Ist der wirklich krank?

Rund 30 Prozent der Deutschen leiden laut dem Robert-Koch-Institut im Laufe ihres Lebens an einer Allergie. Aktuell haben Pollen Hochsaison - immerhin rund 15 Prozent der Gesamtbevölkerung ist von Heuschnupfen betroffen. Tränende, juckende Augen, Niesen und Atemwegsbeschwerden sind nur einige der Symptome, mit denen sich Betroffenen herumschlagen. Viele Arbeitgeber nehmen das eher locker. Doch die "saisonale Rhinitis" kann wie andere Allergien richtig krank machen und eine erhebliche Gefahr für Transport- und Logistik-Unternehmen sein. Für Arbeitgeber besteht dann Handlungsbedarf. Ab wann ist man arbeitsunfähig? Kann ein vermeintlich harmloser Heuschnupfen tatsächlich zu einer Arbeitsunfähigkeit führen? "Das ist grundsätzlich möglich", sagt Hermann Gloistein, Fachanwalt für Arbeitsrecht in Halle an der Saale. Im Arbeitsrecht muss man aber zwischen Krankheit und Arbeitsunfähigkeit unterscheiden. "Das Bundesarbeitsgericht definiert den Begriff der Krankheit als einen regelwidrigen körperlichen oder geistigen Zustand", erklärt Gloistein. Mit anderen Worten: Was vom Normzustand abweicht, gilt als Krankheit. Allerdings ist nicht jeder, der krank ist, auch arbeitsunfähig. Arbeitsunfähigkeit liege nur dann vor, wenn der Versicherte aufgrund der Krankheit seine zuletzt ausgeübte Tätigkeit nicht mehr oder nur unter der Gefahr der Verschlimmerung der Erkrankung ausführen kann, weiß der Jurist. Ob ein Mitarbeiter tatsächlich arbeitsunfähig ist, hängt also immer von den konkreten Anforderungen des Arbeitsplatzes ab. Ein Disponent mit Heuschnupfen kann seine Arbeitleistung wahrscheinlich auch in der Pollenphase erbringen. "Hat aber ein Fahrer derart unter Heuschnupfen zu leiden, dass massive Atembeschwerden bestehen, dann kann die Sicherheit der Führung eines Fahrzeugs nicht mehr gewährleistet sein. Dann ist krankheitsbedingte Arbeitsunfähigkeit anzunehmen", so Gloistein. Nach Angaben des ADAC kann Heuschnupfen erhebliche Gefahren im Straßenverkehr verursachen. So führe eine Niesattacke am Steuer schon bei Tempo 50 zu fast 14 Metern "Blindflug". Doch die Heuschnupfensymptome sind nicht das einzige Problem. Häufig beeinflussen Medikamente gegen Heuschnupfen, sogenannte Antihistaminika, die Fahrtüchtigkeit. Zu ihren Nebenwirkungen zählen unter anderem Müdigkeit, nachlassende Konzentration, verminderte Reaktionsfähigkeit sowie die Gefahr von Wechselwirkung mit anderen Medikamenten. Die Frage, ob ein Berufskraftfahrer, der diese Medikamente einnimmt, hinters Lenkrad darf, muss daher einem Arzt gestellt werden. Das gilt auch für die Frage, ob ein Mitarbeiter, der etwa im Lager Maschinen bedient, diese Arbeiten mit Antihistaminika ausführen darf. Hat der Arbeitgeber Zweifel, sollte er seinen Mitarbeiter unbedingt zum Arzt schicken. Anderenfalls verletzt er seine arbeitsvertragliche Fürsorgepflicht. Schlimmer noch: Wenn er einen Fahrer trotz Zweifeln auf Tour schickt und dieser aufgrund Fahruntauglichkeit verunfallt, kann auch er sich haftbar machen. "Sollte sich so etwas etwa bei einem Gefahrguttransport ereignen, können die Folgen für das Unternehmen unabsehbar sein", warnt Gloistein. Verstoß gegen Arbeitsschutzgesetz Arbeitgeber, die ihre Leute wissentlich unter Medikamenten-Einfluss arbeiten lassen, können zudem gegen das Arbeitsschutzgesetz verstoßen. Sie sind verpflichtet, alle notwendigen Maßnahmen zur Prävention von Unfällen zu ergreifen. Die Berufsgenossenschaftliche Unfallverhütungsvorschrift BGV A1, Grundsätze der Prävention, verpflichtet den Arbeitgeber in Paragraf 7 Absatz 2 sogar zum Einschreiten: "Der Unternehmer darf Versicherte, die erkennbar nicht in der Lage sind, eine Arbeit ohne Gefahr für sich oder andere auszuführen, mit dieser Arbeit nicht beschäftigen." Das Thema Allergie ist aufgrund der häufigen Medikation mit Antihistaminika daher eines für die Fachkraft für Arbeitssicherheit. Sie muss dafür sorgen, dass es in die Gefährdungsbeurteilung und regelmäßigen Unterweisungen Eingang findet. Sieht sie Anhaltspunkte dafür, dass ein Mitarbeiter infolge von Allergiemedikamenten sich oder andere gefährdet, muss sie den Vorgesetzten einbinden. Doch auch für den Arbeitnehmer steht viel auf dem Spiel. So kann ein Berufskraftfahrer, der wegen der Einnahme von Medikamenten einen Unfall baut, seinen Versicherungsschutz verlieren. Der Unfall wird von der Berufsgenossenschaft möglicherweise nicht als Arbeitsunfall anerkannt, wenn die Wirkung des Medikaments die wesentliche Ursache für den Unfall war. Mehr zum Thema finden Sie im Dossier Arbeitsrecht www.verkehrsrundschau.de/dossiers Heuschnupfen-Tipps So helfen Sie Ihren Mitarbeitern - Raten Sie betroffenen Arbeitnehmern, sich ärztlich beraten und behandeln zu lassen. Nur der Arzt weiß, welche Medikamente in welcher Dosis sinnvoll sind und wann eine Arbeitsunfähigkeit vorliegt.- Binden Sie beim Thema Allergien die Fachkraft für Arbeitssicherheit ein.- Raten sie Heuschnupfen-Allergikern, die Maschinen bedienen oder Fahrzeuge führen, Antihistaminika abends einzunehmen. Die müde machende Wirkung ist bis zum Morgen besser abgeklungen.- Weisen Sie Ihre Mitarbeiter darauf hin, dass auch Augentropfen die Fahrtüchtigkeit und Bediensicherheit beeinträchtigen können. Sie sollten mit ausreichend zeitlichem Abstand zum Arbeitsbeginn angewendet werden.- Halten Sie Ihre Berufskraftfahrer an, in den Pollen-Monaten die Fenster im Fahrzeug zu schließen, möglichst nicht unter Bäumen zu parken, den Innenraum der Fahrerkabine regelmäßig zu reinigen und den Pollenfilter des Fahrzeugs regelmäßig zu wechseln. ir Beweislast Arbeitgeber muss Zweifel an Arbeitsunfähigkeit begründen Der ärztlichen Arbeitsunfähigkeits-Bescheinigung kommt ein hoher Beweiswert zu. Will der Arbeitgeber diesen erschüttern, muss er Tatsachen vortragen, aus denen sich ernsthafte Zweifel an der Richtigkeit der Bescheinigung ergeben. Er trägt also die Beweislast. In der Praxis ist das allerdings gar nicht so einfach. Gelingen kann das zum Beispiel in Fällen, in denen der Arbeitnehmer schon vorher ankündigt, krank zu werden. Auch auffallend häufige oder kurze Krankheiten oder häufige Fehlzeiten vor oder nach einem Wochenende können zusammen mit weiteren Indizien den Zweifel an der Arbeitsunfähigkeit begründen. ir

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