Risiken identifizieren und bewältigen

Qualitätsmanagement (QM) wird bei der Stückgutkooperation VTL in Fulda großgeschrieben. "Mit unserem "House of Quality" haben wir ein einheitliches Qualitäts- und Risikomanagement-System geschaffen. Jeder unserer insgesamt 131 Systempartner arbeitet mit den gleichen Qualitätsstandards", erzählt Christian Zink, der seit 2011 das Qualitätsmanagement bei VTL verantwortet und das Projekt "House of Quality" federführend begleitet hat.Das sogenannte "House of Quality" umfasst Zink zufolge mehrere Bausteine. So werden jeden Tag im Zentral-Hub der Stückgutkooperation in Fulda Ent- und Beladeaudits durchgeführt. Zweimal im Monat ermittelt VTL zudem die Leistungsfähigkeit jedes Systempartners wie etwa die Entwicklung seiner Sendungsmengen, Schadenquote und Zustellperformance. Diese und viele andere Daten fließen dann, wie der QM-Leiter erzählt, in ein eigens entwickeltes "VTL-Frühwarnsystem", mit dem die Systemzentrale und jeder einzelne Partner etwaige Abweichungen von Sollvorgaben zeitnah erkennen und Störungen sofort beseitigen können."Stellen wir Abweichungen fest, prüfen wir mit dem jeweiligen Partner vor Ort, wie er bestimmte Abläufe noch besser gestalten könnte", führt Zink aus. Und einmal im Jahr durchläuft jedes Depot und jeder Hub schlussendlich eine Qualitätskontrolle mittels des standardisierten VTL-Audits. Wichtiger Höhepunkt beim Thema Qualitätsmanagement sei sicher der jährliche "Partner-Award", erzählt Zink, mit dem die Kooperation jedes Jahr erstklassige Leistungen einzelner Partner auszeichnet, etwa in den Kategorien "Stärkstes Wachstum" und "Beste Qualität". Kurz: "Wenn nun die internationale Norm für Qualitätsmanagement DIN EN ISO 9001 die bislang geltende Version aus 2008 ablöst, ist VTL mit dem "House of Quality" bestens dafür gerüstet", ist Zink überzeugt. So erfülle die Stückgutkooperation zum Beispiel heute schon die wichtigsten Kriterien der neuen Norm wie Praxisnähe und Kompatibilität. Ein gültiges Zertifikat bis 11/2017 sei ebenfalls bereits vorhanden.Individuelle Gefährdungen analysierenWer Qualitätsmanagement so konsequent wie VTL betrieben hat, kann die nächste Zertifizierung nach DIN EN ISO 9001 gelassen abwarten. Am 23. September 2015 haben die 165 Mitglieder der Internationalen Organisation für Normung (ISO), darunter auch das Deutsche Institut für Normung (DIN) in Berlin, die Überarbeitung des wohl bekanntesten Qualitätsmanagement-Systems abgeschlossen. Voraussichtlich im November 2015 wird die deutsche Übersetzung vorliegen. Ab diesem Zeitpunkt muss jeder Antragsteller bei der nächsten Zertifizierung einige wichtige Änderungen beachten. Neu aufgenommen wurde die systematische Bewältigung von Risiken. Jedes Unternehmen muss Gefährdungen für seinen Betrieb identifizieren und analysieren. Wenn dies geschehen ist, müssen Präventivmaßnahmen geprüft bzw. umgesetzt und ihre Wirksamkeit kontrolliert werden. "Wer bis jetzt noch kein Risk Management hat, muss dieses in den nächsten drei Jahren einführen", schlussfolgert Klaus Spengler, leitender Auditor beim TÜV Rheinland in Köln. Spätestens im Herbst 2018 muss jede Zertifizierung, die in den letzten Wochen noch durchgeführt wurde, erneuert werden. Speditionen und Logistikunternehmen, die auch nach anderen Normen wie dem Umweltmanagementsystem DIN EN ISO 14001 - das jetzt ebenfalls von der ISO-Organisation geändert worden ist - oder dem Arbeitsschutzmanagement OHSAS 18001 zertifiziert sind, tun sich hier leichter. Beide Regelwerke können nur eingehalten werden, wenn ein Risk Management existiert.Auch der Unternehmer beziehungsweise Geschäftsführer selbst wird noch stärker gefordert. Er muss persönlich die Verantwortung für das Qualitätsmanagement übernehmen und kann dies nicht länger einem Qualitätsbeauftragten oder anderen nachgeordneten Mitarbeitern überlassen. "Hier wird einem ursprünglichen Ziel des Qualitätsmanagements, das in den letzten Jahren vernachlässigt worden ist, wieder Rechnung getragen, urteilt David Pfeil, Inhaber des Ingenieurbüros Pfeil in Leipzig. Ausdrücklich verzichtet ISO 9001:2015 auf die Ernennung eines Qualitätsbeauftragten. Eine andere Neuerung wird hingegen mancher Unternehmer als Erleichterung empfinden. Ein papiernes Handbuch, welches alle Strukturen und Abläufe im Betrieb auflistet, ist nicht mehr nötig. Entsprechende Inhalte können auch digital hinterlegt werden: Reichlich spät trägt die ISO-Organisation der Tatsache Rechnung, dass nahezu jedes Unternehmen mit IT-Systemen arbeitet und macht so die Zertifizierung für jeden Teilnehmer preiswerter.Abhängig vom TransportgutIm Fokus steht jedoch das Risk Management. Ausdrücklich verzichtet ISO 9001:2015 auf Vorgaben, welche Risiken ein Betrieb identifizieren soll und wie er hierbei vorgeht. Der Antragsteller kann zwischen unterschiedlichen Methoden wählen. Am meisten verbreitet sind SWOT-Analysen, welche das betriebliche Umfeld auf Chancen und Gefahren analysieren und die eigenen Stärken und Schwächen auflisten (siehe Kasten Seite 24). "Viel hängt vom Transportgut ab", gibt Sami Gatz, Product Compliance Manager von TÜV Süd in München, zu bedenken. Es ist natürlich ein Unterschied, ob ein Unternehmen Stückgut, Schwergut, Kühlgut oder Gefahrgut lädt. "Viele potenzielle Risiken können mit Gesetzen, Vorschriften und behördlichen Anordnungen leicht identifiziert werden", sagt Gatz. Im Risk Management muss jeder Betrieb dokumentieren, wie er mit Risiken, welche diese Regelwerke nennen, umgeht. Für die Logistik sind vor allem Gesetze über Fahrpersonal, Arbeitszeit und Umweltschutz, die Straßenverkehrsordnung (StVO), die Gefahrgutverordnung (GGVSEB), VDI Richtlinie 2700 und weitere Normen zur Ladungssicherung wichtig. "Außerdem müssen Anforderungen von Kunden erfüllt werden", ergänzt Gatz. Hier lauern im Berufsalltag jedes Transport- und Logistikunternehmens zahlreiche Risiken. Während einer Lagerung können Produkte durch unsachgemäße Behandlung oder fehlende Schutzmaßnahmen beschädigt werden. Während eines Transports kann das Gleiche durch mangelhafte Ladungsüberwachungen oder nicht angepassten Fahrstil passieren. Auch die Routen müssen untersucht werden. Wer regelmäßig in Regionen fährt, welche durch politische Unruhen, Überfälle auf Lkw, Wettereinbrüche und andere unerfreuliche Ereignisse von sich reden machen, sollte diese namentlich nennen und Schutzmaßnahmen für Fahrer, Fahrzeug und Ladung auflisten.Die Norm lässt einen SpielraumGrundsätzlich lässt ISO 9001:2015 jedem Unternehmen einen gewissen Spielraum, ob Gegenmaßnahmen gegen die identifizierten Risiken getroffen werden oder nicht. "Jeder Betrieb kann entscheiden, ob er ein Risiko in Kauf nimmt, vermeidet oder mit Präventivkonzepten klein hält", formuliert Spengler. "Er sollte sich hierbei fragen, wie wahrscheinlich die einzelnen Risiken sind und welche Folgen ihr Eintreten tatsächlich hat", lautet seine Empfehlung. Auch Gefährdungen, welche sehr selten auftreten, können gravierende Konsequenzen haben. Ein gern zitiertes Beispiel ist die Havarie des Schwefelsäuretankers TMS Waldhof im Januar 2011 auf dem Rhein. Als Folge der fast fünfwöchigen Sperrung der wichtigsten deutschen Binnenschifffahrtsstraße hatten einige Unternehmen - etwa aus der Chemieund Baustoffbranche - mit gravierenden Lieferengpässen zu kämpfen. Sie hatten keine oder nur unzureichende Präventivmaßnahmen getroffen.Das Spektrum solcher Maßnahmen ist groß und reicht von einfachen Arbeitsanweisungen über regelmäßige Weiterbildungsangebote bis hin zu alternativen Transportkonzepten, wenn auf mögliche Routensperrungen oder Fahrzeugausfälle reagiert werden soll. Auch hier hängt viel vom Verlader ab. Wenn dieser sich gegen mögliche Krisenszenarien wappnen will, müssen die Dienstleister ausgearbeitete Gegenmaßnahmen in der Schublade haben. Denn auch die Verlader müssen bei ihren künftigen Zertifizierungen mit Risk Management überzeugen. "ISO 9001:2015 legt auf ausgelagerte Prozesse wie zum Beispiel Supply Chains einen besonderen Schwerpunkt und fordert Nachweise, dass die Betreiber diese Prozesse auch tatsächlich kontrollieren", betont Gatz. Möglicherweise lädt jetzt mancher Verlader "seine" Speditionen und Logistikdienstleister zur gemeinsamen Risikoanalyse ein. Für Spengler macht dies in jedem Fall Sinn. "Vor allem die Übergangspunkte zwischen einzelnen Teilleistungen sind wichtig", sagt der TÜV-Experte. "Die Teilnehmer einer Supply Chain müssen die Verantwortung für diese Teilleistungen klar regeln und Vorkehrungen treffen, wenn diese nicht eingehalten werden." Für manchen Dienstleister kann ein solcher Termin auch unerfreulich enden, weil der Verlader mit einer Rückverlagerung von Teilleistungen Risiken mindern will. Oder aber einen Wettbewerber seines Auftragnehmers mit ins Boot holt, weil er sich von diesem allein nicht abhängig machen möchte.Synergien zwischen den RegelwerkenGrund genug für die Dienstleister, für ihr eigenes Haus ein überzeugendes Risk Management zu entwickeln. Die Voraussetzungen hierfür sind nach Meinung mancher Experten sehr gut. "Trotz stark steigender Transportvolumina sind die Schadenquoten im Straßengüterverkehr stabil geblieben", sagt Axel Salzmann, Leiter des Kravag-Kompetenzzentrums Straßengüterverkehr und Logistik. "Viele Unternehmen haben offenbar bereits in Risk Management investiert und leben dieses auch." Ohnehin müssen sie wegen der neuen Betriebssicherheitsverordnung (BetrSichV) verstärkt in die Analyse und Verhinderung von betrieblichen Gefahren investieren. Das am 1. Juni 2015 in Kraft getretene Regelwerk schreibt Arbeitsschutz- und andere Maßnahmen gegen Arbeitsunfälle vor. Eine "Fachkraft für Arbeitssicherheit", die die Durchführung von Schutzmaßnahmen kontrolliert und sicherstellt, dass Schutzeinrichtungen und Ausrüstungen stets funktionsfähig sind. Wer die Vorschriften der BetrSichV einhält, sollte auch mit ISO 9001:2015 keine größeren Probleme haben, urteilt Qualitätsmanagement-Berater Pfeil. "Die Synergien zwischen beiden Regelwerken sind vorhanden", sagt der Leipziger Ingenieur.Mehr zum Thema im Dossier Logistik-Management www.verkehrsrundschau.de/dossiersFMEA oder SWOT-AnalyseWie können Unternehmen betriebliche Risiken ermitteln?Weil die ISO 9001:2015 keine konkreten Vorgaben macht, haben Unternehmen die Wahl zwischen unterschiedlichen Verfahren. Eine gängige Methode ist FMEA. Hinter diesem Kürzel verbirgt sich der englische Begriff "Failure Mode and Effects Analysis" (Fehlermöglichkeits- und Einflussanalyse). FMEA wird gerne bei der Einführung von neuen Produkten und Dienstleistungen eingesetzt und soll Fehler vermeiden, bevor sie überhaupt entstehen. Mitarbeiter aus unterschiedlichen Abteilungen ermitteln Risiken, welche den Start vermasseln können, bewerten deren Wahrscheinlichkeit und entwickeln Gegenmaßnahmen.Weit verbreitet ist auch die SWOT-Analyse: Hinter diesem Kürzel verbergen sich die englischen Begriffe Strengths (Stärken), Weaknesses (Schwächen), Opportunities (Chancen) und Threats (Bedrohungen). Das Unternehmen geht in zwei Schritten vor. In einer Umweltanalyse analysieren die Mitarbeiter Chancen und Gefahren, die von außen kommen - also Marktveränderungen, neue Technologien oder veränderte Gesetze. In einer Unternehmensanalyse ermitteln sie dann betriebsinterne Stärken und Schwächen und erarbeiten Konzepte, wie mit den Ergebnissen der Umweltanalyse Stärken vergrößert und Schwächen verkleinert werden. bot

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