Zürich. Wer Treibhausgasemissionen in Transport und Logistik exakt berechnen will, benötigt für die einzelnen Verkehrsträger vor allem gute Energieverbrauchs- und Auslastungswerte. CO2-Berechnungsexperte Martin Schmied vom Schweizer Beratungshaus Infras erläutert im VerkehrsRundschau-Interview, warum die neuen IATA-Werte der Recommended Practice für die Luftfracht nicht verwendet werden sollten. Warum die Datenlage in der Binnenschifffahrt miserabel und im Bahnverkehr gut ist. Und warum im Seecontainerverkehr die CCWG-Werte der Reeder und bei LKW-Transporten die Smartway-Daten aus den USA vorbildlich sind.
Herr Schmied, wie beurteilen Sie Qualität der CO2-Berechnung im LKW-Landverkehr?
Für den LKW-Verkehr stehen für Europa sehr detaillierte Emissionsdaten in Datenbanken zur Verfügung. Hier können LKW-Größen, Auslastungen und Straßenverhältnisse exakt berücksichtigt werden. Messen Unternehmen selbst ihren Kraftstoffverbrauch, was die Norm ausdrücklich erwünscht, dann zeigt sich aber, dass die Datenqualität nicht so gut ist. Denn jeder misst etwas anders, es fehlen einheitliche Verfahren, wie zum Beispiel der Dieselverbrauch eines LKW zu messen ist.
Ist es für CO2-Vergleiche eigentlich nicht besser, gute Datenbankwerte zu verwenden anstatt nicht eindeutig definierte und damit kaum vergleichbare Messwerte?
Ja, das könnte man so sehen. Aber wenn Sie nur Datenbankwerte verwenden, dann spielen CO2-Reduzierungsmaßnahmen wie Fahrertrainings, aerodynamische Trailer oder Spritsparreifen kaum noch eine Rolle. Deshalb lässt die europäische Norm ja eigene Messungen ausdrücklich zu.
Und lassen sich die Differenzen bei der Kraftstoffermittlung lösen?
Eigentlich nur durch eine Erweiterung der EN-Norm und der Etablierung neutraler Datensammler wie bei Smartway in den USA. Diese sammeln und verwalten Messdaten und stellen sie nach bestimmten Regeln zur Verfügung.
Genau dieses Ziel verfolgt doch die Initiative Green Freight Europe?
Ja, aber in den USA steht bei Smartway die Umweltbehörde hinter dem System, das verleiht der Organisation mehr Autorität und Neutralität. Bei Green Freight Europe fördern einige private Unternehmen die Initiative. Das sorgt bei Wettbewerbern eher für Misstrauen, obwohl die Initiative sehr begrüßenswert ist. Vielleicht wäre es hilfreich, wenn bei einem solchen System zum Beispiel die europäische Umweltbehörde aktiv mit eingebunden würde. Wichtig wäre aber, nicht nur Kraftstoffverbräuche sondern auch die Einflussfaktoren wie die LKW-Auslastungen zu erfassen. Nur dann macht das System wirklich Sinn.
Und wie gut ist die CO2-Emissionsberechnung im Bahnverkehr?
Hier finden sich bereits recht gute Daten, die im Onlinerechner EcoTransIT kostenlos abrufbar sind, wobei hier keine unternehmensspezifischen Werte bereit gestellt werden, sondern europäische Durchschnittswerte für verschiedene Zugtypen.
Und in der Binnenschifffahrt?
Bei diesem Verkehrsträger ist die Datenlage mit Abstand am schlechtesten. Es existiert keine Datenbank mit entsprechenden Verbrauchswerten für die einzelnen Wasserstraßen. Es gibt mittlerweile einige gute, von der Branche akzeptierte Durchschnittswerte. Die Grundlage für diese Daten ist aber deutlich dünner als beim LKW oder bei der Bahn.
Ist die Datenlage in der Seecontainerschifffahrt genauso schlecht?
Nein, mit den vor einiger Zeit veröffentlichten Daten der Clean Cargo Working Group (CCWG) liegen recht gute CO2-Emissionswerte vor, denn in der CCWG sind über 80 Prozent der weltweit tätigen Containerreeder zusammengeschlossen. Die CCWG veröffentlicht jährlich auf Basis gemessener Verbrauchswerte einen Durchschnitt für alle wichtigen Schifffahrtsrelationen. Da ist diese Branche schon sehr vorbildlich. Einzig die durchschnittlichen Auslastungen der Schiffe je Relation werden von der CCWG nicht veröffentlicht. Die Werte beziehen sich immer auf eine hundertprozentige Auslastung, die natürlich in der Praxis nicht gegeben ist.
Wollte die CCWG dies nicht ändern?
Ja, aber sie hat es bisher noch nicht gemacht. Im jüngsten Report empfiehlt die CCWG aber die Verwendung einer durchschnittlichen Auslastung von 70 Prozent. Dies ist schon ein Fortschritt, besser wäre es aber, je Handelsroute einen Auslastungswert mitzuteilen. Dann wären die Daten nahezu perfekt, da sie auch international einheitlich ermittelt wurden. Die Reedereien bieten ihren Großkunden neben den Durchschnittswerten auch unternehmensspezifische Emissionsdaten, die einheitlich nach dem CCWG-Verfahren ermittelt worden sind. Auch dies ist vorbildlich.
Und in der Luftfracht, sind die Airlines auch so vorbildlich wie die Seereeder?
Nein, leider nicht. Die Werte der Airlines werden alle unterschiedlich berechnet.
Aber die IATA hat als Zusammenschluss der Airlines doch im Frühjahr mit der Recommended Practice 1678 eine neue einheitliche Berechnungsregel erlassen?
Ja, hier haben die Cargo-Airlines sich auf ein Verfahren geeinigt, das aber in einigen Punkten leider der europäischen Norm 16258 widerspricht.
Sind die IATA-Werte also schlechter als die Werte der europäischen Norm?
Nein, hier gibt es kein schlechter oder besser. Bei der Entwicklung der EN-Norm vor fünf Jahren hat die Luftfahrtbranche darauf bestanden, die Vorgaben aus dem europäischen Emissionshandel zu berücksichtigen. Das führte dazu, dass Luftfracht im Unterdeck von Passagierflugzeugen rechnerisch fast doppelt so hohe Emissionen verursacht wie Aircargo in reinen Frachtflugzeugen. Denn im Emissionshandel hatte sich der Passagierbereich insofern durchgesetzt, dass der Passage mit 100 Kilogramm pro Gast anteilsmäßig weniger Gewicht durch Einbauten wie Sitze etc. angerechnet wurden als der Fracht. Dadurch muss die Belly-Fracht mehr Emissionen bei einem Flug schultern als die Passagiere. Dies wurde in der europäischen Norm auf Wunsch der Airlines übernommen.
Und warum widersprechen die IATA-Vorgeben nun der Norm?
Mit der nun vorgelegten Recommended Practice hat die IATA die Gewichtszuordnung geändert, mit dem Ziel, die Belly-Fracht mit weniger Emissionen zu belasten. Jetzt sind 100 kg pro Passagier plus 50 kg pro Sitz zu veranschlagen. Dadurch sinken die Emissionen der Belly-Luftfracht. Aber auch bei dieser Regelung versursacht Belly immer noch 20 bis 50 Prozent mehr Emissionen als der Transport im reinen Frachtflieger. Wenn man die Allokation schon ändert, dann sollte das Ergebnis dazu führen, dass Belly- und Frachtfliegerladungen ungefähr gleich bewertet werden.
Und warum stufen Sie die IATA-Vorgaben als fragwürdig ein?
Der Passage-Bereich müsste das mehr an Emissionen, das ihm nun ja zufällt, in seine Umweltbilanz übernehmen, denn in Summe müssen alle Emissionen eines Flugzeuges den Passagieren und der Fracht zugerechnet werden. Dies ist mit den neuen IATA-Werten nicht automatisch der Fall, da die Regelung nur für Luftfracht gilt. Und solange dies nicht der Fall ist, sollten Unternehmen die IATA-Werte nicht verwenden, wenn sie nicht gleichzeitig den Passagieren das Mehr an Emissionen zurechnen. Sonst wiederspricht dies einem fundamentalen Gesetz der Umweltbilanzierung: Es darf nicht sein, dass Passage und Fracht jeweils ein für sich vorteilhaftes Berechnungsverfahren nutzen und womöglich ein Teil der erzeugten Emissionen unter den Tisch fallen. An dieser Stelle könnten Umweltverbände zurecht von Täuschung sprechen. Übrigens, vor der Einführung der Regeln des Emissionshandels rechneten Unternehmen wie die Lufthansa oder KLM mit Methoden, bei denen die Werte für Belly- und Frachtfliegerladungen sowie der Passage zusammenpassten. Die Übernahme dieser Regelungen hätte ich mir damals auch für die europäische Norm gewünscht.
Gibt es weitere Kritik an den IATA-Beschlüssen?
Ja, und die sind wesentlich grundlegender. Nach der europäischen Norm müssen Verbrauchswerte immer für einen gesamten Rundlauf eines Fahrzeuges gemessen werden, also auch Transorte mit schlechter Frachtauslastung oder sogar Leerfahrten müssen mit eingeschlossen sein. Auch die Werte der CCWG berücksichtigen den gesamten Umlauf eines Schiffes von zum Beispiel Asien nach Europa und wieder zurück nach Asien. Deshalb sind die Werte der Schiffsreeder mit der EN 16258 voll kompatibel. In der Luftfahrt lässt die IATA Recommended Practice zu, dass der Kerosinverbrauch für jeden Flugabschnitt getrennt gemessen werden darf und dem Kunden ausgewiesen werden kann. Wenn das Flugzeug auf diesen Streckenabschnitten gut ausgelastet ist, hat der Kunde Glück. Ob das Flugzeug dann gegebenenfalls schlechter ausgelastet zum Ausgangskunden zurückfliegen muss, bleibt dann unberücksichtigt. Überträgt man dieses Konzept auf den LKW-Verkehr, wäre plötzlich kein Kunde mehr für die Leerfahrten verantwortlich. Auch wenn die IATA-Regelung für die Branche selbst gut ist, kann sie nicht für andere Verkehrsträger angewendet werden. Dies ist die Stärke der europäischen Norm, die zudem auch für den Personenverkehr gilt.
Lassen sich die Treibhausgas-Emissionen in der Luftfracht denn derzeit überhaupt berechnen?
Ja das geht. Große Verlader sollten bei den Airlines Daten gemäß der europäischen Norm anfordern, denn nur dann sind die Daten ja mit den anderen Verkehrsträgern kompatibel. Ansonsten lassen sich auch die Luftfracht-Werte aus dem EcoTransIT-Tool nutzen, diese basieren auf sehr guten Daten von Eurocontrol und sind entsprechend der Norm aufbereitet.
Interview Andre Kranke
Vita Martin Schmied
Martin Schmied (Jahrgang 1969, geboren im schwäbischen Ellwangen an der Jagst) ist Bereichsleiter Verkehr und Umwelt des Schweizer Beratungs- und Forschungsinstituts Infras in Bern. Er ist zudem Obmann des DIN-Arbeitsausschusses „Energieverbrauch und Treibhausgasemissionen im Zusammenhang mit Transportdienstleistungen" sowie deutscher Experte des dazugehörigen CEN-Ausschusses zur Erarbeitung der Norm DIN EN 16258. Von 1999 bis 2012 arbeitete der Diplom-Umwelttechniker (TU Berlin) als stellvertretender Leiter der Abteilung Infrastruktur und Unternehmen beim Berliner Öko-Institut. Schmied ist Autor des Buches „CO2-Berechnung in der Logistik" (Bestell-Nr.: 26095, (www.heinrich-vogel-shop.de) und des DSLV-Leitfadens „Berechnung von Treibhausgasemissionen in Spedition und Logistik – Begriffe, Methoden, Beispiele". (ak)