Gemeinsam zum Gipfel

Es ist wie im echten Leben: Wer vor nahezu unbezwingbaren Herausforderungen steht, der sucht sich Hilfe beim Besteigen des Gipfels. Denn eine solche Energieleistung gelingt mithilfe anderer in der Regel viel einfacher als im Alleingang. Das ist nun keine neue Feststellung, auch nicht in der Logistik, wo es mit den vielen Stückgutkooperationen eine Vielzahl von Beispielen dafür gibt. Aber die Digitalisierung sorgt für mehr Transparenz und erleichtert die Zusammenarbeit mit der Folge, dass sich immer mehr Betriebe zusammentun. Das Thema Kooperation, das in Fachkreisen auch unter dem Begriff Supply Chain Collaboration kursiert, greift immer stärker um sich - vor allem im Mittelstand. Großes Potenzial auch für Mittelständler Marc Possekel, Geschäftsführer von Logvocatus E-Commerce und Logistik, ist in Sachen "Kooperationen" Überzeugungstäter. Soeben hat er sein neues "B2B/B2C-Mitnahme-Stapler-Netzwerk" gestartet, das sich auf den Transport von unhandlichem Stückgut fokussiert. Sechs Speditionen sind bereits dabei, weitere willkommen. Das ist nicht die erste Kooperation, die Possekel gegründet hat. So initiierte er vor Jahren im Zusammenspiel mit mittelständischen Unternehmen die Serviceplattform für Lagerlogistik "Lagerfläche.de" sowie vor zwei Jahren die Speditionskooperation Logcoop, die inzwischen über 120 Mitgliedsfirmen zählt. Der 49-Jährige hat noch viele Ideen, sagt er, wie er kleine und mittelständische Transport- und Logistikbetriebe über die Vernetzung mit Gleichgesinnten unterstützen will. "Es gibt noch massenweise Potenziale, die Mittelständer durch Collaboration erfolgreich heben können", ist er sich sicher. So gesehen ist für Possekel das Thema "Collaboration", das aktuell in der Logistikbranche einen neuen Hype erlebt, nichts Neues. "Durch die Digitalisierung, den Plattformgedanken und den demografischen Wandel bekommt das Thema Collaboration aber einen ganz neuen Schwung", beobachtet Possekel. "Denn Transport- und Speditionsbetriebe brauchen mehr denn je starke Verbündete, um ihren Ressourceneinsatz zu optimieren. Sie müssen in Kooperationen und Netzwerken denken. Sonst bekommen sie Probleme, weil sie ihre Aufträge nicht abwickeln können." Nicht jede Kooperation klappt sofort Das war seinerzeit auch die Triebfeder von acht mittelständischen Speditionen, die sich vor zehn Jahren zur Kooperation Brandlog zusammenschlossen. "Die Idee war, für einen namhaften Markenartikler nur einen Ansprechpartner stellvertretend für mehrere mittelständische Spediteure zu stellen", schildert Bernd Hövelmann, Geschäftsführer der Hövelmann Logistik in Rees, der heute auch Brandlog-Geschäftsführer ist. "Über diesen Ansprechpartner erfolgten dann auch die Abwicklung der Transporte und die Administration." Die Idee war gut. Nur der Großkunde spielte nicht mit. Entgegen allen Absprachen soll er parallel seine Transporte auch anderweitig ausgeschrieben haben. Als dieser Auftraggeber wegbrach, ging der Aderlass innerhalb der Kooperation los: Aus den ursprünglich acht wurden vier Gesellschafter. Heute bilden die Speditionen Fritz (Heilbronn), Greilmeier (Schwindegg), Offergeld Logistik (Schleinitz) sowie die Hövelmann Logistik die Kooperation Brandlog. Immerhin: Den zweiten Großkunden Globus konnte Brandlog halten, und im kommenden Jahr will die Kooperation verstärkt in die Neukundenakquise gehen, verrät Hövelmann. Auch für weitere Gesellschafter sei man offen. Was für ihn aufgrund dieser Erfahrungen die wichtigste Voraussetzung für das Miteinander in einer Kooperation ist? "Ehrlichkeit", betont er. "Wer kooperieren will, muss sich an Spielregeln halten." "Natürlich kann es in Kooperationen immer auch Verlierer geben", sagt Thomas Wimmer, Vorsitzender der Geschäftsführung der Bundesvereinigung Logistik (BVL) in Bremen. "Aber gerade Collaboration bietet für kleine und mittelständische Unternehmen Chancen." Für den Logistikexperten überwiegen deutlich die Vorteile einer gelungenen Collaboration. So können Firmen Kosten sparen und gleichzeitig neue Märkte erschließen - sowohl auf der Beschaffungs- als auch auf der Absatzmarktseite. Dafür müssen Daten, vielfach auch sensible, zur Verfügung gestellt und untereinander geteilt werden. So können die Partner deutlich schneller agieren. Daher braucht es auch Vertrauen und ein gesundes Maß an Ethik. Sonst besteht das Risiko, dass einer plötzlich als Verlierer dasteht, weil die Wettbewerber Einblicke erhalten und diese für sich ausnutzen. Zumal Unternehmen heute, glaubt er, aufgrund des demografischen Wandels und den positiven Erfahrungen der Globalisierung sich eher öffnen und sensible Daten miteinander teilen. "Selbst konkurrierende Firmen sind dazu bereit", unterstreicht Wimmer, "weil man sieht, welche Erfolge sich damit erzielen lassen." Leuchtturmprojekt ist für ihn der Preisträger des Deutschen Logistikpreises AGCO im Zusammenspiel mit der 4flow AG. "Collaboration funktioniert nur, wenn beide Seiten gewinnen", resümiert Wimmer. Bei aller Begeisterung für unternehmensübergreifende Kooperationen unter Wettbewerbern sollten sich diese immer auch vor Augen halten, dass ihre Zusammenarbeit so erfolgt, dass sie dadurch kein Kartell bilden. Darauf verweist Christoph Peter, Geschäftsführer der Schulte Riesenkampff Rechtsanwaltsgesellschaft in Frankfurt/ Main (siehe Kasten Seite 17.) So wird es laut Peter aus kartellrechtlicher Sicht problematisch, wenn sich Unternehmer darüber abstimmen, in welcher Form sie bestimmte gesetzliche Auflagen wie Lenk- und Ruhezeiten preislich bei Kunden umlegen wollen. Und das Strafmaß ist hoch: "Die Bußgelder können maximal bis zu zehn Prozent des Gesamtumsatzes der Gruppe ausmachen, etwa bei Preisabsprachen, die jahrelang erfolgten", warnt der Rechtsanwalt. Richtiger Zeitpunkt für Kooperationen All diese Hürden, die auf dem Weg zu einer Kooperation zu überspringen sind, können Possekels Begeisterung nicht einbremsen. Im Gegenteil. Gerade jetzt will der Geschäftsführer der Logcoop Unternehmen zum Handeln bewegen. "Die Auftragsbücher sind voll. Bauen Sie deshalb jetzt Kooperationen. Bilden Sie Netzwerke", appelliert er an die Unternehmen. Denn flaut die Wirtschaft einmal ab, erlahmt das Collaboration-Interesse sehr schnell, weiß der erfahrene Teamplayer: "Dann denkt jeder wieder nur an sich. Jetzt ist also genau der richtige Zeitpunkt für Kooperationen." Hajo Agena, Geschäftsführer im Gesamtverband Verkehrsgewerbe Niedersachsen (GVN), der den Ausbildungsverbund O.P.A. mitinitiiert hat (siehe Kasten Seite 16), nennt noch einen weiteren Grund, warum das Thema Kooperation gerade auch im Mittelstand immer stärker um sich greift. Er beobachtet einen Sinneswandel, einen Generationswechsel. "Die Generation, die sich getreu dem Motto ,alles meins' abschottet, tritt zunehmend ab. Die jüngeren Unternehmenslenker zeigen sich da viel offener", sagt Agena. Wenn von Supply Chain Collaboration die Rede ist, wird gerne auch die IT-Technik als ein Treiber genannt: Dabei fällt häufig der Begriff Blockchain, eine Technik, die in der Logistik noch ganz am Anfang steht. Bei Blockchain geht es darum, den Beteiligten in der Prozesskette Informationen blockweise zur Verfügung zu stellen. Die Vorteile neben einer schnellen Abwicklung: ein erheblicher Fortschritt hinsichtlich der Zugangsberechtigung und der Sicherheit der Daten. Gerade in der Seefracht könnte Blockchain helfen, den Informationsfluss zu verbessern. Denn in dieser Kette gibt es zahlreiche Akteure, die in der Regel nicht dieselbe Sprache sprechen und unterschiedliche Arbeitsweisen haben. Es geht dabei weniger um die Prozesse selbst als insbesondere um die die Prozesse begleitenden Informationen. Blockchain-Projekt im Hamburger Hafen Im Hamburger Hafen gibt es mit ROboB (Release Order based on Blockchain) ein neues Projekt, das unter Anwendung der Blockchain-Technologie den Freistellungsprozess erleichtern soll. Die sogenannte Freistellreferenz im Hafen ist notwendig, wenn beispielsweise ein Trucker einen Container im Hafen abholt. Dafür muss er im Terminal entsprechende Informationen vorlegen, die ihn als denjenigen ausweisen, der berechtigt ist, den Container abzuholen. "Derzeit gibt es schon elektronischen Datenaustausch, aber dieser ist nicht standardisiert. Und ein großer Teil der Abstimmung erfolgt per Papier oder auch per Zuruf ", sagt Evelyn Eggers, Leitung Business Development bei Dakosy. Dakosy ist ein Softwareunternehmen für Datenkommunikationssysteme, das diesen Freistellungsprozess bereits digital unterstützt. Es sind verschiedene Akteure darin eingebunden: Der Reeder kann einem Spediteur den Auftrag zur Abholung des Containers erteilen. Der wiederum setzt einen Trucker ein, der im Hafen die Box abholt und sie dann zum Beispiel in einem Terminal im Hinterland zustellt. Mit ROboB soll die Blockchain-Technologie auf ihre Eignung für logistische Prozesse überprüft werden. "Ob sie auch zum Einsatz kommt, werden wir erst am Ende des Projekts entscheiden", sagt Eggers. Als Verbundpartner mit im Boot und für die wissenschaftliche Begleitung zuständig ist das Institut für Logistik und Unternehmensführung der Technischen Universität Hamburg. Von Terminalseite arbeiten Eurogate und HHLA mit, bei den Reedereien sind es Hapag Lloyd und CMA CGM. Die Spediteure sind vertreten durch die Unternehmen A. Hartrodt und Kühne + Nagel. Hinzu kommen bei den Transporteuren einige Containertrucker. Das Projekt wird laut Eggers nicht dazu führen, dass aufgrund einer neuen Technologie der eine oder andere Akteur - zum Beispiel ein Containertrucker - aus Kostengründen nicht teilnehmen kann. "Wir werden - wie bei unseren Port-Community-Lösungen üblich - einen kostengünstigen Zugang über unsere Plattformen anbieten", zerstreut die Geschäftsfeldentwicklerin Bedenken dieser Art. Mehr zum Thema im Dossier Unternehmensführung www.verkehrsrundschau.de/dossiers Praxislösung Bünting, Henkel und Nestle Miteinander erfolgreicher als im EinzelkampfIn den Geschäftsbeziehungen zwischen Industrie und Handel knirscht es oft gewaltig. Das Handelsunternehmen Bünting sowie die Hersteller Nestlé Deutschland und Henkel Laundry & Home Care haben in einem Collaboration-Projekt bewiesen, dass es anders geht und vor allem, dass man miteinander erfolgreicher ist als im Einzelkampf. Dafür erhielten sie nun von GS1 Germany den ECR Award 2018 .Initiator und Leiter dieses Projekts war Helge-Christian Eilers, Geschäftsführer der Bünting SCM/ Logistik in Leer. Bei der Reorganisation des Warenflusses des Unternehmen hatte er festgestellt:"Wir kannten zwar in unserer Firma alle unsere Prozesse, nicht aber ausreichend die Prozesse unserer Lieferanten hin zu unserer Wareneingangsrampe." Für ihn aus Bünting-Sicht bislang besonders ärgerlich war, dass die Lieferanten immer sofort den Fakturierungsprozess starteten, sobald ihre Ware Spediteuren übergeben war - und die Ware selbst erst Tage später im Wareneingang eintraf. Für Bünting bedeutete dies hohen Aufwand bei der Rechnungsbearbeitung, etwa bei Wareneingangs-Differenzen oder bei Produkt-Rückrufaktionen. Für die Lieferanten Nestlé und Henkel dagegen zum Beispiel Korrekturen schon gestellter Rechnungen, Nachlieferungen und nur ein schlechtes Tracking der selbst eingesetzten Speditionen. "Die Idee für unser Collaboration-Projekt war damit geboren", erzählt Eilers."Ziel war es, gemeinsam einen einheitlichen digitalen und lückenlosen "Order-to-Cash"-Prozess zu definieren." Und auf Basis von GS1-Standards gelang es den drei Unternehmen gemeinsam sogar, die letzte Lücke im digitalen "Order to Cash"-Prozess zu schließen und damit deutliche Vorteile in der Lieferkette zu generieren - für Bünting, Henkel und Nestlé. Zum Einsatz kam die Nachrichtenart RECADV, eine elektronische Wareneingangsbestätigung, mit der der Informationsaustausch erheblich beschleunigt werden kann.Die Ergebnisse der Zusammenarbeit können sich sehen lassen: 17 Prozent Zeiteinsparung bei der Warenannahme in Verbindung mit dem DESADV, 99 Prozent "On-Time-Delivery" durch zeitnahe Terminkontrolle auf Basis der übertragenen Zeitstempel, keine mengenbezogenen Rechnungsreklamationen mehr und deutlich weniger Papieraufwand. Bleibt der Wermutstropfen aus Sicht der Spediteure: Durch die Schließung der Lücke im digitalen "Order-to-Cash"-Prozess an der Rampe kennen die Lieferanten nun die präzisen Warenanlieferungszeiten ihrer Dienstleister:"Das gab vereinzelt Abschläge in der Vergütung", verrät Eilers. eh Beispiel für eine Kooperation von Spediteuren O.P.A. überzeugt junge Menschen von der LogistikEs ist ein Leuchtturmprojekt. Nicht, weil sich hier vier Speditionen zusammengetan haben, die ihren Sitz unweit der Nordseeküste haben. Sondern weil hier gemeinsam mit großem Erfolg nicht nur ausgebildet, sondern auch Werbung für Logistikberufe gemacht wird. Entstanden ist die Idee zu O.P.A., dem Ostfriesisch-Papenburger Ausbildungsverbund für Logistikberufe, vor acht Jahren auf einer Veranstaltung des Gesamtverbandes Verkehrsgewerbe Niedersachsen (GVN). Dort kamen Firmenvertreter der Speditionen Akkermann Transporte, Bunte Spedition, Peter Janssen Spedition und der Spedition Jakob Weets miteinander ins Gespräch über fehlende Schüler für Berufskraftfahrer in den Berufsschulklassen. Mit Unterstützung des Verbandes wurde dann O.P.A. ins Leben gerufen. GVN-Geschäftsführer Hajo Agena betreut das Projekt. Gründe, warum O.P.A. ein Erfolg geworden ist, gibt es sicher mehrere. "Ein ganz wichtiger ist, dass die Chemie zwischen den vier Unternehmen stimmt", sagt Agena.Seit Gründung des Verbundes haben über 140 Menschen eine Ausbildung in einem Logistikberuf über O.P.A. absolviert. Als Ausbildungsberufe angeboten werden die zum Berufskraftfahrer, zur Fachkraft für Lagerlogistik, als Kaufmann /-frau für Spedition und Logistik sowie weitere Ausbildungsberufe. "In diesem Jahr hatten wir mehr Bewerber als verfügbare Stellen", sagt Agena. Positiv für die Kooperationspartner. "Wir haben derzeit 16 Auszubildende im Betrieb", sagt Claudia Akkermann, Geschäftsführerin bei Akkermann Transporte. Eine hohe Quote angesichts von insgesamt 100 Mitarbeitern im Unternehmen. Für den Fall, dass es zu Unstimmigkeiten kommt, haben die Partner vorgesorgt. "Bei Entscheidungen gilt das Mehrheitsprinzip", sagt Akkermann. Doch dass ein Unternehmen mal eine bittere Pille hat schlucken müssen in wichtigen Fragen, sei bislang nicht vorgekommen. "Es gibt mal Kleinigkeiten, wo wir uns nicht einig werden", gesteht Akkermann. Die Speditionen bilden nicht nur gemeinsam aus, sie sind auf Ausbildungsmessen als Verbund vertreten, entwerfen Flyer und haben eine Homepage. Zudem bieten sie gemeinsam Aktionen an wie jüngst den Besuch der Messe IAA mit über 60 Auszubildenden. "Je nach Aktionen in einem Jahr liegt der jährliche Aufwand pro Unternehmen im fünfstelligen Bereich ", sagt Akkermann. Doch dieses Geld sei gut investiert, weil es keine Probleme gäbe, gute Azubis zu finden. "Allerdings, mit Fahrermangel haben wir genauso zu kämpfen", sagt Akkermann. Denn trotz einer attraktiven und abwechslungsreichen Ausbildung bleiben auch die vier Speditionen nicht davor verschont, dass Mitarbeiter sich neu orientieren und das Unternehmen verlassen. cd

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