellungsbeschluss legte der Bund für Umwelt und Naturschutz Widerspruch ein. Der BUND rügt neben Verstößen gegen die Vorschriften zum Schutz der Umwelt und der Umweltverträglichkeitsprüfung auch Verstöße gegen die Wasserrahmenrichtlinie 2000/60/EG. Das Bundesverwaltungsgericht setzte das Verfahren aus, weil es Zweifel an der Anwendbarkeit der Richtlinie hatte und gab den Fall zur Klärung an den EuGH. Das höchste Gericht der EU entschied nun, dass die deutschen Behörden Baumaßnahmen unterbinden müssen, die zu einer Verschlechterung der Wasserqualität in der Weser führen. Eine Verschlechterung liegt schon dann vor, wenn sich ein Qualitätsmerkmal (Anhang V der Richtlinie) um eine Klasse verschlechtert. Gleichzeitig weist der Gerichtshof darauf hin, dass Ausnahmen vom "Verschlechterungsverbot" möglich sind, wenn sie im öffentlichen Interesse sind und Ausgleichsmaßnahmen erfolgen. Die vom EuGH aufgestellten Grundsätze finden auch auf die geplante Vertiefung der Elbe Anwendung, die ebenfalls vom Bundesverwaltungsgericht geprüft wird. tw

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