Nie mehr Tüten schleppen

Ein Gläschen Senf, zwei Liter Milch, eine Packung Fischstäbchen, eine Fleischwurst und noch ein paar andere Dinge und der tägliche Einkauf ist perfekt. Im Laden würde das Ganze etwas über zehn Euro kosten. Online-Shopper bezahlen fast doppelt so viel - allein wegen der Zustellkosten und des Frischeaufschlags. Die hohen Logistik- und Versandkosten sind letztlich ein Grund, warum bislang nur jeder dritte Verbraucher in Deutschland erst einmal im Internet Lebensmittel bestellt hat. Immerhin kann sich dies fast jeder Zweite in Zukunft vorstellen. Das zeigt das aktuelle "Consumer Barometer" des Kölner Instituts für Handelsforschung (IHF) und der Unternehmensberatung KPMG. Kein Wunder, dass diesem Marktsegment Experten zufolge enorme Wachstumschancen zugesprochen werden. Die Unternehmensberatung McKinsey rechnet sogar damit, dass bereits im Jahr 2020 rund fünf Prozent der Lebensmittel im Internet gekauft werden. Dies entspräche einem Umsatz von rund zehn Milliarden Euro. Zum Vergleich: Derzeit macht der Lebensmittel-Umsatz im Internet gerade einmal rund 500 Millionen Euro aus. Für Logistikunternehmen eröffnet sich damit ein völlig neues Geschäftsfeld - mit enormem Wachstumspotenzial. Bis zu 200 Millionen zusätzliche Pakete im Jahr erwartet McKinsey. Dies entspräche 10 bis 15 Prozent des heutigen Paketmarktes. Die entscheidende Frage ist aber: Wie sehr können Logistikdienstleister von diesem möglichen Boom wirklich profitieren? Deutschland hat Nachholbedarf Noch sind die Sendungsmengen und Umsatzsummen in diesem Segment in Deutschland bescheiden. So viel steht fest. Gerade einmal eine Handvoll Lebensmittelhändler tummeln sich bislang im Internet. Neben reinen Onlinehändlern wie Mytime.de, Allyouneed.com und Lebensmittel.de sind Supermarktketten wie Edeka und Rewe mit Online-Shops im Netz vertreten. Auch Versandriese Amazon verkauft bereits haltbare Lebensmittel im Internet. Der Shop ist allerdings noch im Beta-Stadium. Gerüchten zufolge will das Unternehmen aber im Sommer groß in den Versand von frischen Lebensmitteln einsteigen. Amazon Deutschland wollte dies auf Anfrage indes nicht kommentieren. In den USA versorgt der Onlinehändler seine Kunden schon in einigen Städten mit Milch, Fleisch und Gemüse. "Im europäischen Vergleich hat der deutsche Online-Lebensmittelhandel noch Nachholbedarf. Das Potenzial, mit diesem Konzept Kundenbedürfnisse zu befriedigen, ist hoch - gerade in Ballungsgebieten", bestätigte Rewe-Vorstand Lionel Souque anlässlich des Starts von Rewe online Mitte Mai in Hannover. Auch beim Anbieter My-Time sieht man einen wachsenden Markt. Monatlich würden Bestellungen im fünfstelligen Bereich eingehen. Insbesondere in den Metropolen, aber auch aus dem sehr ländlichen Raum. Geringe Zahlungsbereitschaft Sollten sich die Prognosen bewahrheiten, bietet dieser Markt aber nicht nur den Händlern, sondern auch Speditions- und Logistikdienstleistern großes Potenzial. Denn den Unternehmen winkt eine bessere Netzauslastung und zusätzlicher Umsatz. Denn lediglich Handelskonzern Rewe setzt in diesem Segment auf eigene Fahrer, die die Waren aus lokalen Supermärkten abholen und den Kunden zustellen. Alle anderen Anbieter arbeiten für dieses Geschäft mit externen Dienstleistern zusammen, insbesondere mit Deutsche Post DHL. Der Logistikkonzern schöpft bislang den Löwenanteil des neuen Marktes aus. So arbeiten fast alle Online-Lebensmittelhändler wie Edeka24.de, My-Time und Lebensmittel.de bei der Auslieferung mit DHL zusammen. Mit Allyouneed.com betreibt die Deutsche Post DHL sogar ein eigenes Lebensmittelgeschäft im Internet. Lediglich Lebensmittel.de hat auch DPD unter Vertrag und liefert in Berlin mit einem eigenen Lieferservice aus. "DHL ermöglicht es uns, bundesweit zuverlässig und kostenoptimiert mit einem Anbieter zu liefern", begründet eine Sprecherin des ostfriesischen Handelshauses Bünting, das Eigner des Onlinesupermarktes Mytime.de ist, die Zusammenarbeit mit der Posttochter. Zudem biete DHL Kundenservices wie Same-day-Fotolia/Tactic Lieferung und Spätzustellung am Abend. Solche schnellen tag-gleichen Zustellungsservices bieten mit Ausnahme der Post tatsächlich bislang nur sehr wenige Dienstleister, was auch an der nicht vorhandenen Zahlungsbereitschaft der Bundesbürger liegt, wie eine Studie des Forschungsinstituts Ibi Research an der Universität Regensburg zeigt. Demnach würde jeder zweite Bundesbürger den tag-gleichen Service erst nutzen, wenn dadurch keine zusätzlichen Kosten entstehen. Und nicht einmal jeder Dritte würde einen Mehrpreis in Kauf nehmen. Bislang wenige Anbieter im Netz Kein Wunder, dass die tag-gleiche Belieferung auch bei den Online-Händlern derzeit kein Thema ist. "Same-Day-Lieferung ist für den Mytime.de-Ansatz nicht der wichtigste Aspekt, weil unsere Kunden in der Regel ihren Wocheneinkauf bei uns machen und diesen länger planen", so die Bünting-Sprecherin. Auch bei der Post-Tochter Allyouneed.com ist bislang nur Übernacht-Lieferung möglich. Verbraucher können dort bis 24 Uhr ihre Waren bestellen. Die Lieferung erfolgt am folgenden Abend zwischen 18 und 20 oder zwischen 20 und 22 Uhr. Dies gilt für das gesamte Sortiment von über 20.000 Produkten, inklusive der Frischeartikel. Obst und Gemüse werden dafür täglich vom Großmarkt ins Allyouneed.com Logistikzentrum geliefert. Ohne Aufpreis angeboten wird dieser Service aber bislang nur in Ballungsräumen wie Berlin, Bonn, Düsseldorf, Frankfurt, Hamburg, Hannover, Köln, München, Stuttgart und dem Ruhrgebiet. Weitere Regionen sollen folgen. Ein Overnight-Service wird auf Dauer Endverbrauchern aber kaum reichen. Der Trend geht klar zu einer immer schnelleren Sofortbelieferung - mit entsprechenden Anforderungen an Händler sowie Transport- und Logistikdienstleister (siehe Kasten Seite 22). "Speditionen und Frachtführer haben nur eine Chance, im Lebensmittel-Online-Geschäft zu punkten, wenn sie sich darauf einstellen, höchst zuverlässig und termingerecht Sendungen in die Haushalte zu transportieren und das sechs Tage die Woche zwischen 7 und 22 Uhr", bringt die Sprecherin des Teehandelshauses Bünting die Hürden auf den Punkt. Damit nicht genug: "Kunden werden die Warenverfügbarkeit nicht nur zu Hause erwarten, sondern dort, wo sie sich gerade aufhalten oder die Ware in Empfang nehmen wollen", führt sie aus. Das bedeutet also noch mehr Flexibilität bei der Auslieferung. Hohe Einstiegshürden "Das aber können Spediteure nur innerhalb eines Systems leisten", ist Jürgen Pfeil von der Passauer Spedition Pfeil überzeugt. Vor allem, wenn es darum geht, einen bundesweiten Service anzubieten. Denn wer seine Kunden am selben Tag beliefern will, kann sich keine langen Transportwege leisten. Lokale Lager und flexible Transportbetriebe, die kleinteilige Sendungen auch mehrmals am Tag bündeln können, sind in dem Geschäft gefragt. Schlussendlich muss das Retouren-Handling gewährleistet sein, etwa wenn der Kunde die Ware beanstandet oder trotz vereinbartem Termin nicht zu Hause ist. "Annahmeverweigerung, Staus und Reklamationen sind bei frischen Produkten ein Problem", bestätigt Pfeil. Stehe zum Beispiel die Ware eine weitere Nacht im Lager bis zum nächsten Zustellversuch, werde aus dem bestellten Speiseeis schnell ein Becher voll Wasser. Allein dies zeigt die Bedeutung richtiger Verpackung. Viele Wege führen nach Rom Auch Alfred Miller, Managing Director der Dachser Food Logistics, ist skeptisch, ob sich das schnelle und kleinteilige Geschäft für kleine und mittelständische Spediteure auszahlt (siehe Kasten Seite 22). Das Segment E-Food biete zwar Chancen, sagt er, allerdings müsse ein Unternehmen teilweise hohe finanzielle Vorleistungen tätigen, um diesen Markt zu erschließen. "Ohne Skaleneffekte rechnet sich dieses Geschäft in Deutschland für Spediteure noch nicht oder aber nur in enger räumlicher Zusammenarbeit mit dem Händler", urteilt der Managing Director von Dachser Food Logistics. E-Food lässt sich laut Miller also in Deutschland bislang fast nur von den Händlern selbst gewinnbringend oder zumindest kostendeckend abwickeln, wenn der Verbraucher entweder für die Zustellung bezahlt oder eine Mindestmenge an Gütern bestellt, deren Verkaufsmarge die Transportkosten decken kann. Stephan Tromp, stellvertretender Hauptgeschäftsführer des Handelsverbands Deutschland (HDE), empfiehlt dagegen seinen Mitgliedern, im Internethandel tätig zu werden. Das Fehlen eines zentralen Logistiknetzes sollte auch mittelständische Handelsunternehmen davon nicht abhalten, sagt er. "Die Belieferung direkt aus dem Geschäft ist im E-Commerce zwar teurer, lohnt aber trotzdem", so der HDE-Mann. Und kleineren Transporteuren biete sich die Chance, diese Geschäfte zu einem regionalen Liefernetz zusammenzuschließen, zeigt Tromp auch mögliche Potenziale für Transportdienstleister auf. In eine ähnliche Richtung zielen auch die Überlegungen von Alfred Miller. "Denkbar wäre es zum Beispiel, regionalen Händlern den Fuhrpark ab dem späten Nachmittag zur Verfügung zu stellen", sagt er. Um diese Zeit seien die Auslieferungen und Abholungen abgeschlossen, führt Miller aus. Erste Gespräche in diese Richtung führe Dachser bereits mit diversen Firmen. Alles das zeigt: Das Segment E-Food ist in Bewegung. Keiner der Player hat aber bislang eine wirkliche Antwort darauf gefunden, wie sich die prognostizierten Sendungsmengen im Bereich Foodlogistik logistisch bewältigen lassen. "Aktuell experimentieren noch viele Marktteilnehmer mit verschiedenen Modellen", sagt Thomas Netzer, Partner und Logistikexperte der Unternehmensberatung McKinsey. So weiten große Logistikdienstleister ihr traditionelles Geschäft aus, Neugründungen bündeln auf Online-Brokerplattformen lokale Lieferungen und große Einzelhändler nutzen eigene Fahrzeugflotten zur Auslieferung, nennt Netzer Beispiele. Viele Wege führen bekanntlich nach Rom - im noch jungen Marktsegment E-Food ist das genauso. Tipp Was Logistikdienstleister im Segment E-Food leisten müssen - Bestellungen bündeln, um die Logistikkosten im Verhältnis zu den niedrigen Artikelpreisen zu senken- Handling gekühlter Ware, die rund 20 Prozent des Volumens ausmachen- Termingenaue Zustellung nach den Wünschen des Empfängers- Retourenhandling und Zweitzustellung noch am selben Tag- Möglichkeit der Same-Day- oder Übernacht-Lieferung ah Herausforderungen an die Logistik Same-Day-Lieferung: Was Handel und Logistik dafür tun müssen Der Markt für Same-day-Delivery dürfte bis zum Jahr 2020 in Westeuropa auf drei Milliarden Euro wachsen, schätzt die Beratungsfirma McKinsey. Den Handel und die Logistik stellt dies allerdings vor hohe Herausforderungen.- Produktverfügbarkeit: Wer am selben Tag liefern will, kann sich keine langen Transportwege leisten. Onlinehändler müssen ein Netz an lokalen Lagern aufbauen. Je nach Geschäftsmodell kann die regionale Verfügbarkeit von Produkten ausreichen - insbesondere für Händler, die so viel Volumen generieren, dass sich häufige Fahrten zwischen Lager und Stadtzentren lohnen.- Transparenz über lokalen Warenbestand: Die Händler müssen zuverlässig angeben können, ob das gewünschte Produkt vorrätig ist und am selben Tag ausgeliefert werden kann. Das beauftragte Logistikunternehmen wiederum muss in Echtzeit informiert werden, wo und wann es die Lieferung abholen soll.- Schnelle Kommissionierung und Verpackung: Händler müssen Vorlaufzeiten reduzieren und tag-gleiche Bestellungen bevorzugt abwickeln.-. Leistungsfähige Logistik: Logistiker müssen technisch auf der Höhe der Zeit sein, um das Zusammenspiel von Kommissionierung, Verpackung und Auslieferung innerhalb weniger Stunden zu meistern. ahQuelle: McKinsey

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