Neue Spielregeln zählen

Um sich für die Digitalisierung zu rüsten, gibt es nicht die Standardlösung. Jedes Unternehmen muss für sich hier die eigene Lösung selbst schaffen. Immerhin: Die Technik dafür ist da. Aber die Unternehmen müssen tief in die Tasche greifen, um die Digitalisierung voranzutreiben. Das zeigte der Kongress "Logistik digital - Zwischen Vision und Praxis", den die IHK Niederrhein in Duisburg im Februar veranstaltet hatte. "Wir leben in einer Zeit des exponentiellen Fortschritts, in der altbekannte Daten durch die technologischen Neuerungen neu interpretiert werden können - allein durch eine clevere Auswertung. Und die Firmen, die das können, haben dadurch die Macht, ganze Branchen zu verändern", beschreibt Sacha Lobo, der als Stargast eingeladen war, die Ausgangssituation der Unternehmen. Sie müssten deshalb Datenströme beherrschen und auswerten lernen, rät der Blogger, Journalist und Strategieberater. Die Logistikbranche sei aber, das ist die gute Nachricht des Tages, dank ihres Grundverständnisses für Vernetzung für die anstehenden Neuerungen prädestiniert: "Sie sind also in der Luxusposition", machte Lobo den rund 300 Kongress-Besuchern Mut. Als neue Herausforderung sieht er indes den "Sofortness"-Trend, die digitale Ungeduld der Menschen. "Es muss alles immer schneller werden, um noch als rechtzeitig empfunden zu werden", formuliert er es. Und: Die Wirtschaft steuere auf einen "Plattform-Kapitalismus" zu. Mit der Folge, dass immer größere Teile der Wertschöpfung in die Digitalität wandern. Um da im Spiel zu bleiben, hilft laut Lobo nur eines: Unternehmen müssen firmenübergreifend, auch mit Mitbewerbern, Partnerschaften bilden und Plattformen aufbauen. So gelinge es ihnen, selbst Giganten wie Amazon Paroli zu bieten. Digitale Transformation kostet viel Geld Anspruchsvoll werde dies, mahnt der Strategieberater, gerade für deutsche Firmen. Denn sie streben nach drei Jahren an, eine "schwarze Null" zu schreiben, während es im Silicon Valley ein Zeichen von Stärke sei, wenn man Verlust macht. Lobo wörtlich: "Weite Teile der neuen Wirtschaft setzen kaufmännische Prinzipien, wie wir sie in Deutschland kennen, fast außer Kraft.Viele Internet-Unternehmen achten nicht heute, auch nicht morgen, auf Profitabilität." Sie wollen Lobo zufolge erst einmal ihre Marktanteile und Kundenbeziehungen ausweiten. "Später ziehen sie dann", meint er, "irgendwann die Daumenschrauben an." Sein Fazit: "Für die digitale Transformation braucht ein Unternehmen also sehr, sehr tiefe Taschen." Den Markt ein gutes Stück kaufen "Gerade in unserer Region wissen wir aber, wie Strukturwandel funktioniert. Und wir haben hier die Ausbildungsstätten, um Digitalisierung voranzutreiben", ermutigt Professor Michael Ten Hompel, Institutsleiter am Fraunhofer Institut für Materialfluss und Logistik IML, die Unternehmen in Duisburg. Auch Erich Staake, Vorstandsvorsitzender des Duisburger Hafens (Duisport), zeigt sich zuversichtlich: "Die Industrie ist in vielen Bereichen sehr viel weiter, als man manchmal lesen kann. Industrie 4.0 ist für viele kein Schlagwort mehr." Und, um hier reüssieren zu können, helfen laut Staake auch "kleine Pflänzchen" wie der "Startports", den der Duisburger Hafen mit dem Ziel gegründet hat, junge Unternehmen mit innovativen Ideen und etablierte Anbieter zusammenzubringen. "Das Kirchturm-Denken hilft uns hier nicht weiter. Wir müssen die Zusammenarbeit pflegen, um Mehrwert zu generieren. Denn der Wettbewerb ist international", appelliert er an die Unternehmen in der Logistik. "Ich habe aber nicht den Eindruck, dass wir in Deutschland in Sachen Digitalisierung etwas verschlafen. Wir haben genügend Innovationskraft", betont der Duisport-Chef. Außerdem sei es "unsinnig" zu versuchen, mahnt Ten Hompel, alles vom Silicon Valley auf Deutschland zu übertragen. "Wir müssen da unsere eigenen Wege gehen. Die ganze Technik ist da. Wir müssen sie nur nutzen", appelliert der Logistikexperte an die Unternehmen. "Sie werden aber keinen wesentlichen Marktanteil erreichen, ohne viel Geld in die Hand zu nehmen", warnt auch Ten Hompel. Gerade bei der Etablierung von digitalen Plattformen sei dies wichtig: "Nur darauf warten, dass die Kunden zu Ihnen kommen, bringt nichts. Sie müssen sich den Markt auch ein gutes Stück kaufen." Wie Digitalisierung gelingen kann, zeigt Gisbert Rühl, Vorstandsvorsitzender des Duisburger Stahlhändlers Klöckner & Co. SE. Das Traditionsunternehmen hat soeben zum Beispiel die digitale Plattform Xom-Industrie gegründet. Dieser "Marktplatz" steht allen Händlern und Käufern offen und soll auch in den USA an den Start gehen. "Wir werden das Amazon des Stahlhandels sein", nennt Rühl die ambitionierte Zielrichtung. Interessant: Für die Etablierung von Xom-Industrie gründete Klöckner eine eigene Start-up-Tochter in Berlin. Sukzessive will sich das Unternehmen aber laut Rühl daraus zurückziehen - bis auf einen Minderheitsanteil von 25 Prozent - und sucht dafür noch Finanzpartner. Lessons Learnt für den Klöckner-Vorstand: "Disruption von innen heraus ist fast nicht zu machen. Man erschießt sich im Zweifel nicht selbst", formuliert er es. "Disruption muss man von außen machen" - deshalb auch die Gründung des eigenen Start-ups in Berlin. Zudem sei man mit einem Start-up viel näher dran am Kunden, an seinen Problemen und könne mit diesem gemeinsam die Dinge neu gestalten. Aber: "Ein solches Start-up ist eine andere Welt. Das ist ein struktureller Umbruch - insbesondere in der Art der Zusammenarbeit", arbeitet Rühl den Unterschied zu Traditionsunternehmen wie Klöckner heraus. Politik verspricht Schützenhilfe Alles das sind Neuerungen, die nicht nur auf die Wirtschaft, sondern auch auf die Politik zurollen. Denn sie muss die Rahmenbedingungen setzen und die dafür nötige Infrastruktur schaffen. Hendrik Wüst, Verkehrsminister von Nordrhein-Westfalen, sicherte der Wirtschaft aber Unterstützung zu: "Wir wollen Nordrhein-Westfalen zur Modellregion für Mobilität 4.0 entwickeln", unterstrich er. Maßgeblich vorantreiben will Wüst insbesondere die Themen "Vernetzung der Verkehrsträger" und "digitale Plattformen". So gründete das NRW-Verkehrsministerium die neue Fachabteilung "Mobilität, Digitalisierung und Vernetzung". Und auch für den Verkehrsträger "Binnenschiff" soll in Nordrhein-Westfalen, wie auf dem Kongress zu hören war, ein Digitalisierungs-Modellprojekt starten - ein weiterer Schritt hin zur vernetzten intermodalen Transportkette. Mehr zum Thema im Dossier Trends & Innovationen www.verkehrsrundschau.de/dossiers