Ohne teure Gimmicks

Dieser FH 460 ist für Volvo so etwas wie eine abgespeckte Version für große Flottenbetreiber. Soll heißen: Die zwar technisch raffinierten, aber eben auch teuren Volvo-Schmankerl à la Doppelkupplungsgetriebe, Einzelradaufhängung oder die elektronische Lenkung Dynamic Steering fielen hier dem Rotstift zum Opfer. Zusätzlich zu den gesparten Anschaffungskosten schlägt sich der Verzicht auch positiv auf die Gewichtsbilanz nieder: Bei 7090 Kilogramm verharrt die Anzeige der Waage, damit darf sich das Testfahrzeug als Leichtgewicht bezeichnen. Wer nun Unheil wittert, den können wir beruhigen: Auf Kosten des Fahrers geht das niedrige Gewicht nicht. Das Testfahrzeug bietet mit der Globetrotter-Kabine genügend Platz für mehrtägige, nationale Touren. Auch Annehmlichkeiten wie automatische Klimaanlage, eine 33 Liter fassende Kühlbox mit Gefrierfach, Navigationssystem, Bi-Xenon-Scheinwerfer mit Abbiegelicht fehlen dem "Iced-Mercury-Metallic"-lackierten FH ebenso wenig wie das komplette Sicherheitspaket mit Spurwechselunterstützung, Abstandsregeltempomat und aktiver Fahrermüdigkeitsüberwachung. Seinen Gewichtsvorteil zieht der FH vielmehr aus den technischen Komponenten, wofür sich die Göteborger Ingenieure nach eigener Aussage auf die Suche nach jedem Gramm machten. Die gewichtsoptimierte Hinterachsaufhängung (minus 95 Kilogramm), die Leichtbau-Stabilisatoren an der Vorderachse (minus sieben Kilogramm) inklusive Einblatt-Parabel-Federung anstatt der serienmäßigen Zweiblatt-Lösung (minus 24 Kilogramm) sind da nur einige Beispiele. Mit 105 Kilogramm schlägt dafür der Voith-Retarder zu Buche, der den Test-FH zusammen mit der VEB+-Motorbremse bergab mit bis zu 1122 PS verzögert. Mehr als genug um die knapp 31 Tonnen leichte Testfuhre auch in steilsten Gefällen problemlos im Zaum zu halten. Trotzdem würden wir die hydrodynamische Dauerbremse immer vorziehen, denn der Retarder schont Getriebe und Motor und hält die Geräuschkulisse im angenehmen Rahmen. Der FH gehört zu den leisesten Lkw Wobei der Volvo auch in der Flottenversion bergauf wie bergab zu den leisesten Lkw am Markt gehört. Hier ist die fehlende Sonnenblende durchaus von Vorteil, denn wo keine Blende ist, da kann sich auch kein pfeifender Fahrtwind verfangen. Zusätzlich wirkt sich das Weglassen der Blende nachweislich positiv auf den Kraftstoffverbrauch aus. Doch dazu später mehr ... Zunächst einmal stellen wir fest, dass es sich auch mit der Einblattfederung an der Vorderachse gut leben lässt. Das abgespeckte Volvo-Fahrwerk gleitet zwar nicht ganz so unbeeindruckt über Bodenunebenheiten hinweg wie die Serienfederung oder gar die Einzelradaufhängung. Im direkten Vergleich mit manchem Wettbewerber darf der Fahrkomfort aber immer noch als hoch bezeichnet werden. Gleiches gilt für die Lenkung. Der FH lässt sich angenehm direkt dirigieren, und die Steuerung gibt präzise Rückmeldung. Gut gefällt uns auch der riesige Verstellbereich des Lenkrades über die zwei Gelenkwellen. Diese Option sollte man sich auf jeden Fall gönnen, denn so kann sich jede Statur passend hinter dem Volant einrichten. Beim Rangieren vermisst man die von einem Elektromotor unterstützte "Dynamic Steering", mit der sich das Lenkrad sogar im Stand mit dem kleinen Finger drehen lässt, dann aber doch. Wer viel rangieren oder umsatteln muss, ist mit der dynamischen Lenkung sicher nicht schlecht beraten. Beim Getriebe sehen wir dagegen keinen Bedarf zum Upgrade auf die Doppelkupplungsbox "Double Clutch". Warum? Weil das normale I-Shift-Getriebe seinen Job einfach gut macht und nicht umsonst noch immer das automatisierte Schaltgetriebe am Markt ist, mit dem sich die Konkurrenten messen lassen müssen. Unharmonische Anfahrvorgänge mit Kupplungsruckeln oder unsaubere Schaltvorgänge sind dem Volvo-Getriebe fremd, die Zahnräder rücken in jeder Lebenslage sauber und schnell ein. Ohne Aussetzer: GPS-Tempomat "I-See" So wie fast immer mit der richtigen Strategie. Hier erhält die Steuerungselektronik Schützenhilfe vom GPS-Tempomaten I-See. Das System arbeitet zwar nicht ganz so feinfühlig wie die Systeme von Mercedes-Benz und Scania. Die Probleme der Vergangenheit, dass I-See regelmäßig den Kontakt zur Datenwolke verlor und damit quasi erblindete, scheinen die Schweden aber ein für alle Mal ausgemerzt zu haben. Zumindest erlaubte sich I-See auf unserer Testrunde keine Aussetzer. Stattdessen "spielt" die Elektronik mit der Topografie der Strecke, rollt spritsparend über Kuppen und tritt vor Bergen automatisch aufs Gas, um steigungsbedingte Schaltungen möglichst lange hinauszuzögern oder sogar ganz zu verhindern. Was oft gelingt. Mit unserem 25-Tonnen-Auflieger auf der Sattelplatte, den alle Zugmaschinen mit weniger als 500 PS beim Test ziehen müssen, überrollt der FH 460 auch die steileren Stiche unserer Runde im höchsten Gang, auch den steilen Kindiger Berg auf der A 9 bei Eichstädt. Wohl wissend, dass der 12,8 Liter große Reihensechszylinder seine 2300 Newtonmeter Drehmoment ab 1000 Touren freisetzt. Selbst diesen Wert zu unterschreiten, verursacht keine Probleme, denn störende Vibrationen sind dem D13-Motor selbst im Drehzahlkeller fremd. Verbrauchsseitig kommen nach unserer 353 Kilometer langen und wie immer mit unserem Referenz-Actros abgeglichenen Testrunde 26,15 l/100 Kilometer zusammen. Darin eingerechnet ist wie immer der AdBlue-Verbrauch, der sich bei 3,5 Prozent vom Dieselverbrauch einpendelte. Damit schafft es dieser Volvo zwar nicht ganz nach vorne, ist aber auch kein Ausreißer, zumal er schnell unterwegs war. Ein Fazit, was sich auf die ganze Flottenlösung aus Göteborg anwenden lässt. Ein Brot-und-Butter-Fahrzeug eben. Alle Tests und Fahrberichte für Abonnenten www.verkehrsrundschau-plus.de Der Volvo im TÜV-Urteil Wie bei jedem Profi-Test der VerkehrsRundschau begutachtete der TÜV SÜD auch den Volvo FH 460 in Sachen Service und Wartung. 100.000 Kilometer Wartungsintervall mögen bezogen auf die Konkurrenz wenig erscheinen, dem FH genügt aber günstiges 10W40-Standardöl. Zudem verweisen die Schweden nicht unberechtigt darauf, dass die Wartungsrechner der Konkurrenz oft deutlich früher einen Werkstattstopp einfordern würden als versprochen. Das Fahrerhaus lässt sich optional elektrisch kippen, die Mechaniker freuen sich über den großen Kippwinkel der Kabine, was die Zugänglichkeit und das Arbeiten am Motor erleichtert. Alle Füllstände überwacht der Bordcomputer, zusätzlich spendiert Volvo einen Peilstab hinter der Frontklappe. Eine praxisgerechte Idee ist der Einfülltrichter fürs Motoröl. Die Frontklappe ist lobenswerterweise mit der Zentralverriegelung und der Alarmanlage gekoppelt, was Diebstahl oder Vandalismus vereitelt. Unfall- und frostgefährdet vor dem linken Vorderrad untergebracht ist der Frostschutzbehälter, dafür lässt er sich leicht nachfüllen. Zum seltenen Nachfüllen von Lenköl muss die Kabine gekippt werden. bj Kommentar Der Verzicht ist kein MankoMit der abgespeckten Einblatt-Parabel-Feder an der Vorderachse bietet der FH einen guten Fahrkomfort und lässt sich auch ohne die Dynamic-Steering-Lenkung verbindlich steuern. Noch weniger vermisst man das teure DSG-Getriebe, die normale I-Shift-Schaltung arbeitet schließlich bekanntermaßen souverän. Wenn man seinen Fahrern etwas Gutes tun möchte, sollte man lieber die größte Globetrotter-XL-Kabine spendieren.Kontakt: jan.burgdorf@springernature.comJan Burgdorf VR-Testredakteur

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