Hochstapler im Kommen

In Asien sind mehrstöckige Logistikanlagen schon lange keine Sensation mehr. Vor wenigen Wochen nahm das Schweizer Speditions- und Logistikunternehmen Panalpina in Singapur ein sechsstöckiges Logistikzentrum mit fast 26.000 Quadratmeter Lagerfläche in Betrieb. Und auch in Europa stapeln immer mehr Firmen ihre Waren auf mehreren Etagen. Ende des Jahres wird der Entwickler Vailog, Teil des Industrieimmobilienkonzerns Segro, den "Air2 Logistique Park" an Frankreichs größtem Binnenhafen Port de Gennevilliers fertigstellen. Die rund 63.000 Quadratmeter Nutzfläche sind bereits vermietet. Im Untergeschoss wird der Bau- und Gartenmarkt Leroy Merlin seine Logistik unterhalten. Die oberen 50.000 Quadratmeter hat der Möbelkonzern Ikea angemietet. Über eine Rampe können Lkw im Obergeschoss die 25 einseitig zugänglichen Laderampen anfahren. Auch in London und München hat Segro bereits zweigeschossige Logistikanlagen mit Außenrampen gebaut. Marcus Jungheim, geschäftsführender Gesellschafter des Immobilienentwicklers Four Parx aus Dreieich, ist sich sicher: "Wir werden auch in Deutschland in naher Zukunft zunehmend mehrgeschossige Logistikimmobilien sehen, vor allem für die letzte Stufe der logistischen Versorgung der Verbraucher in Ballungszentren." Four Parx arbeite derzeit ebenfalls an mehrgeschossigen Neubauten, die flexibel aufteilbar sind und Büro- und Logistikflächen für mehrere Nutzer vereinen. "Damit sind sie ideal für den E-Commerce und den Multi-Channel-Handel ausgelegt. Hier ist der Bedarf aufgrund der steigenden Umsätze sicher am größten", betont Jungheim. Lägen solche Logistikzentren direkt in der Stadt, seien Mieten von 15 bis 20 Euro pro Quadratmeter möglich. Drei Etagen für Amazon in Bremen Wo die neuen Logistikzentren entstehen, ist bei den Entwicklern noch ein großes Geheimnis. Gesichert ist, dass Garbe Logistics für Amazon ein Fulfillment-Center in Achim bei Bremen bauen will. Die Baugenehmigung für die teils dreistöckige Halle mit rund 42.000 Quadratmeter Grundfläche ist bereits eingereicht. Gebaut werden soll auf einem rund 14 Hektar großen Gelände an der Autobahn A 27. Das Logistikzentrum könnte das Gegenstück zu dem zweistöckigen Lager des Onlinehändlers im Münchener Stadtteil Daglfing sein, das Segro vergangenen Sommer an Amazon übergeben hat. Von hier aus versorgt das Unternehmen seine Kunden in erster Linie mit Prime- und Frische-Produkten. Frühmorgens fahren die Auslieferungsfahrer mit ihren Vans auf die überdachte Aufstellfläche neben dem eigentlichen Lager. Je 54 Lieferfahrzeuge passen in die Halle. Bis zu sechs Wellen werden abgefertigt. Während im Erdgeschoss eine klassische Verteilanlage steht, hat Amazon im Obergeschoss die Lebensmittelabteilung mit sechs Temperaturzonen eingerichtet. Hier sieht es aus wie in einem normalen Großmarkt. Zwar gibt es zwei Tore, die mit Sprintern über eine Rampe direkt angefahren werden können, in der Regel werden die Waren aber mit zwei Lastenaufzügen nach unten gefahren und dort von den Fahrern übernommen. Auf diese Weise schlägt Amazon in Daglfing täglich rund 47.000 Pakete um. In München haben Logistikunternehmen dank der horrenden Bodenpreise keine andere Alternative mehr, als in die Höhe zu gehen. Zudem gibt es praktisch keine großen Flächen für logistische Nutzungen im Stadtgebiet. Ähnlich sieht es das Maklerunternehmen CBRE in Hamburg. Flächen über 10.000 Quadratmeter seien kaum, Flächen über 20.000 Quadratmeter gar nicht mehr verfügbar. Die Folgerung der Makler: Die Entwickler werden sich bei neuen Projekten aufgrund des Grundstücksmangels intensiv mit mehrgeschossigen Logistikgebäuden auseinandersetzen müssen. In der Tat gibt es Gerüchte, dass ein internationaler Investor im Hamburger Hafen ein Grundstück erworben hat, auf dem eine mehrgeschossige Logistikimmobilie entstehen könnte. "Der Kaufpreis lässt keine andere rentable Schlussfolgerung zu", sagt ein Marktteilnehmer. Bisher gibt es dazu aber noch keine offizielle Bestätigung. Mittelfristig sieht die Initiative Logix, ein Zusammenschluss von Unternehmen der Logistikimmobilienbranche, einen Bedarf an 100 innenstadtnahen Logistikimmobilien in Städten mit mehr als 500.000 Einwohnern. Die Flächenknappheit und die baurechtlich begrenzten Möglichkeiten führen dazu, dass zunehmend in innovativen Nutzungsmöglichkeiten gedacht werden muss. Das geht aus einer aktuellen Studie von Logix hervor. "In der City können zum Beispiel nicht mehr benötigte Handelsflächen einer neuen Nutzung zugeführt werden, wenn sie die Voraussetzungen erfüllen", erklärt Four-Parx-Manager Jungheim. "Wir verzeichnen eine zunehmende Nachfrage nach der Umwidmung solcher Flächen und sie können eine Option sein, sofern sie über Rampen, Be- und Entladezonen verfügen." Umwidmung als Option in der Stadt Frank Weber, Head of Industrial Agency beim Immobiliendienstleister JLL, sieht vor allem in nicht mehr ausgelasteten Einkaufszentren oder in Obergeschossen von Kaufhäusern Potenzial. Voraussetzungen seien Deckenhöhen von mindestens 3,50 Metern, eine Deckenlast von mindestens 500 Kilogramm pro Quadratmeter und die Möglichkeit, Lastenaufzüge einbauen zu können. Außerdem müsse es eine gute Strominfrastruktur für eine eventuelle Kühlung geben. "Daran scheitert es in der Praxis manchmal", weiß Weber. André Wolters, Logistik-Chef bei Segro sieht noch andere Grenzen. Lärmschutzauflagen könnten etwa die Anlieferung in der Nacht in der Stadt erschweren. Dennoch glaubt er, dass angesichts knapper werdender Flächen in den Städten mehrstöckige Objekte künftig ein Thema sein werden. "Obwohl es damit noch wenig Erfahrung gibt", sagte er auf dem 7. Logistikimmobilien-Kongress von Heuer Dialog Ende Juni in München. Dem stimmte dort auch Christof Prange vom Immobilienentwickler Goodman zu: "Ich glaube, es gibt gegenwärtig eine große Experimentierphase." Mehr zum Thema finden Sie im Dossier "Logistikimmobilien" www.verkehrsrundschau.de/dossiers Praxispartner gesucht JLL: Die Höhe rechnet sichLogistiker suchen dringend Flächen in den Innenstädten. Dabei rücken mehrstöckige Immobilien in den Fokus. Ob sich ein Umbau und der Betrieb in der Höhe lohnt, hat der Immobiliendienstleister JLL untersuchen lassen. Das Unternehmen hat ein Berechnungstool entwickelt, mit dem sich die Pick-Kosten für mehrgeschossige innerstädtische Bestandsgebäude durchspielen lassen.Noch handelt es sich um einen theoretischen Umbau einer echten Immobilie. In einem ehemaligen Kaufhaus mit insgesamt 31.500 Quadratmeter Fläche wurden 4000 Quadratmeter virtuell für die Logistik umgewandelt. Auf den einzelnen Etagen wurden die Regale nach dem Stichgangsprinzip bestückt. Dabei werden Artikel mit hoher Zugriffshäufigkeit am Regalanfang gelagert. Das Ergebnis der Berechnungen zeigt, dass es kaum einen Unterschied macht, ob die Lagerflächen im zweiten oder in einem höheren Stockwerk sind. Die Kosten für das Hoch- und Herunterfahren sind mit zwei bis vier Cent pro Artikel gering. Selbst in der fünften Etage liegen die Kosten in diesem Fall bei weniger als 30 Cent pro Pick. Derzeit ist JLL auf der Suche nach einem Logistikunternehmen, mit dem sich die Ergebnisse in der Praxis überprüfen lassen. ah