Im Visier der Profis

Frühjahr 2014, Sonntagnacht, das Gelände einer rheinischen Spedition. Einbrecher nähern sich dem elektrisch betriebenen Haupttor. Sie bauen sowohl Motor als auch Mechanik aus und schieben dann das Tor per Hand auf. Die Diebe fahren mit einer eigenen Zugmaschine auf den Hof und satteln einen dort geparkten und mit Kupferkabeln beladenen Trailer auf. Bevor die Täter flüchten, bauen sie wieder den Motor ins Haupttor ein, sodass die Fahrer am nächsten Morgen ganz normal mit ihrer Codekarte das Gelände betreten können. Dadurch wird der Diebstahl erst spät entdeckt. Der Besitzer der Spedition hat von der Tat nichts bemerkt - obwohl er auf dem Gelände wohnt. Solche Profi-Einbrüche sind keine Seltenheit, vor allem nicht im Westen Deutschlands. Im Raum Köln-Düsseldorf-Mönchengladbach mehren sich die Fälle, Insider sprechen von einem neuen "Bermuda-Dreieck" - weil dort so viele Ladungen komplett verschwinden. Oft geht es um Metall und oft gehen die Diebe gleichermaßen durchdacht wie dreist vor. "Der klassische Einbruch mit dem Brecheisen ist rückläufig", bestätigt Hans Kuckels, Prokurist für Verkehr und Logistik beim Versicherungsmakler Schunck. Bei immer mehr Schadensfällen, die über seinen Schreibtisch gehen, ist organisierte Kriminalität im Spiel. "Es wird teilweise sogar auf Bestellung geklaut", so Kuckels. Der Vormarsch der Profis hat zwei Gründe: Zum einen haben viele Spediteure in den vergangenen Jahren in neue Immobilien mit passender Sicherheitstechnik investiert, weil Versicherer und Behörden das fordern - Stichwort: Zugelassener Wirtschaftsbeteiligter. Zum anderen sorgt der erhöhte Einsatz von Informationstechnologie dafür, dass es schneller auffällt, wenn Ladungen verschwinden. Dieses technisch hochgerüstete Umfeld ist vielen Amateuren mittlerweile zu heiß, nur Profis wagen sich noch an Einbrüche in Lager und Logistikimmobilien. Rund 93.000 Diebstähle aus Büro-, Fabrikations-, Werkstatt- und Lagerräumen haben die Polizeibehörden im vergangenen Jahr erfasst, rund 5000 Fälle weniger als 2012. Die Aufklärungsquote liegt offiziell bei 19,8 Prozent, Zahlen speziell zu Einbrüchen im Logistikgewerbe liegen nicht vor. Experten gehen davon aus, dass die Aufklärungsquote hier wesentlich niedriger sein dürfte. Nach dem Einbruch passiert meist Folgendes: Die Polizei fährt vom Hof, der Fall bekommt das Aktenzeichen UJs (Ermittlung gegen Unbekannt). Nach vier Wochen meldet sich die Staatsanwaltschaft mit der Info, dass die Ermittlungen eingestellt wurden. Wieder aufgenommen werden sie nur, wenn der Spediteur neue Hinweise liefern kann. Klartext: Der Geschädigte muss die Täter, zum Beispiel mithilfe einer professionellen Detektei, selbst aufspüren. Das ist teuer und wird entsprechend selten gemacht. Täter trainieren für ihre Brüche Die wohl spektakulärste Einbruchserie der vergangenen Jahre ging auf das Konto der sogenannten Nordhausen-Bande aus Thüringen. Diese Gruppe soll für etliche Diebstähle bei Speditionen und Lagerbetrieben verantwortlich sein und wurde erst kürzlich von der Polizei dingfest gemacht. Auf drei von vier ihrer Raubzüge erbeuteten die Kriminellen jeweils Zigaretten im Wert von mehr als einer halben Million Euro. Dabei gingen sie professionell vor: Um meterhoch angebrachte Überwachungskameras auszuschalten, trainierten sie zuvor das Klettern und Abseilen. Außerdem studierten die Diebe intensiv die Polizeiberichte und Akten zu ihren Taten - um Hinweise darauf zu bekommen, was sie beim nächsten Bruch besser machen können. "Dieses Vorgehen ist symptomatisch", urteilt Klaus-Dieter Baier vom Beratungsunternehmen DESA Investigation and Risk Protection. Immer mehr Banden gingen gut organisiert vor. Als weiteres Indiz nennt der Experte sogenannte Penetrationsangriffe. "Dabei kundschaften die Diebe im Vorfeld Sicherheitsmaßnahmen aus." Dazu lösen die Täter gezielt Alarm aus, zum Beispiel, indem sie eine Tür aufbrechen. Dann legen sie sich auf die Lauer und beobachten, was passiert. Wie sieht die Gegenreaktion aus? Wie lange dauert es, bis der Wachschutz oder die Polizei eintrifft? Wird die Alarmanlage wieder eingeschaltet? Andere Diebe brechen testweise ein, um zu überprüfen, wo das Diebesgut gelagert wird und wie gut es gesichert ist. Die so gewonnenen Informationen nutzt man später beim eigentlichen Raubzug. Ein authentisches Beispiel dazu aus Ostdeutschland: Kriminelle stemmen das Rolltor eines Lagers auf und entwenden eine Palette mit Unterhaltungselektronik. Nach zwölf Minuten sind sie wieder weg. Die Polizei braucht drei Minuten länger bis zum Tatort - und verpasst die Diebe. Genau diesen Vorsprung hatten die Täter vorher per Testeinbruch herausgefunden. "Solche Vorfeld-Aktivitäten werden oft verkannt", fasst Baier zusammen. Versicherung zahlt nicht immer Insgesamt 300 Millionen Euro Schaden entstehen durch Einbrüche in Firmen jedes Jahr, heißt es aus der Versicherungswirtschaft. Grundsätzlich sind Logistikunternehmen auf zwei Arten gegen finanzielle Schäden abgesichert. Einerseits kann der Verlader eine Warentransportversicherung für sein Gut abschließen, die dann bei Diebstählen den Schaden ersetzt. Andererseits springt die Verkehrshaftpflichtversicherung eines Spediteurs oder Frachtführers ein, wenn Ware verschwindet. Finanziell richtig gefährlich wird die Lage, wenn eine Versicherung dem Spediteur sogenanntes "grobes Organisationsverschulden" vorwirft. "Der Versicherer behauptet dann, dass nicht genug getan wurde, um den Diebstahl zu verhindern", erklärt Versicherungsexperte Kuckels. Wie viel hier mittlerweile von Transportunternehmern erwartet wird, zeigt der eingangs erwähnte Kupferklau. Hier hatte der Spediteur auf den ersten Blick alles richtig gemacht: Das Areal war ordentlich eingezäunt, gut beleuchtet und mit elektronischer Zugangskontrolle gesichert. Doch das reichte noch nicht aus, befand die Versicherung. Auch Motor und Mechanik des Haupttores hätten besser gegen Manipulation geschützt werden müssen, so der Einwand. Der Fall wird derzeit vor Gericht verhandelt. Die Serie Logistik in GefahrDie große Serie der Verkehrs-Rundschau zu den neuen Bedrohungen der Transportkette- VR 12: Neue Gefahren für die Transportkette- VR 17: Compliance - Wie man mit Korruption umgeht- VR 20: Terror - Wo die Logistik besonders gefährdet ist- VR 25: Datensicherheit - Schutz gegen Cybercrime- VR 29: Frachtdiebstahl - Das richtige Risiko-Management- VR 34: Klimawandel - Schützen vor Sturm und Regen- VR 37: Einbruch - Schutz im Lager und beim Umschlag- VR 42: Soziale Unruhen - Von Streiks bis Revolution- VR 47: Krisenmanagement - Im Ernstfall richtig handeln

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