Kickstart ohne Praxisschock

Für Tausende Schüler heißt es im Sommer wieder "Schule ade". Und immer mehr von ihnen machen Abitur: Von 2006 bis 2016 stieg ihr Anteil von 30 auf 41 Prozent, zeigt der "Nationale Bildungsbericht 2018". Zudem entscheiden sich zunehmend weniger junge Menschen für eine duale Berufsausbildung. Das verschärft die ohnehin schweren Nachwuchssorgen in vielen Betrieben - auch in Transport und Logistik.Das duale Studium kann eine Alternative sein, sich Mitarbeiter selbst heranzuziehen. Was in den Siebzigern in Baden-Württemberg begann, hat sich in den vergangenen Jahren deutschlandweit zum Erfolgsmodell entwickelt: "Die Berufsakademie, wie es bis 2008 noch hieß, in Baden-Württemberg ist das Urgestein des dualen Studiums. Sie wurde aber über Jahrzehnte belächelt. Das hat sich erst mit der Hochschulwerdung 2009 geändert", berichtet Professor Michael Schröder. Er lehrt im Studiengang Spedition, Transport und Logistik an der Dualen Hochschule Baden-Württemberg (DHBW) in Mannheim, der auch an den DHBW-Standorten Lörrach und Heidenheim angeboten wird. "Zusammen bilden sie den harten Kern der Transportlogistik. An anderen Standorten sind diese Inhalte nur in Nuancen vertreten", betont der Hochschullehrer.Alle Bachelor und Master kombinierbarInzwischen sei die DHBW mit rund 34.000 Bachelorstudierenden die größte Hochschule des Landes Baden-Württemberg. Andere Bildungseinrichtungen in Deutschland ziehen seit Jahren nach: Ein Blick auf die Hochschullandkarte zeigt, dass inzwischen fast jede Hochschule mindestens ein duales Angebot hat - wobei diese beliebig mit weiterführenden Studiengängen kombinierbar sind."Ein Vorteil des Bologna-Prozesses ist, dass man mit jedem Bachelor auch jeden Master machen kann, auch wenn im Einzelfall Inhalte nachzuholen sind", erklärt Schröder, der auch wissenschaftlicher Leiter am DHBW Center for Advanced Studies (DHBW CAS) in Heilbronn ist. Hier können Bachelorabsolventen den dualen Master "Supply Chain Management, Logistik und Produktion" anschließen.Doch längst nicht alle entscheiden sich für diesen Weg: "90 Prozent der DHBW-Studenten erhalten nach dem Abschluss ein Übernahmeangebot ihrer Arbeitgeber, davon machen 80 Prozent Gebrauch. Der Rest geht erst mal auf Weltreise, macht Work & Travel oder gleich den Master", erzählt Schröder. Und: Nicht jeder Absolvent strebe eine höhere Karriere an.Nach Schröders Erfahrung sind von 30 Bachelorstudenten ein Drittel top, ein Drittel schwach und ein Drittel "stuck in the middle". "Letztere lassen sich durch die Gruppendynamik durchs Studium ziehen, schaffen es später aber höchstens ins mittlere Management oder bleiben Sachbearbeiter", berichtet der DHBW-Professor. Den Akademisierungstrend in Deutschland sieht er kritisch: "Warum muss ein Lehrer alles durchs Abi winken? Wir an der dualen Hochschule nehmen jeden, den unsere Partner uns bringen. Und die Unternehmen nehmen jeden, wenn die Nachwuchssorgen groß sind. In der Folge wird bei uns das Niveau im Mittelfeld immer schlechter. Man müsste früher aussieben - schon in der Schule", fordert Schröder.Auch für kleinere Speditionen möglichDennoch kann es gerade für kleinere Speditionen interessant sein, den Nachwuchs von morgen mit einem dualen Studium ans eigene Unternehmen zu binden. "Voraussetzung dafür ist nur, dass ein Ausbilder mit einem akademischen Grad, mindestens Bachelor, im Unternehmen arbeitet", erklärt Professor Dorothea Kreimeier, Leiterin der Studienrichtungen Handel und Logistik an der Dualen Hochschule Gera-Eisenach (DHGE).Gefordert sei ein betriebswirtschaftlicher Abschluss, aber auch ein Abschluss im Ingenieurwesen werde akzeptiert. "Mangelt es an einem solchen Ausbilder im Unternehmen, können sich kleinere Firmen in Ausbildungsverbünden und -kooperationen zusammenschließen", so Kreimeier. "Auch Lücken im Lehrplan lassen sich mit Partnern füllen, indem ein Studierender etwa eine Praxisphase bei einem Kunden oder Lieferanten verbringt", ergänzt Schröder von der DHBW. Denn Praxisund Theoriephasen wechseln sich beim dualen Studium ab. "Ist der Durchlaufplan im Unternehmen richtig gestaltet, kann der Studierende das Erlernte gleich anwenden. Beim Einstieg in den Berufsalltag erlebt er dann keinen Praxisschock. Unternehmen haben zudem drei Jahre lang die Chance, die Leute richtig kennenzulernen - davon profitieren beide Seiten", erläutert Schröder die Vorteile.Kosten variieren je nach HochschuleWelche Kosten für die Praxispartner anfallen, hängt von der Großzügigkeit des Unternehmens ab. "Manche übernehmen die Semestergebühren, andere geben Büchergeld oder einen Wohnzuschuss. Bei uns an der Hochschule ist eine Mindestvergütung für die Studierenden Pflicht, das gibt es aber nicht überall", berichtet Kreimeier von der DHGE. Letztere sei nötig, damit die Studierenden nicht nebenbei jobben müssen, sondern sich auf die ohnehin anspruchsvolle Ausbildung konzentrieren können.Und anspruchsvoll ist sie: "Die Semester sind kurz, der Stoff wird sehr schnell und komprimiert abgehandelt", berichtet Julia Scholl von Trans-o-flex Express in Weinheim, die seit dem Herbst an der DHBW Mannheim studiert. "Auch die Uni ist ein Fulltime-Job. Und ich muss Freizeit investieren, um die Inhalte vor- und nachzubereiten", bestätigt ihr Kollege Max Müller, der - wenn alles klappt - schon 2020 seinen Bachelor macht und dann bei Transo-flex in der operativen Entwicklung arbeiten will. Zuvor hat der 26-Jährige eine Ausbildung zum Logistikassistenten gemacht. Von dem Bachelorabschluss verspricht er sich noch bessere berufliche Perspektiven. Seine Kollegin Scholl will vor allem früh Führungsaufgaben übernehmen. Dafür möchte die 19-Jährige, der es bislang im Vertrieb besonders gut gefällt, auch noch ihren Master machen.Zusätzlich individuell entwickelnVon einer verlängerten Kennenlernphase für potenzielle Führungskräfte durch das duale Studium spricht Kerstin Gschwill, seit Oktober Personalerin bei Trans-o-flex. Davor absolvierte die 21-Jährige selbst ein DHBW-Studium, stellte aber bald fest, dass sie nicht in der operativen Logistik arbeiten möchte. "Schon während des Studiums habe ich deshalb darauf geachtet, mich in eine Richtung zu entwickeln, die meinen Neigungen entspricht. Dazu bietet Trans-o-flex intern zusätzliche Weiterbildungen und Trainings. Viele unserer Absolventen haben es so ins mittlere Management geschafft", berichtet Gschwill. Bis zu vier duale Studienplätze bietet Trans-oflex im Bereich Logistik jährlich an. Hinzu kommen noch je ein bis zwei Plätze für die Studiengänge Informationstechnik und Wirtschaftsinformatik.Ins Berufsleben starten Absolventen eines dualen Studiums übrigens mit rund 1000 Euro brutto mehr als ein Azubi nach der Ausbildung (2375 Euro/Monat). Das zeigt eine Studie, die das Wirtschaftsmagazin "Capital" (Ausgabe 11/2018) mit der Talentplattform Ausbildung.de und den Personalmarketingexperten von Territory Embrace durchgeführt hat.Über 700 Firmen beteiligten sich, darunter auch das Container-Hinterlandnetzwerk Contargo Rhein-Neckar, das jährlich etwa zwölf Studienplätze für ein "Duales Studium Fachrichtung Logistik" anbietet. Es wurde im Rahmen der Studie zu einem der 500 besten Ausbildungsbetriebe Deutschlands gekürt.Mit Themenvielfalt lässt sich punkten"Das duale Studium hat sich etabliert. Wir ziehen uns so unsere Manager alle selbst heran", berichtet Kristin Kahl, Prokuristin bei Contargo in Mannheim. Um Nachwuchs wirbt das Unternehmen mit Vielfalt: "Über unser europäisches Netzwerk können Studierende auch einen Monat zu unserer Schifffahrt nach Rotterdam gehen", so Kahl. Auch ein Teil des Studiums kann im Ausland verbracht werden: "Die Hochschule Ludwigshafen hat dazu eine Kooperation mit einer Hochschule in Hongkong", ergänzt sie.Davon machte auch Absolvent Jan Schüring Gebrauch. Seit seinem Bachelorabschluss 2015 arbeitet der heute 27-Jährige im Bereich "Strategic Projects Sales" bei Contargo in Mannheim. Innerhalb seines dualen Studiums absolvierte er auch eine Berufsausbildung zum Kaufmann für Speditions- und Logistikdienstleistung samt IHK-Prüfung. Im Austausch mit Studierenden aus anderen Ländern während seines Semesters in Hongkong wurde ihm dann klar: "Die kannten das Modell des dualen Studiums gar nicht. Als ich ihnen erzählt habe, dass wir sogar etwas Geld bekommen und nicht nebenher jobben müssen, sind die alle hintenübergekippt." Auch im Vergleich zu alten Schulkameraden, die "nach dem Studium an der Uni noch nie ein Büro von innen gesehen hatten", sei er nach dem Abschluss ein Stück weiter gewesen und habe gleich ins Berufsleben starten können.Von dem Konzept des dualen Studiums ist Schüring, der seit September mit finanzieller Unterstützung seines Arbeitgebers noch neben dem Job den Master macht, daher überzeugt. "Die Nachfrage legt zu und auch an den Hochschulen wächst das Angebot. Das duale Studium wird immer mehr zum Aushängeschild für Deutschland", glaubt er. Einen Überblick im wuchernden Dschungel der Studiengänge zu behalten, fällt allerdings selbst Experten schwer. Als kleine Hilfestellung haben wir auf diesen Seiten eine Auswahl an Studiengängen rund um Transport und Logistik für Sie zusammengestellt.OnlineÜbersicht Logistik-StudiengängeEine detaillierte Übersicht zu den dualen sowie zu anderen Logistik-Studiengängen - mit einem Klick filterbar nach Kriterien wie Hochschulart, Abschluss, Fachbereich, Studienschwerpunkten oder Bundesland - finden VerkehrsRundschau-Abonnenten auf Verkehrs-Rundschau plus, dem digitalen Angebot des Wochenmagazins für Spedition, Transport und Logistik, unter:www.verkehrsrundschau.de/plus/studium

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