Berlin. Nicht einen, sondern mehrere Kraftakte muss die Politik von Bund und Ländern in diesem Jahr vollbringen, wenn die Eisenbahn wirklich spürbar wachsen und dem Klimaschutz im Verkehr einen Schub geben soll. Das sagte der Vorstandsvorsitzende des Netzwerks Europäischer Eisenbahnen (NEE), Ludolf Kerkeling, zum Jahreswechsel in Berlin. 2020 müssen nach Überzeugung der Wettbewerber der Deutschen Bahn die Eckpfeiler einer Bahnreform II sichtbar werden.
Der Privatbahnenverband NEE hat in einem Schreiben an Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer jetzt dessen Begriff „Kraftakt“ aus der Haushaltsdebatte vom 26. November 2019 aufgegriffen. Der CSU-Politiker hatte damals die nachhaltige Steigerung und Konzentration von Bundesmitteln auf den Kapazitätsausbau der Schiene und grundlegende Änderungen an der Eisenbahnorganisation in den Fokus gestellt. Das Stadium von Ankündigungen und Auftaktmaßnahmen müsse Berlin zur Halbzeit der Legislaturperiode nun zügig hinter sich lassen, fordern die Wettbewerber der Deutschen Bahn.
NEE fordert mehr Bemühungen für Verkehrsverlagerung
Kerkeling lobte, dass zum Beispiel durch die Trassenpreissenkung im Güterverkehr, die Umsatzsteuersenkung im Personenfernverkehr sowie die künftige CO2-Bepreisung „schienenfreundliche“ Entscheidungen gefallen seien, die man zu Beginn des Jahres der Regierung nicht zugetraut habe. „Dennoch reicht das nicht für die substanzielle Verlagerung von Verkehren. Auch 2019 hat der Verkehr auf der Straße und in der Luft stärker zugenommen als auf der Schiene.“
Es wurde zudem laut dem NEE keine Schienenstrecke neu in Betrieb genommen. „Die Qualität im Eisenbahnnetz stagniert auf deutlich zu niedrigem Niveau. 2020 und 2021 fährt der Bund die Neu- und Ausbauinvestitionen in sein Netz sogar herunter, während die staatlich gesetzten Energieabgaben für die Schiene deutlich ansteigen und weiterhin der Schatten der Wettbewerbsverzerrung über der geplanten Eigenkapitalerhöhung der DB in Höhe von einer Milliarde Euro liegt“, sagte Kerkeling.
Bisher sei Vieles in der Politik noch Stückwerk und werde durch gleichzeitige Förderungen des Straßenverkehrs konterkariert. Priorität hat aus Sicht der Privatbahnen daher eine „gesetzlich fixierte Vorrangstrategie für die Entwicklung des Schienenverkehrs als Rückgrat einer nachhaltigen Mobilität von Menschen und Gütern sowie eine zukunftsfähige Organisation des Eisenbahnsystems“.
Verband wünscht sich strukturelle Veränderungen
Der Verband NEE sieht einen Wandel der Eisenbahninfrastrukturgesellschaften (Netz, Bahnhöfe, Bahnstromnetz) zu gemeinwohl- wie auch kundenorientierten Dienstleistern als wichtigsten Punkt einer Bahnreform II an. Er spricht sich gegen die Aktiengesellschaft als Rechtsform aus: In diesem Bereich der staatlichen Daseinsvorsorge führe Gewinnorientierung als Unternehmensziel zur permanenten Mangelverwaltung. Niemand käme auf die Idee, von der neu gründeten „Autobahn GmbH des Bundes“ eine Rendite auf das eingesetzte Kapital und Gewinnabführung zu verlangen, so Kerkeling.
Die Organisation einer künftigen Schieneninfrastruktur-Entwicklungsgesellschaft dürfe nicht als Behörde, wohl aber effizient, gewinnfrei und wachstumsorientiert ausgestaltet werden. Sie müsse transparent und bürgernah arbeiten und für selbst verursachte Störungen voll haften.
Dagegen sei der Bund frei und aufgefordert, so Kerkeling, die Verkehrsunternehmen der Deutschen Bahn allen anderen Eisenbahn- und Verkehrsunternehmen gleichzustellen. Eine verantwortliche, gewinnorientierte Führung der Verkehrsunternehmen müsse unterschiedslos durch den entsprechenden Marktrahmen gewährleistet und politischer Durchgriff in einzelne Unternehmen wirksam verhindert werden.
Der NEE-Vertreter erwartet, dass der Bund dem Expertenwissen der Wettbewerbsbahnen künftig mehr Aufmerksamkeit schenkt: „Dass die Wettbewerbsbahnen im Schienengüterverkehr bereits 2018 nach allen amtlichen Statistiken die DB-Güterbahnen in der Verkehrsleistung überholt haben, spiegelt sich noch nicht in Frequenz und Qualität des Austauschs mit dem Ministerium wider.“ Kerkeling riet dem Bundesverkehrsministerium, sich in fachlichen Fragen noch stärker als bisher von seinem eigenen DB-Konzern zu emanzipieren. (ag)