Plötzlich im Rampenlicht

Von einer Sekunde auf die nächste bedrängt von Reportern, bombardiert mit kritischen Fragen - wie sich das anfühlt, musste Rolf-Oliver Hertling erst unlängst erfahren. Dem Spediteur aus dem norddeutschen Halstenbek wurde im Internet vorgeworfen, Neonazis zu beschäftigen. Was die Lage so brisant machte: Der Verdacht bewahrheitete sich. Plötzlich standen bei Hertling die Telefone nicht mehr still, sogar Reporter vom Norddeutschen Rundfunk (NDR) verlangten Antworten. Doch der Unternehmer duckte sich nicht weg, sondern ging in die Offensive: Er entließ die betroffenen Mitarbeiter sofort und veröffentlichte haarklein alle Dokumente zu dem Vorgang bis hin zu den Kündigungen. Dank dieses schnellen Handelns legte sich die Aufregung schnell wieder, sogar die Kunden reagierten positiv auf Hertlings Offenheit. Wegducken funktioniert nicht mehr Auf eine solche Situation sollten sich alle Logistikdienstleister einstellen, denn die Zahl der potenziellen Krisenherde steigt: Ladungsdiebstähle nehmen europaweit zu, die Zahl der Einbrüche in Speditionen bleibt hoch, Hackerangriffe auf Mittelständler grassieren wie nie zuvor. Das Risiko, plötzlich - wie Rolf-Oliver Hertling - im Licht der Kameras zu stehen, steigt. Vorsorge für Notfallsituationen und professionelles Krisenmanagement werden also überlebenswichtig, auch für kleine Betriebe. Doch wo anfangen? "Die Einstellung 'Wird schon vorbeigehen' funktioniert nicht mehr", stellt Jutta Lorberg von BSK Becker + Schreiner Kommunikation, Willich, klar. Die Agentur unterstützt Unternehmen dabei, sich auf Pleiten, Pech und Pannen vorzubereiten. Eine der wichtigsten vorbeugenden Maßnahmen ist dabei die Zusammenstellung eines Krisenstabs. In diesem Gremium sollten neben der Geschäftsführung Ansprechpartner aus unterschiedlichen Abteilungen sitzen, von Einkauf über Personal bis zu Recht und IT. Bei den meisten Betrieben übernimmt der Geschäftsführer die Rolle des obersten Krisenmanagers. Das mag logisch klingen, optimal ist es nicht immer. "Die hierarchische Struktur verhindert mitunter die notwendige Offenheit für unkonventionelle oder unpopuläre Lösungen", beobachtet Torsten Hiermann von Crise Consult, Duisburg. Der Berater rät mitunter, den Krisenstab von einer eigens geschulten Person leiten zu lassen. Nur so könne sichergestellt werden, dass transparent kommuniziert werde - ohne Schuldzuweisungen oder Profilierungen. Wichtig: Wer tritt vor die Presse? Ein weiterer Punkt auf der Präventionsagenda: Es muss frühzeitig festlegt werden, wer im Fall eines Falles vor die Presse tritt. Hier bieten sich nur Personen an, die Erfahrungen im Umgang mit Medien haben oder in Krisenkommunikation geschult sind. BSK etwa führt regelmäßig Interviewtrainings mit Führungspersonen durch, bei denen die Situation auf einer hitzigen Krisen-Pressekonferenz simuliert wird. Die Teilnehmer müssen dann gekonnt auf kritische Fragen reagieren wie "Wann haben Sie die letzte Sicherheitsüberprüfung durchgeführt?" oder "Wer ist für das technische Problem XY zuständig?" Mit dem Ernennen eines Krisenstabs und dem Aufstellen von Notfallplänen (siehe Kasten Seite 26) ist es natürlich nicht getan. Alle Maßnahmen müssen regelmäßig überprüft und aktualisiert werden. Sind die Ansprechpartner und ihre Kontaktdaten noch aktuell? Passt die Zusammensetzung des Krisenstabs noch? Sind womöglich neue Gefahren entstanden, auf die man noch nicht vorbereitet ist? Ein Beispiel dafür sind soziale Medien: Immer mehr Firmen tummeln sich auf Facebook & Co. - und vergessen dabei, dass diese Infokanäle im Notfall auch bedient werden müssen. Sonst droht im Mitmachnetz ein Entrüstungssturm ("Shitstorm"), der von dort aus auf andere Medien übergreift. Deshalb sollten heute nicht nur Pressemitteilungen für verschiedene Szenarien in der Schublade liegen, sondern auch Aktionspläne für die sozialen Medien. Und natürlich muss reichlich geübt werden. "Das ist wie bei der Feuerwehr", betont Lorberg. Die Expertin rät dazu, an einem Wochenende ein komplettes Krisenszenario durchzuspielen. Spätestens dann zeige sich zum Beispiel, ob die Personen aus dem designierten Krisenstab wirklich rund um die Uhr erreichbar seien. Tritt die Krisensituation ein, lautet die erste Aufgabe: Informationen sammeln. "Alle Mitglieder des Krisenstabs müssen genau wissen, in welcher Situation sich der Betrieb befindet", betont Experte Hiermann von Crise Consult. Das klingt zunächst banal, stellt sich im Tumult des Ernstfalls oft schwierig dar - genauso kompliziert wie die Frage, ob ein Vorfall überhaupt eine Krise darstellt. "Ein Lagereinbruch etwa könnte auch nur eine Betriebsstörung sein", wendet Hiermann ein. In diesem Fall wäre der Vorfall nicht an die große Glocke zu hängen (Fachwort: Crisis Containment). Das Unternehmen würde die Polizei, die Versicherung sowie den Kunden informieren, dessen Waren gestohlen wurden - nicht aber die Öffentlichkeit. In einem zweiten Schritt könnte das Unternehmen jedoch auch nicht betroffene Kunden kontaktieren und über die ergriffenen Gegenmaßnahmen informieren. Das sendet die Botschaft "Sie können uns vertrauen, wir gehen mit Problemen offensiv um". Freilich ist dieses Verfahren mit Risiken behaftet, schließlich könnten so schlafende Hunde geweckt werden. "Das ist immer eine Abwägungsfrage", so Hiermann. Die Krise aussitzen funktioniert nicht Sobald mehr als ein Kunde von einem Problem betroffen ist, führt kein Weg an einer öffentlichen Reaktion vorbei. Und zwar an einer schnellen Reaktion. "Sie müssen die Informationshoheit behalten", beschwört Lorberg. Der Betrieb sollte so schnell wie möglich einen ersten Zwischenstand geben und zeigen, dass man sich des Themas angenommen hat. "Sonst werden selbsternannte Experten zum Sprachrohr", erklärt Lorberg. Die erste Stellungnahme sollte alle gesicherten Informationen enthalten und erste Maßnahmen beschreiben. Später folgen dann weitere Statements zu den Hintergründen der Krise beziehungsweise zu den langfristigen Gegenmaßnahmen, damit sich ähnliche Situationen nicht wiederholen. In jedem Fall darf der Betrieb auch mit unbequemen Wahrheiten nicht hinterm Berg halten, betonen Experten. Gute Krisenkommunikation bedeutet immer, mit offenen Karten zu spielen. Doch gerade mit dieser Offenheit tun sich viele Unternehmen nach wie vor schwer. Allzu häufig versucht die Geschäftsleitung, die Krise totzuschweigen oder auszusitzen. Experten warnen vor der Vogel-Strauß-Taktik, denn die Zeiten, in denen Firmen geschlossene Systeme waren, sind vorbei. Früher oder später dringt heute jede Information nach außen, sei es über einen der immer zahlreicheren Dienstleister oder über soziale Netzwerke. Daneben begehen viele Firmen den Fehler, Informationen zu langsam oder zu spärlich fließen zu lassen. Gerade im Mittelstand ist die Angst verbreitet, in einer Ausnahmesituation versehentlich Geschäftsgeheimnisse zu verraten. Gerechtfertigt ist sie selten. "Sie sollten gesicherte Zahlen, Daten und Fakten zur Verfügung stellen, das hilft der Öffentlichkeit, die Krise einzuordnen", erklärt Lorberg. Ein Beispiel: Wenn ein Unternehmen klare Angaben zum Umsatz macht, können Dritte besser einschätzen, ob der wirtschaftliche Schaden eines Lagerbrandes den Betrieb in seiner Existenz bedrohen könnte. Angaben zur Größe der Belegschaft oder zum Kerngeschäft (allgemeinverständlich erklärt) sollte jede Kommunikationsabteilung griffbereit haben oder auf der Homepage zur Verfügung stellen. Mehr als nur Feuerlöschen Krisenmanagement bedeutet aber mehr als Feuerlöschen. "Oft verfällt man in operative Betriebsamkeit und denkt nicht an morgen", weiß Berater Hiermann. "Sie müssen alle Aus- und Wechselwirkungen im Blick behalten - und zwar jenseits dessen, was im Moment erforderlich erscheint." Beispiel Lagerbrand: Das Feuer mag gelöscht und der Schaden von der Versicherung reguliert worden sein. Doch was ist, wenn im kommenden Monat ein Großauftrag hereinkommt, für den die Lagerkapazitäten gebraucht werden? Solche Szenarien sollte der Krisenstab rechtzeitig durchspielen. "Vor die Lage kommen" nennen Profis diese Aufgabe. Dieser Blick in die Zukunft ist deshalb so wichtig, weil sich der sogenannte Katastrophenbonus schnell abnutzt. Direkt nach einem Notfall haben Öffentlichkeit und Kunden noch Verständnis, wenn das Geschäft noch nicht wieder rund läuft. "Doch schon übermorgen wird erwartet, dass das Unternehmen eine Lösung anbietet", betont Hiermann. Die Serie Logistik in Gefahr Die große Serie der VerkehrsRundschau zu den neuen Bedrohungen der Transportkette- VR 12: Neue Gefahren für die Transportkette- VR 17: Compliance - Wie man mit Korruption umgeht- VR 20: Terror - Wo die Logistik besonders gefährdet ist- VR 25: Datensicherheit - Schutz gegen Cybercrime- VR 29: Frachtdiebstahl - Das richtige Risiko-Management- VR 34: Klimawandel - Schützen vor Sturm und Regen- VR 37: Einbruch - Schutz im Lager und beim Umschlag- VR 42: Soziale Unruhen - Von Streiks bis Revolution- VR 47: Krisenmanagement - Im Ernstfall richtig handeln Tipp Vorsorgemaßnahmen, die im Krisenfall Gold wert sind - Benennen Sie feste Ansprechpartner für außergewöhnliche Ereignisse. Richten Sie eine Stelle ein, die rund um die Uhr oder zumindest während der Betriebszeit besetzt ist. Hier eingesetzte Mitarbeiter müssen Zugang zu wichtigen Informationen (Daten von Kunden und Subunternehmern) haben. Benennen Sie einen Ansprechpartner für die Polizei und für die Presse.- Stellen Sie genaue Anweisungen für das Krisenmanagement-Team auf. Es sollte genau geregelt werden, was in einem Notfall von wem zu tun ist, wer informiert werden muss (Telefonnummern und Ersatztelefonnummern notieren), was mitzuteilen und zu dokumentieren ist. Machen Sie die Mitarbeiter mit diesen Plänen vertraut und führen Sie Übungen durch.- Formulieren Sie eine Leitlinie für Mitarbeiter vor Ort (zum Beispiel für Fahrer). Hilfreich sind eingeschweißte Checklisten zum Beispiel für telefonische Meldungen (Wer ruft an? Was ist passiert? Ist Gefahrgut betroffen? Gibt es Verletzte?). Übersetzen Sie die Anweisungen gegebenenfalls in mehrere Sprachen. Denken Sie auch an den Eigenschutz der Mitarbeiter ("bei Unfällen mit Gefahrgut oder Überfallsituationen nicht den Helden mimen").- Halten Sie die Zahl der Subunternehmer gering und beziehen Sie alle in den Informationsfluss mit ein.Quelle: SefLog Handbuch 2013, bearbeitet

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