Amazon schnappt zu AMAZON

Sendungs- und Paket-Zustellung zum Wunschtermin, am Samstag, in den späten Abendstunden - gleich direkt ins Auto? Alles das sind nette Gimmicks und Services, um als Dienstleister Endverbraucher an sich zu binden. Dank Amazon Key Zugang zur Wohnung Es gibt jedoch immer ein Unternehmen, das noch einen Schritt weiter geht, und das im Mai 2018 zur drittwertvollsten Marke weltweit aufgestiegen ist - direkt hinter Apple und Google: Das ist Amazon. Ist der Endkunde nicht da, muss der Paketbote deshalb nicht mehr vor verschlossener Haustür stehen, geschweige denn weitere Zustellversuche starten - "Amazon Key" sei Dank. Das intelligente Türschloss, wurde in der Kaderschmiede Amazon entwickelt und seit November 2017 vertreibt es der Online-Gigant, wenngleich bislang nur in den USA und nicht in Deutschland. Dem Unternehmen zufolge kann mit diesem Tool der Paketbote über das Internet bei Amazon den Zugang zur Wohnung erbitten. Dank des intelligenten Schlosses kann er dann die Wohnungstür öffnen, die Wohnung allein betreten, das Paket hinterlegen und die Tür wieder verschließen - Videobeweis nach der Lieferung inklusive. Einzige Voraussetzung: Der Endkunde ist Amazon-Prime-Kunde, sitzt in den USA und hat in eine Amazon Cloud Cam in der Key Edition sowie ein smartes Türschloss investiert - Kostenpunkt 250 US-Dollar (rund 212 Euro). Geräte lösen selbst die Bestellung aus Wer es noch bequemer will, muss seine Einkäufe nicht einmal mehr via Smartphone oder PC selbst ordern. Ist zum Beispiel das Waschpulver alle, wenn gewaschen werden müsste, oder fällt gerade dann die Fernbedienung aus, wenn man keine Batterien zur Hand hat - alles kein Problem. Denn es gibt den Amazon Dash Button. Mittlerweile ist dieser sogar so intelligent, dass Drucker ihre Tinte bei Amazon selbst nachbestellen können. Denn Brother und Kyocera haben Medienberichten zufolge netzwerkfähige Modelle entwickelt, die mit dem Dash-Programm des Internethändlers kommunizieren können. Auch Bosch und Siemens sollen schon Geschirrspüler offerieren, die eigenständig Geschirrspül-Tabs nachbestellen können. Und das ist wohl erst der Anfang. Denn immer mehr Markenhersteller sollen dem Vernehmen nach an der smarten Nachschub-Lösung von Amazon Interesse haben. Es sind solche Innovationen, denen der E-Commerce-Riese seinen märchenhaften Aufstieg verdankt. Innerhalb von gerade einmal 14 Jahren entwickelte sich aus dem einstigen Start-up ein Gigant, der im zweiten Quartal 2018 sogar erstmals fette Gewinne verbuchte: 2,5 Milliarden US-Dollar Gewinn bei 52,9 Milliarden US-Dollar Umsatz (plus 39 Prozent im Vergleich zum Vorjahreszeitraum) vermeldete das Unternehmen Ende Juli. Viele Milliarden Euro für Innovationen Und wer Amazon-Chef Jeff Bezos kennt, weiß, dass ein Großteil dieser Gelder in weitere neue Innovationen fließen wird. "22 Milliarden Euro gibt Amazon jedes Jahr für Innovationen aus", weiß Handels- und E-Commerce-Experte Kai Hudetz, Geschäftsführer des IFH Köln. Kein Wunder, dass der US-Riese von Jahr zu Jahr immer gewaltiger wird und sich immer mehr in alle Bereiche des Handels, insbesondere aber auch zunehmend in der Welt der Logistik ausbreitet. Lag der Marktanteil von Amazon allein im gesamten deutschen Onlinehandel (B2C) im Jahr 2012 noch bei knapp 22 Prozent, legte dieser im Jahr 2017 auf stolze 45,8 Prozent zu, nennt Hudetz Zahlen, die das IFH ermittelt hat. 26,4 Milliarden Euro Umsatz zu Endverbraucherpreisen machte da Amazon im deutschen Onlinehandel. "Und es ist nur eine Frage der Zeit, dass Amazon hierzulande die 50 Prozent Marktanteil knackt", sagt er. Mit der Folge, dass wohl "90 Prozent der Pure-Player aufgrund der Marktmacht von Amazon in den nächsten Jahren in Deutschland verschwinden werden, weil ihre Nischen immer kleiner werden und der Endkunde bequem ist." Das Ziel: Nummer 1 in der Logistik sein Ebendiese Sehnsucht nach Bequemlichkeit, Amazon selbst spricht von Convenience, erfüllt der Internethändler mit immer neuen Ideen. Maßgeblicher Hebel ist, das wissen die Macher, die hinter dem Imperium stehen, die Logistik. Dazu passt, dass Amazon-Chef Jeff Bezos, einem Unternehmenskenner zufolge, die Order gegeben haben soll: Amazon muss die gesamte Wertschöpfungskette in eine Hand bekommen, und dafür müsse das Unternehmen auch in der Logistik zur weltweiten Nummer eins werden. 493 Logistikzentren und Warenlager Und dass es Amazon mit seinem Weg in die Logistik ernst meint, zeigen folgende Zahlen. So verfügt der Internethändler mittlerweile weltweit über 493 Logistikzentren und Warenlager mit einer Gesamtfläche von fast 17 Millionen Quadratmetern, vermeldet "Logistik-Watchblog. de." Auch 32 Frachtflugzeuge hatte Amazon in 2017 im Einsatz, die von Air Transport International (20) und Atlas Air (12) gemietet wurden. 40 Frachtflugzeuge seien mittelfristig geplant, heißt es. Und mindestens acht der Flugzeuge haben den Amazon-Prime-Schriftzug. Im Norden des US-Bundesstaates Kentucky ließ das Unternehmen sogar für 1,5 Milliarden US-Dollar einen firmeneigenen Frachtflughafen bauen, von dem jeden Tag rund 200 Starts und Landungen ausgehen sollen. Werbekampagne für KEP-Mittelständler Auch ins Seefracht-Geschäft drängt sich der Online-Handelsgigant immer stärker. So wickelt das Unternehmen seit 2017 als lizensierter Seefracht-Dienstleister Warentransporte von China in die USA per Seefracht in Eigenregie ab - ein weiterer Meilenstein bei den Bestrebungen von Amazon, ein eigenes weltweites Liefernetzwerk aufzubauen. Auch in Sachen Automatisierung in der Intralogistik schreitet das Unternehmen mächtig voran. Verfügte Amazon im Januar 2017 zum Beispiel noch über 45.000 Roboter, sollen es laut "Logistik-Watchblog.de" heute schon weltweit über 100.000 Roboter sein. Jüngster Coup des Unternehmens: der Aufbau eines eigenen Lieferheers. So startete Amazon erst Ende Juni eine riesige Werbekampagne in den USA, mit der das Unternehmen viele Hundert kleine und mittelständische KEP-Unternehmen für die Zustellung suchte. Wer als Privatmann seinen eigenen Transportbetrieb gründen will, den will Amazon in seiner Startphase sogar mit 10.000 US-Dollar bezuschussen. Ob Amazon in Deutschland und Europa Ähnliches plant, wird offiziell nicht gesagt. Fest steht, dass das Unternehmen seit Jahren die Zusammenarbeit mit kleinen und mittelständischen KEP-Diensten auch in Deutschland sukzessive erhöht, weiß Hansgeorg Lohl vom Bundesverband der Kurier-Express-Postdienste (BdKEP). Der KEP-Experte vermutet sogar, dass Amazon für die Paket-Zustellung demnächst gar keine großen Paketdienste mit großen Paketzentren mehr benötigt, sondern kleine und mittelständische KEP-Unternehmen, weil Amazon in etlichen deutschen Großstädten seine Lager schon in der Stadt hat. "Und am Ende könnte dann ein Paketnetz stehen", vermutet Lohl, das der Internethändler dann in Eigenregie betreibt und möglicherweise einmal auch für Dritte öffnet." Ankündigungen ernst nehmen "Amazon pickt sich in der Logistik gezielt die Rosinen heraus, also die Gewinnbringer", beschreibt E-Commerce-Experte Hudetz die Vorgehensweise des US-Konzerns. Sprich: Das Unternehmen ist an dem Volumen interessiert, an den Schnelldrehern, also an dem Geschäft, das sich gut und einfach skalieren lässt. Ebendeshalb habe Amazon mit seinen eigenen Logistikservices insbesondere die Metropolen im Fokus. Denn das Unternehmen wolle in weiten Teilen den Prozess unter Kontrolle halten. "Und wenn Amazon etwas ankündigt, muss man es ernst nehmen", mahnt der E-Commerce-Experte vom IFH Köln. "Das Unternehmen hat es oft geschafft, Platzhirsche zu verdrängen." "Die Amazon-Ambitionen, in der Logistik mit eigenen Strukturen mitspielen zu wollen, müssen deshalb insbesondere die namhaften Paketdienste in Deutschland sehr ernst nehmen", warnt Michael Lierow, Partner der Unternehmensberatung Oliver Wyman (siehe Kasten links). "Zehn bis 15 Prozent der Eigenmengen stellt Amazon inzwischen selbst zu", schätzt der Unternehmensberater. Und es werden täglich mehr. "Das Unternehmen dehnt seine Eigenzustellung an den Standorten, wo es heute schon tätig ist, sukzessive weiter aus. Also demnächst noch stärker in München, Berlin, Hamburg und im Rhein-Ruhrgebiet", beobachtet der Logistikexperte Lierow. "Da werden wir schon in den nächsten Monaten eine deutliche Vergrößerung der Anzahl der Zustelltouren sehen." Vorstellbar sei dies auch in größeren Städten in anderen Bundesländern. "Das wird kommen." Das Rennen um Zustellnetze Immer noch näher rückt der US-Riese also an die Endkunden in Ballungsräumen heran und macht sich so mit seinem eigenen Lieferservice unabhängig von den Netzstrukturen der etablierten Paket- und Logistikunternehmen. Alles in allem könnten zum Beispiel die angestammten Paketdienste dadurch Mengen von rund 60 bis 120 Millionen Paketen jährlich verlieren, erwartet Lierow. Mit der Folge, dass die betroffenen Paketunternehmen in einem solchen Szenario nicht nur mit einer niedrigeren Zustelldichte zurechtkommen müssten, sondern auch höhere Zustellkosten hätten. "Das ist aber kein nationales Phänomen, sondern hat eine europäische Dimension", betont er. "Das Rennen um die europäischen Zustellnetzwerke ist eröffnet." Und ein Ende der Amazon-Expansion in der Welt der Logistik ist nicht in Sicht. Denn das Unternehmen geht laut Hudetz äußerst geschickt vor. Amazon sei mittlerweile so groß und spiele auf so vielen Kanälen unterschiedlichste Aktivitäten, dass es nicht in jedem seiner Services Geld verdienen müsse, zumal der Cashflow gewaltig sei. "Amazon ist also durchaus in der Lage, sein Gesamtmodell zu monetarisieren", betont der IFH-Geschäftsführer. In Fernost rüsten sich die Rivalen Solange Jeff Bezos das Ruder in der Hand habe, werde Amazon erfolgreich bleiben - möglicherweise auch zulasten einiger Logistikplayer. Einzig und allein den neuen E-Commerce-Giganten aus Fernost, etwa Alibaba und JD.com, traut Hudetz noch zu, das drohende Monopol des US-Internetriesen irgendwann zu brechen. Doch selbst die müssen dafür Gas geben. So fiel im Jahr 2017 der Umsatz von Amazon mit 177,9 Milliarden US-Dollar mehr als drei Mal höher aus als der von JD.com (55,7 Milliarden US-Dollar) und sogar mehr als vier Mal höher als der von Alibaba (39,9 Milliarden US-Dollar). Wobei Alibaba beim Gewinn mit 10,2 Milliarden US-Dollar schon deutlich vor dem US-Riesen Amazon lag (drei Milliarden US-Dollar). Mehr zum Thema finden Sie im Dossier Amazon www.verkehrsrundschau.de/dossiers

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