"Wir arbeiten in den Prozessen rückwärts"

Als Geschäftsführer leiten Sie seit drei Jahren das Amazon-Logistikzentrum in Graben. Wenn einer die Prozesse des Unternehmens kennt, dann Sie. Was ist das Erfolgsgeheimnis von Amazon und welche Rolle kommt der Logistik zu? Amazon will das kundenfreundlichste Unternehmen weltweit werden und gleichzeitig über das weltweit größte Warensortiment verfügen. Das ist unsere Vision. Amazon arbeitet in den Prozessen deshalb immer rückwärts - egal was wir tun. Das gilt sowohl für die Produkte, die wir verkaufen. Das gilt aber auch für uns in der Logistik. Wenn wir einen Prozess optimieren wollen, schauen wir also immer zuerst, an welcher Stelle und wie können wir das Kundenerlebnis stark verbessern. Darauf hat die Logistik sehr viel Einfluss, gerade was das Thema Durchlaufzeiten angeht. Können wir diese um eine Stunde verkürzen, kann der Kunde am Vortag bestellen, und wir liefern ihm am nächsten Tag, am selben Tag oder gar in einer Stunde die Ware aus. Mit dem Prime-Konzept können sich Ihre Kunden für ein Jahres-Abo von 49 Euro sogar selbst Drei-Euro-Artikel gratis zustellen lassen. Wie rechnet sich das für Amazon? (lacht) Das Prime-Konzept von Amazon treibt natürlich das Wachstum von Amazon. Ich habe selbst schon einige Artikel bestellt, bei denen ich mich gefragt habe, wie es sich für Amazon rechnet. Ich tue es trotzdem und bin mit der Leistung meines Arbeitgebers so zufrieden, dass ich auch größere Einkäufe bei Amazon tätige. So wie mir geht es vielen Endkunden. Und dass wir mit diesem Service richtig liegen, zeigen unsere Zahlen. Im vergangenen Jahr hat Amazon fast 75 Milliarden Euro Umsatz gemacht. Und wann schreibt Ihr Unternehmen endlich schwarze Zahlen? Amazon wird seine Finanzkennzahlen 2014 Ende Januar 2015 veröffentlichen. Vorher nehmen wir dazu keine Stellung. Nur so viel: Die Entwicklung war 2014 sehr erfreulich - auch in Deutschland. Laut der Gewerkschaft Verdi kommt dieser Erfolg aber nicht bei den Mitarbeitern an. Nicht umsonst wird Amazon seit 2013 in Deutschland immer wieder bestreikt. Auch Ihren Standort Graben traf es mehrmals. Richtig ist: Wir bezahlen unsere Mitarbeiter am oberen Ende dessen, was in vergleichbaren Tätigkeiten in anderen Branchen üblich ist. Wir haben hier keine Tarifbindung. Das gilt nicht nur für unseren Standort in Graben, sondern für alle Amazon-Standorte in Deutschland. Richtig ist aber auch, dass Amazon als Online-Versandhändler seine Mitarbeiter nach Logistiktarif bezahlt, während Verdi eine Bezahlung nach Einzelhandelstarif fordert. Was Verdi genau fordert, weiß ich nicht. Ich weiß nur, dass wir nicht weit auseinander sind. Ich würde sogar so weit gehen, dass wir nahezu auf dem gleichen Lohnniveau liegen, wenn man die Leistungsboni, Prämien und sonstigen Zusatzleistungen einrechnet, die bei uns ein Mitarbeiter zusätzlich zu seinem Bruttoentgelt verdienen kann. Mal konkret gefragt: Wie viel verdient bei Ihnen ein Mitarbeiter im Lager am Standort Graben brutto in der Stunde? Der Einstiegs-Stundenlohn liegt bei uns am Standort Graben bei 10,69 Euro und im zweiten Jahr bei 11,80 Euro. Nach zwei Jahren zahlen wir den Mitarbeitern, und darin sind keine Boni oder Leistungszulagen eingerechnet, 12,69 Euro Stundenlohn. Zudem kann ein Mitarbeiter bis zu acht Prozent Leistungsprämie im Monat zusätzlich verdienen und im Monat Dezember sogar bis zu 16 Prozent. Ein angelernter Mitarbeiter kann also an unserem Standort in Graben monatlich insgesamt 2200 Euro brutto inklusive acht Prozent Leistungsboni verdienen. Rechnen Sie vor Weihnachten noch mit weiteren Streiks? Ja, davon ist auszugehen. Auch an unserem Standort in Graben. Bricht da in der Logistik nicht die Panik aus? Ihre Kunden wollen ihre Geschenke ja pünktlich unter dem Weihnachtsbaum. Bei solchen Streiks machen ja nur sehr wenige Mitarbeiter mit. Wenn gestreikt wird, wird also nicht unser gesamter Betrieb lahmgelegt, sondern "nur" übergangsweise etwas eingeschränkt. Es gibt zwar ein gewisses Risiko, wir sind aber darauf vorbereitet. In der Logistik müssen wir uns immer für etwaige Eventualitäten rüsten, ob zum Beispiel für Glatteis im Winter oder auch für Streiks. Und wie rüsten Sie sich am Standort Graben in der Logistik für den Streikfall? Amazon hat dank seines europäischen Logistiknetzes mittlerweile sehr viele Optionen, um solche Einschränkungen abzufedern. Wie wir das machen, zeigt ein aktuelles Beispiel. Am 1. Dezember findet traditionell in Großbritannien am Ende der Thanksgiving-Woche der "Black Friday" statt. Das ist ein Tag, an dem in den angelsächsischen Ländern sehr viel eingekauft wird. Dieser Tag ist uns lange vorher bekannt. Wir konnten daher die Ware in unseren deutschen Lägern entsprechend frühzeitig einplanen, platzieren und pünktlich zustellen. Genauso werden uns im Bedarfsfall auch unsere Auslandskollegen unterstützen. Da wir in jedem Logistikzentrum nahezu das gleiche Produktsortiment und die gleichen Prozesse haben, können wir also sehr schnell reagieren. Werden Sie dafür deutsche Endverbraucher auch von Ihren neuen Logistikstandorten in Polen und Tschechien aus beliefern? Das machen wir heute schon, aber auch von allen anderen europäischen Standorten. Unsere Logistikzentren in Polen und Tschechien sind ein fester Bestandteil unseres europäischen Logistiknetzes. Das muss auch so sein, weil der Umsatz von Amazon Deutschland jedes Jahr um bis zu 20 Prozent steigt. Um dieses Wachstum zu stemmen, haben wir die Zahl unserer Logistikstandorte erweitert - auch im benachbarten Ausland wie Polen und Tschechien. Denn in Deutschland gibt es inzwischen Regionen, in denen die Arbeitslosigkeit unter einem Prozent liegt. Dort kann man kein Logistikzentrum mit 2000 Mitarbeitern aufbauen. Zudem war und ist es Ziel von Amazon, möglichst nahe bei den Endkunden zu sein - sonst wären Lieferoptionen wie Next Day oder Same Day logistisch nicht darstellbar. Apropos Prozesse: Wie sehen die logistischen Abläufe bei Ihnen in Graben vom Wareneingang bis zum Warenausgang aus? Alle Amazon-Bestellungen durchlaufen immer den gleichen Prozess: von der Anlieferung, Wareneingangsbuchung, der Einlagerung, Auftragsabwicklung bis zum Picken, also der Entnahme aus dem Lager, Packen und letztlich dem Versand der Ware. Was sind in der Logistik für Sie da die größten Herausforderungen? Das Wichtigste in der Logistik ist, dass der Kapazitäten-Plan stimmt. Denn auf seiner Basis legen wir fest, welche Prozesse wir mit wie viel Mitarbeitern in welcher Geschwindigkeit abarbeiten wollen. Dafür erhalten wir in der Regel viele Wochen vor Wareneingang von unserer Unternehmenszentrale erste Vorschauzahlen, auf deren Basis wir mit der Finanzabteilung eine erste Grobplanung machen. Je näher der genannte Liefertermin rückt, desto genauer wissen wir, zu welchem Zeitpunkt wir wie viele Produkte in welchen Größen am Standort haben und welche personellen Ressourcen nötig sind. Entscheidend für uns in der Logistik ist, dass alle installierten Prozesse sehr diszipliniert umgesetzt werden. Dafür haben wir eigene Standards definiert. Meine Aufgabe ist es, dann in Audits zu prüfen, ob diese so umgesetzt werden. Unsere dritte große Herausforderung in der Logistik ist unsichtbar. Das ist die IT. Amazon hat schon vor Jahren eine eigene Software programmieren lassen, die wir stetig weiterentwickeln - mit dem Ziel, die Cut-off-Zeiten für unsere Kunden stetig weiter zu verbessern. Wie viele Artikel schlagen Sie im Schnitt in Graben täglich um und wie viele sind es vor Weihnachten? In Graben schlagen wir jeden Tag mehrere Hunderttausend Artikel um. Sechs Tage die Woche. Von Montag bis Samstag - jeweils im Zwei-Schicht-Betrieb. In der Vorweihnachtszeit sind es deutlich mehr. Unser absoluter Spitzenwert waren, so viel darf ich verraten, in Deutschland 4,6 Millionen Artikel-Bestellungen am 15. Dezember 2013. Das sind 53 Produkte in einer Sekunde! Wie managen Sie in der Logistik solche Mengen-Sprünge und -Spitzenzeiten? Das ist in der Tat für die Logistikzentren eine Herausforderung. Mittlerweile bietet Amazon seinen Endkunden in der Vorweihnachtszeit über 4000 spezielle Angebote. Das schlägt sich sofort in der Anzahl der Bestellungen nieder. Das spüren wir in den Logistikzentren unmittelbar. So stark wie in 2014 war es aber noch nie. Um solche Mengen zu managen, hilft nur eines: man muss die entsprechenden personellen Kapazitäten vorhalten und straffe Prozesse haben. Welche Cut-off-Zeiten haben Sie am Standort Graben und was tun Sie, um diese weiter zu optimieren? Ziel von Amazon sind möglichst kurze Transportwege zu den Endkunden. So können wir unser Leistungsversprechen "Pünktlichkeit" bei Zustellung und Retournierung der Waren am besten einlösen. Entsprechend beliefern wir von Graben aus schwerpunktmäßig die Region Süddeutschland sowie die Schweiz und Österreich. Ein Primekunde kann je nach Ballungsraum bis spätabends bei uns bestellen und erhält seine Ware standardmäßig am Folgetag. Als Standardkunde kann er genauso spät bestellen und erhält dann gegen Aufschlag am Folgetag seine Bestellung. "Same Day-"Bestellungen können ebenfalls je nach geografischer Lage platziert werden, sofern er geografisch günstig liegt und die Ware bei uns auf Lager ist. Apropos Lieferservice: Nach welchen Kriterien wählen Sie Ihre Logistikpartner aus und wie wichtig ist da das Kriterium Kosten? Die Wareneingangslogistik organisieren wir nicht selbst. Da wählen die jeweiligen Lieferanten ihre Speditions- und Logistikpartner selbst aus, die die Ware zu unserem Logistikzentrum befördern. Und für die Auswahl unserer Paketdienstleister ist unsere Deutschland-Zentrale in München zuständig. Als Standort haben wir darauf keinen Einfluss. Wir geben nur Feedback. Und gut arbeiten aus Ihrer Sicht die deutschen Spediteure und Paketdienste? Insgesamt finde ich, dass wir mit sehr professionellen Paketdiensten arbeiten. Unser Logistikzentrum in Graben ist zum Beispiel über eine Brücke mit dem DHL-Depot verbunden. Um das zu realisieren, muss ein Dienstleister professionell sein. Mit DPD arbeiten wir ja erst seit September. Da habe ich noch zu wenige Erfahrungswerte. Ich habe aber nichts Negatives gehört. Vita/Unternehmen Martin AndersenMartin Andersen leitet als Geschäftsführer seit April 2012 das Amazon-Logistikzentrum in Graben bei Augsburg. Zuvor war der heute 41-Jährige Manager beim US-Logistikunternehmen Synchreon in der Automobilindustrie. trAmazonGegründet wurde das Online-Versandhandelsunternehmen Amazon in 1994 von Jeff Bezos. Im Jahr 2013 erwirtschaftete Amazon weltweit mit 150.000 Mitarbeitern einen Umsatz von knapp 75 Milliarden Euro. Umsatzzahlen zum Deutschlandgeschäft nennt das Unternehmen nicht. Amazon verfügt weltweit nach eigenen Angaben über rund 100 Logistikzentren. In Europa ist das Unternehmen in sieben Ländern mit 28 Logistikzentren präsent; in Deutschland mit insgesamt 10.000 Mitarbeitern an neun Logistikzentren. Mit 110.000 Quadratmetern Lagerfläche ist Graben eines der größten Amazon-Logistikzentren. eh

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