Raus aus der Pionierphase

Lebensmittel im Netz kaufen? Noch vor wenigen Jahren erntete man nur verständnisloses Kopfschütteln, wenn man hier das große Wachstum prognostizierte. Tiefkühlpizza, Bio-Milch, frische Mango, Waschmittel und frische Minze in einem Transporter? Unmöglich! Zustellung noch am gleichen Abend auf die Stunde genau? An der Realität des Fahrermangels und der Arbeitszeiten vorbei! Im Jahr 2015 wissen wir: Die Skeptiker lagen daneben, der Online-Lebensmittel boomt. Wer des Abends durch Großstädte wie etwa München läuft, sieht an jeder Ecke ein Rewe-Fahrzeug parken und einen bemitleidenswerten Zusteller unzählige Tüten in (vorzugweise obere) Stockwerke wuchten. Nischenmarkt ade: In diesem Jahr wird der Lebensmittel-Onlinehandel den Sprung in den Massenmarkt schaffen. Waren in den letzten Jahren eher kleine, innovative Unternehmen im Netz aktiv, haben nun die großen Player Appetit bekommen. Das bringt insgesamt deutlich mehr Aufmerksamkeit für das Thema - und erhöht mit jedem neuen Akteur am Markt das Vertrauen der Verbraucher in den neuen Kanal, das Internet. "Der Wandel im Kopf vollzieht sich genau jetzt", bestätigt Max Thinius. Er ist Sprecher des Bundesverbandes Lebensmittel-Onlinehandel (BVLO), der kleinere Anbieter wie Food. de, Amorebio.de oder Allyouneed.com vertritt. Er rechnet damit, dass sich der Online-Lebensmittelhandel 2015 ein deutlich größeres Stück vom Kuchen sichern kann. Die entscheidende Frage aus Sicht der Logistikbranche lautet: Geht das Wachstum an den Dienstleistern vorbei, weil die Anbieter die Zustellung selber organisieren? Oder profitieren DHL und Co.? Während in der ersten Phase viele Händler auf eigene Lösungen gesetzt haben, scheint sich dies gerade zu ändern. "Der Trend geht zum Dienstleister", beobachtet BVLO-Mann Thinius. Und so lautet die Herausforderung - vor allem für die KEP-Dienste - für dieses Jahr: die eigenen Fahrzeuge mit mehreren Kühlzonen und die eigenen Prozesse mit zeitgenauer Abend- und Wochenendzustellung fit machen, um bereitzustehen, wenn die Händler vom Experimentier- in den Normalmodus umschalten - und sich für Outsourcing interessieren. Last, not least könnte noch ein weiterer Akteur den Markt aufwirbeln und dem Thema den entscheidenden Schub verpassen: Schon seit Monaten gibt es Gerüchte, dass auch Amazon plant, seinen Lieferdienst Fresh in deutschen Metropolen zu starten. Zur Person Tobias Rauserist als Chef vom Dienst (CvD) für Abläufe und Qualitätskontrolle in der Redaktion zuständig. Der Politikwissenschaftler (M.A., geboren 1980 in Düsseldorf) arbeitet seit 2007 für die VerkehrsRundschau.Ihre Meinung zur These an: tobias.rauser@springer.com