Misstöne im Logistik-Paradies

Die aktuell größten Missstände im niederländischen Straßengütertransport? "Sozialdumping, zu wenig Parkplätze und Kameras in Lkw-Fahrerhäusern", listet Egon Groen auf. Und die Arbeitslosigkeit, fügt der Gewerkschafter aus der Abteilung Transport und Logistik der größten niederländischen Gewerkschaft Federatie Nederlandse Vakbeweging (FNV) hinzu. Arbeitslosigkeit kontra Fahrermangel Letzteres überrascht. Ist es in den Niederlanden etwa nicht so, dass die Betriebe schon seit Jahren händeringend nach neuen Fahrern suchen? "Doch, grundsätzlich ist das richtig", sagt Groen gegenüber der VerkehrsRundschau. Aber nicht in allen Regionen der Niederlande sei das so. Im Norden und Osten des Landes bleibe die Arbeitslosigkeit von Lkw-Fahrern ein Problem. Deshalb sei das Thema im Sektorplan aufgegriffen, einer Gemeinschaftsinitiative des niederländischen Sozial- und Arbeitsministeriums und Arbeitgeberverbänden sowie Gewerkschaften aus dem Transport- und Logistikgewerbe. Tatsächlich heißt es dort: "Es gibt noch eine bedeutende Zahl von arbeitslosen Fahrern, die regionalen Unterschiede sind groß." Sie wieder in Arbeit zu bringen, ist eines der Ziele des Sektorplans. Die Vermittlung der Fahrer vom Norden und Osten in den Süden und Westen des Landes, dort, wo Fahrer schon heute fehlen, funktioniere noch nicht so richtig. Deshalb beinhaltet der Sektorplan gleichzeitig eine Ausbildungsstrategie in Hinsicht auf die absehbare allgemeine Knappheit der Fahrer in naher Zukunft. 2000 Menschen sollen dank dieser Strategie in diesem und dem kommenden Jahr mit einer Lkw-Fahrerausbildung beginnen. Auf sie wartet ein Beruf, der zurzeit einen Bruttomonatslohn von 2301,18 Euro für eine 40-Stundenwoche abwirft, Stundenlohn 13,23 Euro. Wer mehr verdienen möchte oder von seinem Arbeitgeber zu längeren Arbeitszeiten verpflichtet wird, bekommt für jede mehr geleistete Stunde 30 Prozent mehr, also einen Stundenlohn von 17,20 Euro. Um gut 3000 Euro im Monat zu verdienen, muss ein Lkw-Fahrer eine 49 Stundenwoche absolvieren. Laut Groen ist er damit sechs Tage im Dienst. "Das verdient ein normaler Arbeitnehmer in fünf Tagen", beklagt Groen. Beim Unternehmerverband Transport en Logistiek Nederland (TLN) teilt man diese Auffassung nicht. "Die Lohnkosten in den Niederlanden gehören zu den höchsten in der EU", sagt Elmer de Bruin, Leiter der Abteilung Internationale Angelegenheiten bei TLN. Er plädiert zwar nicht ausdrücklich für eine Senkung der niederländischen Standards. Aber er verweist auf die immer härter werdende Konkurrenz im europäischen Straßengütertransport und die EU-Tendenz, dass immer mehr Unternehmen ihre Dienste unter der Rentabilitätsgrenze anbieten würden. Trotzdem würden sich die niederländischen Unternehmen in diesem schwierigen internationalen Kontext ganz gut schlagen. Das liege auch daran, dass sie die Möglichkeiten in anderen EU-Ländern nutzen würden. "Logistik kennt keine Grenzen und es ist ganz normal und logisch, dass Unternehmen ihre Möglichkeiten in der EU wahrnehmen", sagt de Bruin. Dafür müsse man flexibel sein, gleichzeitig aber auch die Vorschriften beachten. Und da sieht de Bruin ein Problem: "Die Vorschriften sind oft sehr komplex, nicht klar genug formuliert und schwierig durchzusetzen. Das ist nicht gut, denn Unternehmen brauchen Klarheit." Unternehmen werden vorverurteilt Indirekt spricht de Bruin damit das an, was Gewerkschafter Groen als Sozialdumping bezeichnet. Seit 2007 nimmt man sich bei FNV dieser Problematik an. In den vergangenen Jahren zog FNV mehrfach gegen Transportunternehmen vor Gericht, die auf niederländischen Straßen Lkw-Fahrer aus osteuropäischen Ländern fahren ließen, ohne ihnen das niederländische Gehalt zu bezahlen. Doch die Gerichte sahen das unterschiedlich. Nicht in allen Fällen bekam FNV Recht. "Das ist tatsächlich ein schwieriges Feld", gibt de Bruin zu. Was er den Gewerkschaften bei ihrem Vorgehen vorwirft, ist, dass sie die Unternehmen schon im Vorfeld öffentlich verurteilten, ohne das Urteil abzuwarten und alle Fakten zu kennen. "Das Unternehmen bekommt dadurch ein schlechtes Image und das bleibt bestehen, wenn der Richter die Klage der Gewerkschaft als nicht begründet zurückweist." Einen solchen Fall hatte Vos Transport aus Deventer erlebt. In dem von FNV angestrebten Prozess hatte der Richter geurteilt, dass die von Vos in den Niederlanden eingesetzten Fahrer aus Osteuropa nicht direkt von Vos, sondern von dem eigenständigen Tochterunternehmen in Osteuropa angestellt seien. Deshalb sei es zulässig, die osteuropäischen Fahrer nicht nach niederländischem Tariflohn zu bezahlen. Dabei sei es auch nicht ausschlaggebend, dass die Fahrer in der Praxis sehr viel in den Niederlanden unterwegs seien. Nach dem Sieg vor Gericht wollte Vos laut Presseberichten überlegen, FNV wegen Rufschädigung zu verklagen. Eine Anfrage der VerkehrsRundschau zu diesem Fall blieb ohne Antwort. Am Rande der Legalität "Legale Konstruktionen, mit denen die Beschäftigung von Fahrern begünstigt wird, denen man niedrige Gehälter zahlen kann, blockieren seit jüngster Zeit immer häufiger nationale Interessen im Transport- und Logistikgewerbe, wie zum Beispiel den Schutz des eigenen Marktes und die Einhaltung von Lenk- und Ruhezeiten", sagt Lianne Sleutjes, Pressesprecherin der Kontrollbehörde Lebensraum und Transport (ILT) des niederländischen Umwelt- und Infrastrukturministeriums. Im ILT-Jahresbericht 2015 ist zu lesen, dass 25 Betriebe auf den Verdacht unsauber zu arbeiten und gegen Sozialvorschriften zu verstoßen, kontrolliert worden seien. Bei 80 Prozent sei der Verdacht begründet gewesen. Bei 95 Prozent hätten die Kontrolleure allgemeine Gesetzesverstöße feststellen müssen. Aufgrund der niedrigen Zahl der kontrollierten Betriebe seien diese Ergebnisse aber nicht repräsentativ. Auch die zunehmende Digitalisierung des Transportgewerbes und die ständigen Innovationen würden Kontrollen erschweren, ergänzt Sleutjes. Vor allem aber auch den Nachweis von Verstößen. Hier seien die europäischen Gesetzgeber gefordert. Sie müssten verstärkt einheitliche Regeln in der EU erlassen und auf deren Durchsetzung beharren. Gleiches fordere man bei TLN, sagt de Bruin. Überhaupt sieht der Transportverband für die Lösung der meisten Probleme, die aktuell in den Niederlanden im Straßengüterverkehr herrschen, die europäische Ebene gefragt. Der Verband hat deshalb 13 Punkte formuliert, wo er Handlungsbedarf sieht (siehe Kasten oben). "Unser Verkehrsminister hat die Liste sehr positiv aufgenommen und auch in Brüssel hat die Liste Anklang gefunden, weil wir auch Lösungen vorschlagen", so de Bruin. Zurück in die Niederlande und zum Vorwurf von Gewerkschaftler Groen, dass es zu wenige Kontrollen im Straßengütertransport gebe. "Da ist über die vergangenen Jahre hinweg immer mehr Personal gestrichen worden", begründet Groen. Tatsächlich zeigt der ILT-Jahresbericht, dass die Behörde meist weniger Kontrollen durchgeführt hat, als für das Jahr geplant waren. Das Problem der Kontrollen lässt sich auch bei den Parkplätzen beobachten. So berichtete die Tageszeitung Algemeen Dagblad (AD) Mitte August über zwei osteuropäische Fahrer, die der AD-Reporter am Wochenende bei ihren Lkw auf dem Rastplatz Aalkeet an der A 20 im Großraum Rotterdam angetroffen hatte. Sie warteten dort auf Aufträge, die sie in andere europäische Länder führen sollten. Von dem Verbot, dass sie hier gar nicht stehen dürften, hätten sie noch nicht gehört. Auch Kontrolleure hätten sie noch nie gesehen, gaben die Fahrer an. Das wilde Campen artet aus Dabei hatten sich bereits Mitte April elf Gemeinden aus dem Großraum Rotterdam auf so ein Verbot geeinigt. Fahrer, die das Wochenende nicht zu Hause oder in einem Hotel verbringen können, sollen auf die dafür zur Verfügung stehenden Parkplätze im Hafengebiet fahren. Problem dabei: Diese Parkplätze kosten Geld. Wildes Campen auf Rast- und Parkplätzen oder auch nur am Rand der Straßen sind die Folge. FNV spricht schon länger von unhaltbaren Zuständen - doch geschehen ist bislang wenig. Die TLN Jahresstatistik "Transport in Zahlen 2016" macht Angaben zu 204 Bereichen - Parkplätze gehören nicht dazu. Die Gewerkschaft Christelijk Nationaal Vkaverbond CNV will jetzt eine landesweite Untersuchung starten, um das Problem der fehlenden Parkplätze mit Zahlen zu untermauern. Mehr zum Thema finden Sie im Dossier Benelux www.verkehrsrundschau.de/dossiers Versuch der Versicherer Kameras als Problem So genannte Dashcams und Augenscanner in Fahrerhäusern - für die niederländische Gewerkschaft FNV ist das ein Problem. Der Versicherer TVM hat einen Versuch trotz der Gewerkschaftsproteste wie geplant gestartet. Die Dashcams sind dabei auf den Verkehr gerichtet und zeichnen das auf, was im Blickfeld des Fahrers passiert. Die Augenscanner filmen gleichzeitig die Augenbewegungen. Das ermögliche, so TVM, das Verhalten des Fahrers zu analysieren und mögliches Fehlverhalten zu korrigieren. TVM verspricht sich davon, die Zahl der Unfälle mit Lkw-Beteiligung zu verringern.FNV kritisiert das scharf. Mit dem dauerhaften Filmen des Fahrers während seiner Arbeit verstoße der Versicherer nicht nur gegen die Privatsphäre, sondern sorge auch für zusätzlichen Stress. Durch die Kameras werde deshalb nicht die Sicherheit im Straßenverkehr erhöht, sondern genau das Gegenteil erreicht. Die Gewerkschaft will eventuell auch die Transportunternehmen verklagen, die das Einbauen der Kameras in ihren Lkw zugelassen haben. kw Gleiche Wettbewerbsbedingungen Transportverband TLN: 13 Forderungen an die europäische Politik - Vereinheitlichung der Kontrollen- Keine weitere Kabotage-Liberalisierung- Klare Regeln für Fahrt- und Ruhezeiten- EU-weit einheitlicher Mindestlohn- Gültigkeit der Vorschriften zum Transport von Gütern für alle Fahrzeugklassen- Vereinheitlichung der Diesel-Steuer- Vereinheitlichung der Kfz-Steuer- Einheitliches Mautsystem- Gleichbehandlung aller Transport-Modi- EU-weite Einführung eines elektronischen CMR Frachtbriefs- Abschaffung der zeitlich begrenzten Fahrverbote wie z. B. Wochenendfahrverbot- EU-weite Fahrerlaubnis für Eurocombis (44 Tonnen und 25,25 Meter Länge)- Vereinheitlichte Lkw-Fahrerlaubnisse in Innenstädten(Quelle: TLN)

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