Luftfracht-Sicherheit

Luftfracht-Sicherheit Bekannter Versender – eine erste Bilanz Am 29. April 2013 brach in der Luftfrachtbranche eine neue Zeitrechnung an. Seitdem dürfen nurmehr ausschließlich „sichere Ladungen“ in Flugzeuge verladen werden. Was dieses Mehr an Luftfrachtsicherheit für die Spediteure und Airlines bedeutet, zeigen erste Erfahrungen nach sechs Monaten. Vor dem 29. April 2013 war alles ganz einfach: Da konnte jedes Unternehmen, das Luftfracht aufgab, sich mit einer einfachen Sicherheitserklärung zum „Bekannten Versender“ erklären. Wenn dieses Papier von Luftfrachtunternehmen, Speditionen und anderen Dienstleistern, die das Luftfahrtbundesamt (LBA) in Braunschweig als „Reglementierte Beauftragte“ akkreditiert hatte, akzeptiert wurde, galt jedes Frachtstück als sicher und musste nicht extra kontrolliert werden. Seit dem 29. April haben Versender nur noch zwei Möglichkeiten: Entweder sie zahlen teure Röntgenchecks beim Spediteur oder der Airline oder sie streben eine Zulassung zum sogenannten Bekannten Versender an. Denn nur dann kann die jeweilige Sendung ohne weitere Kontrolle auf die Luftreise gehen. Düsteres Schreckensszenario Da zum Stichtag gerade mal 1900 Unternehmen und Betriebsstätten „behördlich anerkannte Bekannte Versender“ waren, hatten Fachleute eine erhebliche Ausweitung der Kontrollen befürchtet: Anstelle von bislang 20 Prozent müssten in Zukunft 80 Prozent der Frachtstücke überprüft werden – so ihre düstere Einschätzung. Ein Schreckensszenario, das keinen Luftfrachtspediteur und keine Airline kalt ließ. Denn jedes Mehr an Sendungskontrolle bedeutet Mehraufwand – gerade in der zeitsensiblen Luftfracht. Heute, gut sechs Monate nach Inkrafttreten der neuen Regeln, steht fest: Diese Zahlen waren offenbar übertrieben. „Allenfalls jede zweite Sendung muss durchleuchtet werden“, sagt Bernward Jüttner, der scheidende Vorsitzende des Fachausschusses Luftfrachtspedition beim Deutschen Speditions- und Logistikverband (DSLV). Das heißt umgekehrt: 50 Prozent der Luftfracht stammen von Bekannten Versendern und müssen nicht kontrolliert werden. Vor allem Unternehmen, die ausschließlich Luftfracht versenden, haben viele vom Luftfahrtbundesamt (LBA) zertifizierte Kunden. Bei Lufthansa Cargo haben sogar „alle bedeutenden Versender die Zertifizierung rechtzeitig umgesetzt“, freut sich Harald Zielinski, Sicherheits- und Umweltbeauftragter der Konzerntochter. Sendungen von „unbekannten Versendern“ kontrolliert Lufthansa Cargo dagegen mit eigenen Röntgengeräten und hat dafür pro Gerät – abhängig vom Modell – zwischen 200.000 und 300.000 Euro investiert. Ein Kraftakt der Speditionen Ganz andere Erfahrungen mit der neuen Regelung hat das Speditionsunternehmen Emons Air & Sea gemacht. „Wir haben bis zum Stichtag 29. April 2013 rund 80 Prozent unserer Kunden als Bekannte Versender anerkannt“, erzählt Ingo Mau, Sicherheitsbeauftragter des Speditionsunternehmens. Allenfalls jeder 20. Verlader aber, so seine Erfahrung, habe sich anschließend vom Luftfahrtbundesamt entsprechend zertifizieren lassen. „Vor allem kleine Kunden, die nur wenig Luftfrachtsendungen aufgeben, wollen von einer Zertifizierung nichts wissen“, sagt Mau. „Für solche Unternehmen rechnet sich der Bekannte Versender offenbar wegen der hohen Kosten nicht. Außerdem fallen bei vielen Produkten nur geringe Ausgaben fürs Scannen an.“ Im Gegensatz zu manchen anderen Speditionen hat Emons deshalb nicht in eigene Röntgenanlagen investiert, sondern beauftragt externe Handling-Dienstleister mit den Kontrollen der Sendungen von unbekannten Versendern. Für Emons hielt sich damit der Mehraufwand durch die neuen Regeln in der Luftfracht in Grenzen. Die Spedition muss nicht zertifizierte Kunden also lediglich zur besonders pünktlichen Anlieferung der Sendungen anhalten. Denn auch die Handling-Dienstleister benötigen Zeit für die Kontrollen. Alternativ betreiben einige mittelständische Speditionen auch gemeinschaftlich Röntgenanlagen und teilen sich so die Anschaffungs- und Betriebskosten sowie die Schulungskosten der Mitarbeiter. Denn lediglich Speditionsmitarbeiter, die eine rund dreiwöchige Weiterbildung zur Luftsicherheitskontrollkraft durchlaufen haben und diese Kenntnisse jährlich auffrischen, dürfen Sendungen von unbekannten Versendern kontrollieren. „Wir haben für unsere Niederlassungen in Frankfurt und Freiburg zwei Geräte angeschafft“, erzählt zum Beispiel Gerald Penner, Geschäftsführer der Spedition Streck. Zusätzlich arbeitet das Unternehmen in Frankfurt/Main mit einem Personaldienstarbeiter zusammen; in Freiburg stellt die Spedition Streck dagegen bis zu einem Dutzend eigene Mitarbeiter für die Kontrollen ab. Penner begründet dies damit, dass viele Sendungen der Maschinenbauindustrie nicht geröntgt werden können, da das Produktmaterial zu dick oder zu dicht sei. „Deshalb müssen unsere Mitarbeiter diese persönlich kontrollieren.“ Wohl auch aufgrund solcher Kraftakte ist aber die Umsetzung der neuen Regelungen in der Luftfracht weitgehend reibungslos verlaufen. Für DSLV-Mann Jüttner ist das nicht erstaunlich. „Die meisten Luftfrachtdienstleister wussten schließlich“, sagt er, „was nach dem 29. April 2013 auf sie zukommen wird, und haben entsprechende Vorbereitungen getroffen. Jeder Marktteilnehmer hatte ausreichend Zeit, Röntgenanlagen bereitzustellen, Personal zu qualifizieren und Kunden zu informieren.“ Außerdem wolle kein Spediteur in Zeiten stagnierender oder gar rückläufiger Luftfrachtmengen Kunden nun mit Wartezeiten und Verspätungen verärgern. ➞ Aber auch die Kunden haben sich auf die Zäsur offenbar rechtzeitig eingestellt – sicherlich auch aufgrund der gründlichen Informationspolitik vieler Speditionen. „Wir haben bei jedem Gespräch auf die Veränderung hingewiesen und außerdem besondere Informationsveranstaltungen durchgeführt“, erinnert sich zum Beispiel Steffen Pabst, Sicherheitsbeauftragter von Kühne + Nagel in Frankfurt/Main. Jeder Versender habe also genau nachrechnen können, was für ihn kostengünstiger war – die Zertifizierung zum Bekannten Versender oder aber die Inkaufnahme von Kontrollen. Und diese Zertifizierungskosten konnten sich bei einem mittelständischen Verlader mit 50 bis 100 Millionen Euro Jahresumsatz schnell einmal auf rund 25.000 Euro summieren, hat Norbert Geisler von der Münchner Mittelstandsberatung Gateway Consultants errechnet. Zum Vergleich: „Das Preisspektrum für Röntgenkontrollen reicht von Cent-Beträgen für päckchengroße Sendungen bis zu dreistelligen Eurobeträgen für sehr große Einheiten“, sagt Marcus Stotijen, National Manager Compliance, IT & Quality von Röhlig Logistics. Das Handlingunternehmen Norbert Goslar berechnet pro Kontrolle dagegen Pauschalpreise von 17,50 beziehungsweise 35 Euro plus einen Gewichtszuschlag von 0,50 Cent pro Kilogramm. Gerade einmal 400 neue Antragsteller Weil solche Tarife offenbar als akzeptabel gelten, hält sich das Interesse für den Bekannten Versender also auch nach dem 29. April in Grenzen. Gerade einmal rund 400 neue Antragsteller hat das LBA seit diesem Stichtag akkreditiert, Tendenz nur langsam steigend. Marktkenner halten das Potenzial jetzt schon für weitgehend ausgeschöpft. So rechnet zum Beispiel Unternehmensberater Geisler mit höchstens 3000 Bekannten Versendern. „Auch mancher Zulieferer wird einen Antrag stellen, weil sein Hauptauftraggeber dies fordert“, ist er überzeugt. Know-how der Dienstleister ist gefragt Ansonsten stört sich mancher Versender allenfalls daran, dass seine Sendungen von Luftsicherheitskontrollkräften unprofessionell geöffnet beziehungsweise geschlossen werden, wenn der Inhalt durch Röntgen nicht einwandfrei identifiziert werden kann. Bleibt abzuwarten, ob sich ein solches Unternehmen tatsächlich für eine Zertifizierung entscheiden wird, wie dies Geisler erwartet. „Hier ist das Know-how der Dienstleister gefragt“, sagt Jüttner. „Sie können Packempfehlungen geben, sodass Sendungsinhalte problemlos geröntgt oder aber geöffnete Verpackungen ohne Beschädigung geschlossen werden.“ ❙❚■ Stefan Bottler, freier Journalist Allenfalls jede zweite Luftfrachtsendung muss laut DLSV-Experte Jüttner durchleuchtet werden „Alle bedeutenden Versender haben die Zertifizierung rechtzeitig umgesetzt“ Harald Zielinski, Sicherheits- und Umweltbeauftragter Lufthansa Cargo Hintergrund: Geschäftlicher Versender Der Geschäftliche Versender – ein umstrittener Status Seit 29. April 2013 dürfen ausschließlich „sichere Ladungen“ in Flugzeugen verladen werden. Außer dem „Bekannten Versender“ ermöglicht auch der „Geschäftliche Versender“ kontrollfreie Luftfracht. Diesen Status können Verlader bei reglementierten Beauftragten beantragen, wenn sie Sendungen ausschließlich in Frachtflugzeugen verschicken und einen qualifizierten Sicherheitsbeauftragten haben. Eine Akkreditierung durch das LBA findet nicht statt. Allerdings will die Braunschweiger Behörde „unangemeldete Prüfungen“ vornehmen. Rund 4000 Geschäftliche Versender gibt es in Deutschland. Die meisten sind von den großen Integrators zugelassen. In der Luftfrachtbranche selbst ist dieser Status sehr umstritten. Da manche Dienstleister eine hohe, dreistellige oder gar vierstellige Zahl von Kunden akkreditiert haben, können sie deren Sicherheitsabläufe nicht wirklich überprüfen, lautet ein immer wiederkehrendes Argument. Zudem gibt es Länder wie Großbritannien, in denen der Geschäftliche Versender nicht zugelassen ist. Das mindert den Wert des „Geschäftlichen Versenders“ erheblich. „Wenn Deutschland diesen Status trotzdem wünscht, muss das LBA solche Versender registrieren und zertifizieren“, fordert Bernward Jüttner, Vorsitzender des Fachausschusses Luftfrachtspedition beim Deutschen Speditions- und Logistikverband (DSLV). Viele Speditionen und Luftfrachtunternehmen akkreditieren daher keine Geschäftlichen Versender. Zu den wenigen Ausnahmen zählt Lufthansa Cargo. „Wir unterziehen jeden Antragsteller einem strengen Audit vor Ort“ versichert Harald Zielinski, Sicherheitschef der Konzerntochter. „Unsere Anforderungen sind ähnlich hoch wie beim Bekannten Versender.“ bot „Für Kunden mit wenig Luftfracht rechnet sich der hohe Zertifizierungsaufwand offenbar nicht“ Ingo Mau, Sicherheitsbeauftragter Emons Sea & Air Praxislösung bei Krone „Wir haben uns über 1,5 Jahre auf den Status vorbereitet“ Nahezu jeder Verlader, der sich zum Bekannten Versender zertifizieren lässt, spricht von einem hohen Aufwand. „Wir haben uns über 1,5 Jahre auf diesen Status vorbereitet“, erzählt Daniel Deventer, Sicherheitsbeauftragter der Krone Holding in Spelle. Der Trailerhersteller hat seine Landmaschinenproduktion vom LBA akkreditieren lassen. „Rund 100 Personen mussten geschult werden“, führt er aus. „Außerdem mussten wir im Ersatzteilelager einen eigenen Sicherheitsbereich bauen.“ Krone begründet die Zertifizierung mit der Eilbedürftigkeit seiner Ersatzteilsendungen. Wenn diese von der Röntgenanlage nicht einwandfrei identifiziert werden oder gar auf Sprengstoff untersucht werden, können sie wegen des zusätzlichen Kontrollaufwands schon mal einen Abflug verpassen. Andere Unternehmen lassen sich zertifizieren, weil ihre Produkte nicht geröntgt werden können oder dürfen. Außer Maschinenbauunternehmen sind vor allem Pharmahersteller zu nennen: Manche Medikamente vertragen keine Röntgenstrahlen und dürfen ausschließlich per Hand kontrolliert werden. Die Investitionen sind erheblich. Weil ausschließlich überprüfte und extra geschulte Mitarbeiter Zugang zur Luftfracht haben dürfen, muss ein Bekannter Versender allein in Sicherheitsüberprüfungen und Weiterbildungen wenigstens fünfstellige Summen investieren. Außerdem kann das LBA bei Vor-Ort-Kontrollen Umbauten verlangen, wenn zum Luftfrachtlager auch Drittpersonen Zugang haben. Das geht ebenfalls ins Geld, zumal jede Betriebsstätte extra überprüft wird und die Zertifizierung nur fünf Jahre lang gültig ist. Anschließend muss ein neuer Antrag gestellt werden. bot

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