Paris. Die französische Regierung plant, den bisherigen SNCF-Bahnfrachtbereich Fret SNCF vermutlich in der ersten Jahreshälfte 2020 zu rekapitalisieren, den Sozialbereich und die Arbeitsorganisation neu zu gliedern und den Sektor vor allem zu „filialisieren“, das heißt in eine reale Tochtergesellschaft umzuwandeln. Fret SNCF wurde bislang von der Staatsbahn und deren Unternehmensbereich SNCF Mobilités als eine Quasi-Tochter ohne rechtliche Eigenständigkeit im Rahmen eines Statuts namens Epic mitgeführt und hat einen Schuldenberg in Höhe von momentan 4,3 Milliarden Euro Schulden eingefahren.
Eine Epic ist ein „öffentliches Unternehmen mit industrieller und kommerzieller Aufgabenstellung“ wie die SNCF insgesamt ebenso. Mit der Umwandlung in eine Filiale mit 100 Prozent Kontrolle durch SNCF soll der beabsichtigte Kapitalschub mit Blick auf Brüssel erleichtert werden.
Gewerkschaften lehnen Reformpläne ab
Bei der Bekanntgabe des Vorhabens am Rande einer Veranstaltung im Bereich Binnenschifffahrt vermied der Ministerpräsident geflissentlich den Begriff „Filiale“. Er ist ein rotes Tuch insbesondere für die bei der Bahn führende Gewerkschaft CGT, die jeden Schritt in Richtung größerer wirtschaftlicher Effizienz als kapitalismusverdächtig ablehnt und momentan als Haupttreiber bei dem für 3 Monate angesetzten Bahnstreik agiert.
Die geplante Ausgliederung von Fret SNCF ist Bestandteil eines Gesetzentwurfs für eine weit reichende Bahnreform. Das französische Parlament hat dem „pacte ferroviaire“ genannten Vorhaben in erster Lesung mit großer Mehrheit zugestimmt und den Text an die Zweite Kammer, den Senat, zur Abstimmung Ende Mai verwiesen.
Bei den im Bahnbereich präsenten Eisenbahner-Gewerkschaften stößt das Reformvorhaben weithin auf Ablehnung. Sie stören sich insbesondere daran, dass zukünftig neu eingestellte Mitarbeiter auf die bisherigen Eisenbahnerprivilegien, die in einem speziellen Statut verankert sind, verzichten sollen. Für die CGT geht es überdies darum, die Öffnung des Bahnmarktes nun auch für den Personenverkehr zu verhindern. Das „statut des cheminots“ ist 1853 von Napoleon III verfügt worden mit dem Ziel, die Eisenbahner zum schlagkräftigen Träger einer forcierten Industrialisierung des Landes zu machen – Frankreich lag hier damals im Europavergleich zurück.
Fret SNCF mit Schulden in dreistelliger Höhe
Dass die Gewerkschaften nichts gegen Kapitalismus haben, sofern dies SNCF-Aktivitäten im Ausland betrifft, geht aus diesen Zahlen hervor: Schon ein Drittel des gesamten Umsatzes erzielt die französische Staatsbahn inzwischen über ihre Tochterunternehmen außerhalb des eigenen Landes auf 120 diversen Auslandsmärkten. Bis 2022 will Bahnchef Guillaume Pepy auf einen international erwirtschafteten Umsatzanteil von 50 Prozent kommen, die Hälfte davon auf dem alten Kontinent.
Der französische Bahnfrachtmarkt ist seit 2006 auch für die Konkurrenz geöffnet, die seither von Fret SNCF rund 40 Prozent der bislang von diesem gehaltenen Marktanteile übernommen hat. Die staatliche Bahnfrachtsparte konnte in den letzten Jahren ihre Ertragssituation zwar im Zuge diverser organisatorischer und finanzpolitischer Maßnahmen sowie einer Quasi-Halbierung des Personalbestandes verbessern. Sie hat aber weiter Schulden in jeweils dreistelliger Höhe eingefahren, im letzten Jahr noch 120 Millionen Euro. Die Gesamtverschuldung beläuft sich zurzeit auf 4,3 Milliarden Euro. Der Bestand an Eigenkapital ist mit 4,1 Milliarden Euro negativ.
Trennung von anderen Tätigkeitsfeldern möglich
Die Regierung hatte bisher an diesen Problemkomplex nicht gerührt, sieht sich aber jetzt dazu gezwungen, nachdem sie im Rahmen der auf den Weg gebrachten Bahnreform insgesamt auch eine Entschuldung der Staatsbahn SNCF ins Auge gefasst hat. Für Fret SNCF werde nunmehr eine Basis zugunsten von Rentabilität gesucht, verlautete in einem SNCF-Communiqué kurz nach Bekanntgabe der Pläne durch den Ministerpräsidenten. Dies erfordere eine „Gesundung der finanziellen Situation“, mit anderen Worten eine „Rekapitalisierung“. Um der Filialisierung zuzustimmen, könnte die EU im Gegenzug etwa die Trennung von einigen Aktionsfeldern verlangen, heißt es in Paris dazu.
Laut einer Pressemeldung vom 21. April sollen sich die Gewerkschaften nun darauf verständigt haben, im Falle eines Scheiterns der Verhandlungen mit der Regierung den Ausstand bei der Staatsbahn selbst über die beiden Sommerferien-Monate Juli und August fortzuführen. (jb)