Smarte Lösung für die City

Wie lässt sich der drohende Verkehrskollaps abwenden, ohne die Versorgung und Bewegungsfreiheit der Bürger und der KEP- und Logistikunternehmen einzuschränken? Darüber diskutieren seit vielen Jahren Logistiker, Hersteller und Stadtplaner. Potenzial, den urbanen Verkehr zu reduzieren, wird auch im 3-D-Druck gesehen - basierend auf der Annahme, dass verschiedene Güter innerstädtisch, in unmittelbarer Nähe, idealerweise direkt beim Konsumenten gefertigt werden können. Es geht darum, die Produktion wieder in die Städte zu verlagern, um so Anfahrtswege zu optimieren. Idee ist auch, dass die Haushalte der Endverbraucher selbst zu Produktionsstätten werden. Konsumenten werden zu Prosumern Der 3-D-Druck, auch Additive Fertigung genannt, ist keine Neuheit. "Das Prinzip des 3-D-Drucks gibt es seit den 80er-Jahren, aber heute wächst der Markt explosionsartig", erklärt Alan Amling, Vice President für Marketing bei United Parcel Services (UPS) Global Logistics & Distribution. So wird der 3-D-Druck schon seit Langem bei der Produktion von Prototypen und Spezialteilen eingesetzt. Mit der zunehmenden Digitalisierung und dem Angebot erschwinglicher leistungsfähiger 3-D-Drucker entstehen aber zusätzliche Möglichkeiten. Beispielsweise für kleine Produktions-Hubs, die mit der Technologie für die Additive Fertigung ausgestattet sind. Konsumenten drucken dort die selbst entworfenen Produkte - damit werden die Verbraucher zu sogenannte Prosumern, die von dem Modell Manufacturingas-a-Service, also der zeitweisen Nutzung der Drucker, Gebrauch machen. Bislang blieb der große Schub allerdings aus. Aus verschiedenen Gründen. So lässt sich bislang nur ein kleiner Teil der typischerweise von Haushalten nachgefragten Produkte im 3-D-Verfahren drucken. Und dort, wo dies möglich ist, entspricht die Qualität oft noch nicht den Erwartungen. Zudem ist der Druck von Einzelteilen meist teuer, der 3-D-Druck als Alternative zum Kauf fertiger Produkte bleibt damit unattraktiv. Ausnahmen bilden bislang nur individualisierte Produkte, etwa Halter für die SD-Karten, die für einige Verbraucher aufgrund der Individualität der gedruckten Produkte den höheren Preis rechtfertigen. Masseneinsatz rückt näher Dabei stufen Experten das Potenzial der Additiven Fertigung als sehr hoch ein, vor allem bei der Produktion von Ersatzteilen, aber auch von Serienteilen in der Massenfertigung. Flugzeug- und Automobilhersteller setzen das heute schon um. Mit dem Reifegrad der Technologie werden sich die Einsatzmöglichkeiten, bedingt durch die steigende Qualität und sinkende Kosten der Geräte, kontinuierlich erweitern. Der Masseneinsatz jenseits der traditionellen Fertigung, der für die erhebliche Verbesserung der urbanen Verkehrslage nötig ist, rückt also Schritt für Schritt näher. Was sollte das Ziel des Einsatzes von 3-D-Druckern sein? Im Zusammenhang mit Additiver Fertigung bieten sich den Städten zur Entlastung der Verkehrslage zwei Strategien an: Reduzierung und Bündelung. Zum einen geht es darum, die Anzahl der Zustellungen zu minimieren. Dies lässt sich beispielsweise durch die Reduzierung der Bestände in den städtischen Verkaufsstellen erreichen. Vieles von dem, was in die Städte befördert wird, wird niemals verkauft. Entweder weil der Bedarf sich wandelt oder zu viel produziert wurde. Diese Waren wurden dann nicht nur ohne Nutzen angeliefert, sie müssen dann auch am Ende wieder abgeholt und entsorgt werden. Der 3-D-Druck kann helfen, indem er die Fertigung auf Bedarf ermöglicht - und dies zügig im Moment des Bedarfs. Zum anderen sollten die verbleibenden Mengen auf weniger Zustellpunkte gebündelt werden. Der 3-D-Druck ermöglicht auch die distribuierte Fertigung, also die Verteilung der vielfach national oder regional zentralisierten Produktionsstätten auf viele kleine dezentrale distribuierte Fertigungseinheiten. Der Konsument kann dann online bestellen, und der Laden an der Ecke druckt dann das Produkt. Die letzte Meile ließe sich so durch den Fußmarsch oder das Fahrrad ersetzen. Fertigung auf Bedarf Die Industrie macht es den Städten vor. Sie produziert bereits Serienteile in der gewünschten Menge, am gewünschten Ort und zur gewünschten Zeit. Was spricht also dagegen, Ersatzteile und andere Produkte nur bei Bedarf zu drucken? Und zwar genau dort, wo sie gebraucht werden. Vor Ort, in der Nähe des Verbrauchers, in der Stadt. Mittels 3-D-Druckern, die in den städtischen Läden, Warenhäusern und anderen Druckzentren stehen. Dies reduziert nicht nur die Warenströme, sondern verkürzt auch Lieferzeiten und Lagerkosten. Weiterer Vorteil ist: Irrtümlich, falsch oder zu viel bestellte oder gar beschädigte Ware muss nicht zurück zu ihrem Ursprungsversender transportiert werden. Dieser Transport kann eingespart werden. Denn es wird immer nur das produziert, was auch tatsächlich gebraucht wird. Überschüssige Ersatzteile und hohe Ersatzteilwarenbestände gehören damit der Vergangenheit an. Welche Potenziale damit gehoben werden können, hat unter anderem DiManEx, ein Unternehmen mit Sitz in Amsterdam, identifiziert. Bei Recherchen zum digitalen Lagerbestand hat das Unternehmen nach eigenen Angaben ermittelt, dass etwa 80 Prozent der Produkte in einem Lagerhaus nur zweimal im Jahr verkauft werden. Obwohl wahrscheinlich nicht allgemeingültig, deutet diese Erhebung auf erhebliche Einsparpotenziale hin. Würde man einen Teil der derzeit gelagerten Produkte bei Bedarf additiv fertigen, könnten Kosten eingespart, Kapital freigesetzt, Transporte gestrichen und CO2 Emissionen reduziert werden. Gemäß DiManEx können Unternehmen allein durch den 3-D-Druck von nur zwei Prozent der vorhandenen Teile eine Steigerung des Ebitda (= Gewinn vor Zinsen, Steuern, Abschreibungen auf Sachanlagen und Abschreibungen auf immaterielle Vermögensgegenstände - die Redaktion) um fast sechs Prozent erzielen. Ein Kunde des Unternehmens soll durch die Umstellung auf den 3-D-Druck die Gesamtbetriebskosten für die Ersatzteil-Produktion gar um fast 80 Prozent gesenkt haben. Sollten sich die Ergebnisse bestätigen, bringt der 3-D-Druck nicht nur eine Entlastung auf den Straßen, sondern zudem auch viele Vorteile für Unternehmen und Konsumenten. Auch eine Verbesserung des Kundenservice ist zu erwarten. Denn auch dort bringt die Fertigung auf Bedarf Kosten- und Zeitvorteile. Die Monteure lassen die Teile, die sie benötigen, in ihrer Nähe drucken. Distribuierte Fertigung Die vierte industrielle Revolution hebt die technologische Entwicklung auf eine neue Ebene. Dies beinhaltet neben dem 3-D-Druck auch das Internet der Dinge und die Roboter. Nicht nur die Entwicklungsgeschwindigkeit der Technologien nimmt ständig zu, insbesondere die Bündelung neuer mit verbesserten herkömmlichen Technologien bringt höchst innovative leistungsfähige Lösungen hervor. In der Fertigungsmethode ist dies insbesondere die distribuierte Fertigung. Roboter und 3-D-Drucker erlauben den Produktionsunternehmen, die Produktion der Produkte in die Nähe der Märkte oder gar einzelner Konsumenten zu bringen. Daten, die über Kommunikationsnetze und das industrielle Internet der Dinge gesendet werden, steuern die Maschinen und 3-D-Drucker und informieren die Kontrollräume über den Stand der Dinge. In der Stadt kann distribuierte Fertigung insofern helfen, dass kleine Produktionsanlagen, die 3-D-Drucker, in Geschäften aufgestellt und betrieben werden können. Dort wird dann eine bestimmte Bandbreite von Gütern im Druckverfahren nach Bedarf und entsprechend der Nachfrage hergestellt. Die Läden werden mit den Druckmaterialien versorgt, und damit entfällt die Einzelzustellung von Bestellungen an die Privatadresse oder den Arbeitsplatz. Natürlich werden weiterhin online Bestellungen ausgeliefert, aber die Mengen könnten dank 3-D-Druck durchaus signifikant gesenkt werden. Vorausgesetzt, das Modell findet weitgehende Verbreitung. Eine Kombination von Transport und Fertigung ist die rollende Fabrik. Verkaufs- und Produktionsflächen in den Innenstädten sind rar und die Mieten hoch. Daher hat Amazon ein Patent angemeldet, dass eine Rollende Fertigung zum Gegenstand hat. Vom Kunden bestellte Ware wird noch während der Fahrt im Zustellfahrzeug produziert. Damit möchte das E-Commerce Unternehmen die Lieferzeit verkürzen. Auch dies ist nur mithilfe von 3-D-Druckern möglich. Der produzierende Logistiker Logistikfirmen übernehmen schon heute die finale Montage einzelner Teile vor der Auslieferung an die Kunden. Der 3-D-Druck kann die Breite der Services erheblich erweitern und die Logistiker zu Produzenten machen. Denn die Maschinen werden durch Daten aus der Ferne gesteuert. Der Logistiker übernimmt das Management der Warenströme und stellt Raum zur Aufstellung der 3-D-Drucker bereit. Er bedient auch die Maschinen vor Ort. Dies kann auch in Cityshops erfolgen, die etwa den Express- und Paketdiensten als Annahme- und Ausgabestellen dienen. Das eröffnet neue Geschäftschancen - sowohl für die Logistiker als auch für den Einzelhandel. Umso wichtiger ist es, dass sich Logistik- und Transportunternehmen dem Thema 3-D-Druck stellen. Denn durch die Fertigung von Ort und auf Bedarf entfallen Transport- und Lagerleistungen, vor allem die letzte Meile verändert sich. Derlei Verschiebungen und Umsatzeinbußen lassen sich aber durch 3-D-Druck-Zentren und neue Leistungen kompensieren. Dies erfordert, dass sich die Logistikbranche mit den neuen Möglichkeiten konkret auseinandersetzt. Zu den Logistikern, die dieses Potenzial erkannt haben, gehören UPS, Panalpina und DB Schenker. UPS hat schon vor einigen Jahren begonnen in den UPS Stores 3-D-Drucker aufzustellen. In Zusammenarbeit mit Fast Radius entstanden eine On-Demand-Produktion-Plattform und die 3-D-Druck Fabrik in Louisville, Kentucky. Panalpina ging im Jahr 2016 eine Partnerschaft mit 3S-Druck Spezialist Shapeways ein und DB Schenker hat auf der Messe Transport Logistic 2019 ein hochmodernes 3-D-Druck-Verfahren präsentiert, mit dem die schnelle Verfügbarkeit von Ersatzteilen im Bereich Schienenverkehr gewährleistet werden soll. Stand und Entwicklung im 3-D-Druck lassen sich am Beispiel BMW veranschaulichen: Der Automobilhersteller setzt den 3-D-Druck seit 25 Jahren ein - zunächst für Prototypen oder individuelle Einzelteile. Dies änderte sich 2012 mit dem Rolls Royce Phantom, für den Endanwenderteile in Serienproduktion mit der 3-D-Drucktechnologie hergestellt werden. Vor allem bei der Herstellung von Bauteilen mit komplexen Geometrien zeigen sich nach Erfahrung der BMW Group die Vorteile der Herstellung mit 3-D-Druck. Viele Teile sind mit den herkömmlichen Verfahren wie Guss und Subtraktive Fertigung einfach nicht machbar. Im Juni 2020 eröffnet BMW seinen Additive Manufacturing Campus. Der BMW Campus vereinigt die Produktion von Prototypen und Serienbauteilen, die Forschung an 3-D-Drucktechnologien und die Qualifizierung von Mitarbeitern. Ein klares Bekenntnis zur neuen Technologie. Derartige privatwirtschaftliche Initiativen helfen die Wissensbasis zu erweitern und fördern damit die Weiterentwicklung in Richtung Massenanwendung des 3-D-Drucks. Ob irgendwann jeder seine eigene Fabrik im Keller haben wird, ist fraglich. Die dezentrale, über unsere Städte verstreute Fabrik ist jedoch in zehn bis zwanzig Jahren vorstellbar. Diese könnte das Stadtbild in der Tat stark verändern und zu einer Umschichtung und Reduzierung der Mengen auf der letzten Meile führen. Zudem könnten auch weniger dicht besiedelte Gebiete, die heute unter Angebotsmangel leiden, wieder besser versorgt werden. Logistik ist das Bindeglied Um den 3-D-Druck massenfähig zu machen, brauchen wir die Zusammenarbeit von Forschung, Stadtverwaltung, Herstellern und Verbrauchern. Denn die Umsetzung der 3-D-Druck Vision hängt von vielen Faktoren ab. Vom technischen Fortschritt im Bereich der Additiven Fertigung, vom Leidensdrucks der Städte, die mit Programmen und Vorschriften die Entwicklung steuern und beschleunigen können, von der Fähigkeit der Hersteller, ihre Produktion auf das distribuierte Modell umzustellen, und der Akzeptanz der Konsumenten. Und die Logistik spielt bei alledem eine strategische Rolle. Denn sie ist das Bindeglied, das die Warenflüsse organisieren muss. Autor - Wolfgang Lehmacher, Start-up-Investor und Berater Wolfgang Lehmacher ist 1960 in Bonn geboren. Der Supply-Chain- und Logistikexperte ist heute Unternehmensberater, Startup-Investor und arbeitet unter anderem mit HyperloopTT. Zudem ist er Chairman des Board of Directors von Logen, Korea, und Mitglied des Board of Director Roambee in Kalifornien. Lehmacher ist ehemaliger Director, Head of Supply Chain and Transport Industries beim World Economic Forum sowie Partner und Managing Director für Greater China und Indien bei der globalen Strategie-Beratung CVA. In seiner beruflichen Karriere war Lehmacher unter anderem Präsident und CEO der GeoPost Intercontinental sowie Vorstand von GeoPoste, Regionaldirektor Osteuropa und östlicher Mittelmeerraum sowie Country General Manager Schweiz bei TNT sowie Geschäftsführer bei DPD.

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