Sie rollt und rollt und rollt

Angesichts des Kostendrucks in großer Existenzangst: das Transport-und Speditionsgewerbe Sie rollt und rollt und rollt Auf Transport- und Speditionsbetriebe rollt eine gigantische Kostenwelle zu. Erst wurden ihnen die Fahrerarbeits-, Lenk- und Ruhezeiten gekürzt, dann explodierten die Dieselpreise. Nun droht der nächste Kostenschub: ab 2009 soll die LKW-Maut dramatisch steigen. Bundesverkehrsminister Wolfgang Tiefensee hätte den Zeitpunkt nicht unglücklicher wählen können: Pünktlich zum gegenwärtigen Dieselpreisschock an deutschen Tankstellen beschlossen er und seine Bundeskabinettskollegen am 18. Juni 2008 eine massive Anhe-bung der LKW-Maut zum 1. Januar 2009. Bundestag und Bundesrat müssen der Verordnung aber frühestens Mitte September 2008 noch zustimmen. Und wie diese abstimmen, ist noch völlig offen. Das zeigt eine exklusive Umfrage der VerkehrsRundschau unter den Bundesländern (s. Übersicht auf Seite 22). Nur Berlin, Niedersachsen und Bayern halten mit ihrer Meinung nicht hinter dem Berg. Ganz klar zu den Mautbeschlüssen bekennt sich zum Beispiel die Berliner Senatsverwaltung für Stadtentwicklung: "Eine Mautanpassung aufgrund der realen von schweren LKW verursachten Kosten ist sogar überfällig." Ganz anders sieht das Niedersachsens Wirtschaftsminister Walter Hirche: "Die Belastungsgrenze der Unternehmen des Verkehrsgewerbes ist längst erreicht", kritisiert er die Beschlüsse scharf. ""Eine deutliche Mauterhöhung käme zur Unzeit," warnt auch Bayerns Wirtschaftsministerin Emilia Müller (s. nebenst. Interview). Der geplante Mautpreisschock in Zahlen: Selbst emissionsarme LKW mit Euro-5-Motoren und ab vier Achsen müssen ab dem kommenden Jahr mit 40 Prozent höheren Mautgebühren rechnen. Auf Euro-3-Fahrzeuge ab vier Achsen, die fast zwei Drittel der Transporteure einsetzen, kommt gar eine Anhebung von 72,3 Prozent zu. Am stärksten trifft es Euro-1- und Euro-2-LKW mit drei Achsen: ihre Maut soll um ganze 88,3 Prozent angehoben werden (s. Tabelle auf Seite 23). Kein Wunder, dass die Transport- und Speditionsunternehmen entsetzt sind. "Die Stimmung im Gewerbe ist miserabel", bringt es Klaus-Peter Niehof, Leiter der Unternehmensberatung SVG-Zentrale in Frankfurt/Main, auf den Punkt. Und noch schlimmer: Nachdem in den letzten Jahren die Pleitewelle in der Branche abgeebbt war, fürchtet er nun "einen erneuten enormen Anstieg der Firmenpleiten" – insbesondere unter mittelständischen Transportdienstleistern mit zehn bis 20 Fahrzeugen. "Zwei- bis dreimal mehr Betriebsaufgaben als im letzten Jahr" sind laut Professor Karlheinz Schmidt, Hauptgeschäftsführer des Bundesverbandes Güterkraftverkehr Logistik und Entsorgung (BGL) in Frankfurt/Main, durchaus realistisch, also schätzungsweise bis zu 3000 Betriebe. Schließlich stünden die Firmen schon jetzt wegen des gestiegenen Dieselpreises "mit dem Rücken an der Wand". Werde nun noch die Mauterhöhung draufgepackt, "wäre dies das Ende für viele Transporteure". Hans Wormser, Geschäftsführer der Spedition Wormser in Herzogenaurach, bestätigt dies. Er kennt die momentanen Kostennöte im Transportgewerbe aus eigener Erfahrung. Allein die gestiegenen Dieselpreise verursachten bei ihm seit Mai 2007 – Wormser hat 200 Fahrzeuge im Einsatz – Mehrkosten von zwei Millionen Euro. Zusätzlich kosten ihn die neuen gesetzlichen Fahrer-arbeits-, Lenk- und Ruhezeiten bares Geld. "Zwischen 13 bis 17 Prozent höhere Fahrpersonaleinsatzkosten haben wir seit September 2006, weil wir damit weniger Umläufe realisieren können", rechnet er vor. Kurz, das Gewerbe sei jetzt schon genügend belastet. Daher ist für ihn eines klar: "Wir werden die Mehrkosten nicht alleine schultern, sondern diese rigoros den Verladern in Rechnung stellen." Akzeptiere dieser das nicht, "werden wir uns von ihm trennen", kündigt Wormser an. Andernfalls riskiere er seinen Betrieb an die Wand zu fahren. Im Bundesverkehrsministerium kann man die Aufregung im Transport- und Speditionsgewerbe nicht nachvollziehen. Schließlich werde die durchschnittliche LKW-Maut nur von derzeit 13,5 auf 16,2 Cent pro Kilometer zum 1. Januar 2009 angehoben, heißt es. Zudem werde die Maut nach Achszahl und Umweltfreundlichkeit der LKW gespreizt. Schadstoffarme Euro-5-LKW würden also viel weniger belastet als Fahrzeuge der Euro-Klassen 0 und 1. "Damit geben wir einen Anreiz umzustellen", begründete der Bundesverkehrsminister der Zeitschrift Focus gegenüber sein Vorhaben. Und noch etwas kündigte Tiefensee in diesem Interview an: Er erwartete Zusatzeinnahmen von 850 Millionen Euro in 2010. Laut BGL sind das "geschönte Zahlen", mit der die Bundesregierung die Öffentlichkeit täusche. LBT-Präsident Hans Wormser, geht sogar einen Schritt weiter: "Bundesverkehrsminister Wolfgang Tiefensee ist ein Taschentrickspieler", schimpft er. "Tiefensee lügt. Seine vorgelegten Zahlen sind falsch. De facto kommen durch die Mauterhöhung 2,2 Milliarden Euro Mehrkosten auf die Transportbetriebe zu und nicht 850 Millionen Euro!" Wie es zu dieser hohen Diskrepanz komme? "Die von dem Bundesverkehrsminister genannten Zahlen kommen nur zu Stande", rechnet Wormser vor, "weil Tiefensee davon ausgeht, dass 70 Prozent der Fahrleistungen auf Autobahnen in 2010 mit Euro-5-LKW erfolgen." Tatsächlich würden aber maximal 64 Prozent der Transporteure derzeit Euro-2- und -3-LKW einsetzen, weiß der LBT-Präsident. Bis 2010 dürfte der Anteil von Euro-5-LKW zwar steigen, "aber nie auf die von Tiefensee geschätzten 70 Prozent". Kurz: die Mautbelastung für die Transportunternehmen falle deutlich höher aus, als vom Bundesverkehrsministerium gesagt. Scharfe Kritik kommt auch von BGL-Hauptgeschäftsführer Karlheinz Schmidt. Er wirft dem Ministerium vor, die vorgesehenen Mauterhöhungen mit Wegekosten zu begründen, die "zum Teil auf aberwitzigen Rechenannahmen" beruhen. So werden hier die Grundstücke, auf denen die Straßen verlaufen, nach Neubaupreisen gerechnet, obwohl die Grundstücke zum Teil schon vor Jahrzehnten vom Bund gekauft worden seien. Dadurch blähe man aber die kalkulatorischen Zinsen fälschlicherweise auf. "Dieser Kritikpunkt ist falsch", verteidigt hingegen Progtrans-Geschäftsführer Stefan Rommerskirchen die von Schmidt monierte Wegekostenanalyse. Er hatte erst unlängst das Gutachten gemeinsam mit dem Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) und dem Institut für Wirtschaftspolitik und Wirtschaftsforschung der Universität Karlsruhe (IWW) erstellt (s. www.verkehrsrundschau.de). Auftraggeber war seinerzeit das Bundesverkehrsministerium, das eine Grundlage für die jetzt geplante Mauterhöhung brauchte. Unter anderem folgende Fragen sollten die Wissenschaftler dafür klären: Wie viel Fahrleistung haben die einzelnen Fahrzeuggruppen auf Autobahnen und Bundesstraßen bis zum Jahr 2012? Wie hoch darf der derzeitige Wert der deutschen Autobahnen angesetzt werden? Wie viel Geld kostet der Werterhalt und künftige Ausbau des Autobahnnetzes? Rommerskirchen verteidigt die nun ermittelten Zahlen: "Im Endeffekt haben wir eine ökonomische Abschreibung gemacht. Das heißt, wir ermittelten den Gebrauchswert der Autobahnen und setzten den nutzungsabhängigen Wertverzehr als Wegekosten an." Die so festgestellten Kosten wurden danach auf die einzelnen Fahrzeuggruppen umgelegt. Und eben daran orientiere sich auch das Bundesverkehrsministerium mit der nun geplanten Mauterhöhung. Klingt plausibel. Doch dem Gewerbe ist damit nicht weitergeholfen. Im Gegenteil: Ein Ende der Kostenwelle scheint nicht in Sicht. Ganz im Gegenteil: Es wird in den nächsten Jahren nochmals teurer. So droht ab September 2009 die gesetzlich verordnete Weiterbildung für LKW-Fahrer (s. VR 25/09) und damit nochmals Mehraufwand für die Betriebe. Und an der Kostenfront Diesel stellt sich noch längst keine Trendwende ein. Denn so klimafreundlich zum Beispiel die Reduzierungsbemühungen der Nutzfahrzeughersteller in Sachen Stickoxiden und Feinstaub sind. De facto wirken sich diese verbrauchssteigernd aus. Das zeigte sich unlängst in der Podiumsdiskussion "Trends in der Nutzfahrzeugtechnik" auf dem Unternehmertag des nordrhein-westfälischen Verkehrs- und Logistikverbandes (VVWL). Und mit der Schadstoffklasse Euro 6 dürfte der LKW wohl nochmals mehr Diesel schlucken müssen. Bleibt nur die alles entscheidende Frage. Wie werden die Kunden auf die höheren Kosten reagieren? Werden sie die höheren Preise ihrer Verkehrsdienstleister akzeptieren. Die Antwort von Gunnar Gburek, Bereichsleiter Logistik des Bundesverbandes Materialwirtschaft, Einkauf und Logistik (BME) in Frankfurt/Main, stimmt zumindest hoffnungsfroh: "Die steigenden Transportkosten werden zu einem gesamtwirtschaftlichen Preisanstieg führen. Letzten Endes werden davon alle Konsumenten betroffen sein", sagt er auf Anfrage der VR. Mit anderen Worten, die Verlader stellen sich auf höhere Preise ein und werden diese wohl auch azeptieren. ❙❚■ Eva Hassa, Tanja Strauß, Rocco Swantusch, Anita Würmser