Risikofaktor Wachstum

Von 30 auf über 200 Mitarbeiter - die letzten zehn Jahre waren turbulent bei der HTL Peter Messner. Das Unternehmen mit Sitz im baden-württembergischen Murr ist als Dienstleister für die Automobilindustrie tätig, Schwerpunkt sind Lager-, Kontrakt- und Verpackungslogistik. Die verfügbare Hallenfläche stieg von 10.000 auf über 70.000 Quadratmeter. Und in hohem Tempo kommen neue Services dazu: Seit Kurzem übernimmt HTL zum Beispiel auch die Reinigung von Zulieferteilen, die per Schiff aus dem Ausland kommen. Wie wird das Dauerwachstum bewältigt? "Man muss dafür sorgen, dass die Strukturen mitwachsen", erklärt Geschäftsführer Michael Messner. Bei HTL bedeutete das unter anderem, die Abteilungsteams Controlling, Personal, Buchhaltung sowie die Geschäftsführung personell zu verstärken. Finanzbuchhaltung professionalisieren Das Wachstum managen - dieser Punkt kommt in vielen Transport- und Logistikunternehmen zunehmend auf die Agenda. Denn die Auftragslage in der Branche ist so gut wie lange nicht mehr. Laut Ifo-Geschäftsklimaindex blicken Speditionen - trotz leichter Dämpfer im letzten Quartal - weiter optimistisch in die Zukunft und auch die Verlader aus Industrie und Handel rechnen für den Rest des Jahres mit steigenden Umsätzen. Für viele Transportunternehmer bedeutet das: Der Sprung in die nächste Umsatzliga steht bevor. Wie können die Betriebe ihre Organisation fit machen für weiter anhaltendes Wachstum? "Ganz wichtig ist, die Finanzbuchhaltung zu professionalisieren", sagt Sabine Winter von der Ecovis Unternehmensberatung, Glauchau. Sie kennt die Schwachstellen kleinerer Betriebe. "Häufig werden Konten in einen Topf geworfen", beobachtet Winter. Als erste Maßnahme empfiehlt sie, Kostenstellen zu schaffen (Beispiel: Fuhrpark, Werkstatt) und Kostenträger einzurichten. Das bedeutet, anfallende Kosten werden nicht mehr nur in ihrer Gesamtheit erfasst, sondern dem jeweiligen Verursacher zugerechnet. "So wird zum Beispiel sichtbar, welche Lkw kostendeckend fahren und welche nicht", erklärt Winter. Sind die jeweiligen Zahlen erhoben, sollte der Betrieb in einem zweiten Schritt prüfen, wie wirtschaftlich er im Vergleich mit anderen arbeitet (Benchmarking). Kammern, Banken oder Verbände bieten dazu Branchenberichte an, in denen Vergleichszahlen enthalten sind. Stellt der Unternehmer fest, dass er bei bestimmten Kosten (Personal, Reparaturen) über dem Branchendurchschnitt liegt, sollte er an diesen Punkten ansetzen, um seine Wettbewerbsfähigkeit zu verbessern. Abläufe möglichst viel automatisieren Der zweite große Punkt auf der Wachstumsagenda heißt Automatisierung. "In kleinen Betrieben wird sehr viel mit Excel-Tabellen gearbeitet und händisch überwacht, zum Beispiel auch im Forderungsmanagement", stellt Winter in ihrer Praxis fest. Wer dauerhaft den Sprung in eine höhere Umsatzliga schaffen will, sollte solche Prozesse mithilfe von digitalen Werkzeugen abwickeln. Die Datev zum Beispiel bietet Software an, mit der sich viele betriebswirtschaftliche Prozesse quasi auf Fließbandproduktion umstellen lassen. Solche Werkzeuge beschleunigen und verbessern zudem die Kalkulation, denn wenn betriebswirtschaftliche Daten automatisiert aufbereitet vorliegen, sieht man sofort, zu welchen Preisen rentabel angeboten werden kann. "Es sollte weniger aus dem Bauch heraus kalkuliert werden", fasst Beraterin Winter zusammen. Wer für die Umstellung auf digitale Arbeitsprozesse einen Berater engagiert, bekommt vom Staat dafür sogar Zuschüsse (siehe Kasten Seite 37). Noch ein Hinweis zum Thema IT: Selbst wenn die nötigen Programme vorhanden sind, tun sich Mitarbeiter mit deren Bedienung oft schwer. Selbst alte Hasen nutzen die Werkzeuge sehr ineffizient, ganz einfach, weil ihnen niemand den professionellen Umgang gezeigt hat. Das kann sich zum Flaschenhals entwickeln, wenn der Betrieb dauerhaft wächst. "Planen Sie mehr Schulungen ein und verbessern Sie die Einarbeitung neuer Mitarbeiter", empfiehlt Alexander Thalhammer, Geschäftsführer des Weiterbildungsanbieters Green Duck, Grevenbroich, der sich auf die Logistikbranche spezialisiert hat. Kennzahlen schaffen und einhalten Automatisierung mithilfe von Software ist jedoch nur eine Seite der Medaille, mindestens genau so wichtig ist die Automatisierung von Abläufen. Für immer wiederkehrende Prozesse sollte es eine Checkliste geben, in der genau aufgeführt ist, wer was erledigen muss. Gut aufgestellte Betriebe legen zum Beispiel exakt fest, was bei der Anfrage eines neuen Kunden zu tun ist: Kundendaten erfassen und zentral speichern, telefonische Rückfrage einleiten, Anfrage an einen Vertriebsmitarbeiter oder - ab einem gewissen Volumen - an die Geschäftsleitung durchreichen. Für jeden Arbeitsschritt wird zudem eine Zeitvorgabe gemacht, deren Einhaltung man mit Kennzahlen überwacht. In manchen Betrieben gibt es für fast jeden Vorgang so eine Checkliste bis hin zur Einstellung eines neuen Mitarbeiters. Das mag auf den ersten Blick bürokratisch erscheinen, doch wenn nach Checkliste gearbeitet wird, müssen alle Beteiligten weniger nachdenken und die Bearbeitungszeiten verkürzen sich - gerade in turbulenten Phasen. Wächst der Betrieb stark, gewinnt natürlich auch das Thema Kapitalbeschaffung an Bedeutung. "Irgendwann kommt der Punkt, an dem man sich nicht mehr selbst finanzieren kann", bestätigt Logistiker Messner, "man sollte frühzeitig mit der Bank reden sowie weitere Banken an Bord holen, am besten, wenn man gut dasteht." Gerade in der Transportbranche ist eine solide Finanzierung wichtig, da etliche Monate vergehen können, bis das Geld des Kunden auf dem Konto eingeht. Der Unternehmer sollte alle Finanzierungsquellen kennen und professionell erschließen, etwa über Factoring, also den Verkauf von Forderungen. Ein Tipp für alle, die zusätzliches BWL-Wissen tanken wollen: Die SVG organisiert über ihren Beratungsarm (SVG Consulting) Erfahrungsaustauschgruppen und Seminare für Geschäftsführer von Transportunternehmen. Flaschenhals Personalmangel Boom-Zeiten wie jetzt sollten Betriebe außerdem nutzen, um die Weichen für die Zukunft zu stellen. Diese Strategiearbeit wird häufig vernachlässigt. "Viele Anbieter werden zu stark von den Kundenforderungen getrieben. Man agiert nicht, sondern reagiert nur", beobachtet Berater Thalhammer, selbst jahrelang bei Marktgrößen wie Hellmann, Trans-o-flex oder Schenker tätig. Sein Rat an Unternehmen in Wachstumsphasen: Trotz aller Hektik im Tagesgeschäft nicht den langfristigen Blick verlieren. "Setzen Sie auf saubere Planung." Jedes Transportunternehmen sollte sich regelmäßig die Zeit nehmen, strategische Fragen zu beantworten - gegebenenfalls zusammen mit dem Kunden. Was kommt auf uns zu? Auf welches Marktsegment wollen wir uns fokussieren? Was brauchen wir an Manpower oder IT, um die anstehenden Aufgaben zu bewältigen? Aus den Antworten sollte ein Aktionsplan abgeleitet werden, in dem steht, wer für welche Maßnahme zuständig ist. Auch hier gilt natürlich: Nachhalten ist Pflicht. Die beste Strategie hilft aber nichts, wenn die Leute für die Umsetzung fehlen. Personalmangel ist der Flaschenhals in vielen Speditionen, gerade im Süden Deutschlands, wo die Arbeitsmärkte abgeräumt sind. Experten beobachten, dass der Mangel mancherorts auch hausgemacht ist. "Das Thema Employer Branding, also die Stärkung der Arbeitgebermarke, wird gerade im Mittelstand nach wie vor vernachlässigt", beobachtet Thalhammer. Von unrentablen Aufträgen trennen Beim Thema Personal mangelt es insgesamt oft an Planung und Nachhaltigkeit. Ein Beispiel: Die Mannschaft wird mit großem Tamtam auf eine Fortbildung geschickt - doch das war's dann schon. Es folgen keine Maßnahmen und die Weiterbildungsoffensive stockt. Besser wäre es, das Personal durchgehend weiterzubilden, das stärkt auch den Ruf des Arbeitgebers. Daneben rät Thalhammer kleinen und mittleren Speditionen, mehr interessante Programme für Einsteiger zu schaffen (ähnlich den Trainee-Programmen der Großen am Markt) und die Möglichkeiten in der Rekrutierung besser auszuschöpfen, etwa durch die Nutzung von sozialen Netzwerken wie Facebook. Kurzum: Die Wachstumsagenda ist lang. Wie gehen Praktiker mit der Herausforderung um? "Man steht erst mal vor einem Berg", gibt Logistiker Messner zu, "und bis alles steht, dauert es länger, als man denkt". Schmerzhaft sei es vor allem gewesen, sich von kleinen Kunden und unrentablen Geschäften zu trennen. Im Zuge der Konzentration auf die Kontraktlogistik hat HTL Peter Messner zum Beispiel kleine regionale Verkehre eingestellt. Was rät Messner Branchenkollegen, die ihren Betrieb dauerhaft auf Wachstumskurs bringen wollen? "Lernen Sie abzugeben, holen Sie sich Leute dazu und besuchen Sie Seminare. Ganz nach dem Motto 'Man lernt nie aus'." Mehr zum Thema im Dossier Unternehmensführung www.verkehrsrundschau.de/dossiers VR-Tipps In sechs Schritten zur besseren Betriebsorganisation- Verbessern Sie die Arbeitsteilung. Je größer der Betrieb ist, desto weniger Operatives kann und sollte der Chef selbst erledigen. Verstärken Sie das Back-Office, vor allem die Buchhaltung. Die Geschäftsleitung sollte sich auf Kundengespräche, Personalstrategie und Planung konzentrieren.- Professionalisieren Sie Ihre Finanzbuchhaltung. Nicht mehr alle Kosten "in einen Topf werfen", sondern Kostenstellen und Kostenträger einrichten. Berechnen Sie die Rentabilität für einzelne Routen und Fahrzeuge. Trennen Sie sich von unrentablen Kunden.- Automatisieren Sie so viele Abläufe wie möglich. Rechnungen verarbeiten, Forderungen verfolgen oder Preise kalkulieren - all diese Prozesse sollten Sie nicht "von Hand" mithilfe von Excel-Tabellen abwickeln, sondern mit Software-Werkzeugen.- Stellen Sie für wiederkehrende Abläufe eine Art von Checkliste auf, in der vermerkt ist, wer was in welcher Zeit zu tun hat. Beispiele: Bearbeitung einer Anfrage, Teilnahme an einer Ausschreibung, Einstellung eines neuen Mitarbeiters.- Planen Sie strategischer. Legen Sie fest, auf welche Marktsegmente Sie sich langfristig konzentrieren wollen, und erstellen sie einen Aktionsplan, in dem Aufgaben und Zuständigkeiten festgelegt werden.- Verstärken Sie Ihre Rekrutierung. Das Thema Fahrermangel wird sich in den kommenden Jahren noch verschärfen. Erschließen Sie Rekrutierungskanäle über die klassische Zeitungsanzeige hinaus und schärfen Sie Ihr Profil als Arbeitgeber. Dazu gehört auch, kontinuierlich in die Weiterbildung der Mitarbeiter im Unternehmen zu investieren. cg Praxisbeispiel Liquid Concept "Durch unser Wachstum mussten wir delegieren lernen"Pro Jahr 10 bis 30 Prozent Umsatzplus - mit diesen Werten gehört Liquid Concept aus Hamburg seit Jahren zu den Wachstumschampions in der Logistik. Das Unternehmen hat sich auf Flüssigkeitstransporte in Intermediate Bulk Containern (IBC) und Tankzügen spezialisiert, die Kunden kommen aus der Lebensmittel- und Chemieindustrie. Seit der Gründung im Jahr 2008 ist die Zahl der Mitarbeiter von zwei auf 16 angestiegen. Was bedeutet ein so rasanter Aufstieg für eine Firma?"Am Anfang haben wir viele kleinteilige Entscheidungen getroffen", erinnert sich Eycke-Christian Dörre, Geschäftsführer von Liquid Concept."Wir mussten Delegieren lernen und Strukturen dafür schaffen, dass die Mitarbeiter eigene Entscheidungen treffen können."Wichtig für den Wachstumskurs war, zusätzliches Wissen an Bord zu holen. Die Buchhaltung zum Beispiel, in der Startphase an einen Dienstleister ausgelagert, erledigt man mittlerweile wieder überwiegend im Haus. Hinter der Entscheidung stand die Erkenntnis, dass gerade in Zeiten des rasantes Wachstums Finanz-Know-how eine große Rolle spielt."In manchen Jahren haben wir mehr für Equipment ausgegeben, als wir Umsatz gemacht haben", erinnert sich Dörre. Um den Einkauf von Transporten zu verbessern, hat Liquid Concept außerdem einen erfahrenen Profi aus dem Stückgeschäft eingestellt, daneben verstärkten drei neu eingestellte Disponenten den Bereich Tanktransporte.Welche Fähigkeit wird wichtiger, wenn ein Unternehmen stark wächst?"Ganz klar: strukturieren", sagt Dörre. Gerade in der Lebensmittelindustrie gebe es keine Spielräume für Fehler, und schon kleinste Verspätungen könnten zu Produktionsausfällen führen. Bei solchen Kunden seien gut organisierte Abläufe überlebenswichtig. Dörres Rat an Transportunternehmer, die noch am Anfang stehen:"Suchen Sie sich eine Nische und sprechen sie mittelgroße Unternehmen an. Konzerne gehen dazu über, nur noch Dienstleister zu wählen, die eine gewisse Mindestgröße haben." cg

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