"Hier gibt es viel zu tun"

Hätte es schlechtere Umstände geben können für Ihren Start bei DB Cargo als die jetzigen? Als ich zum Jahresanfang zu DB Cargo gekommen bin, war mir klar: Hier gibt es viel zu tun. Seit Herbst 2019 stagnierte die Konjunktur in Deutschland. Und die Frage war: Ist es nur eine leichte Delle oder ist das der Beginn einer rezessiven Phase? Alleine das wäre schon eine Herausforderung gewesen. Jetzt kommt noch die Corona-Pandemie hinzu. Damit konnte keiner rechnen. Was sind die Folgen der Corona-Pandemie für DB Cargo? Im März haben wir erstmals sehr deutlich einen Corona-Effekt gesehen, wobei die Auswirkungen sehr unterschiedlich waren. Im Ganzzugverkehr hatten wir starke Einbußen bei den Zügen von und zu den Automobilwerken und zu den Stahlfabriken, weil dort gar nicht mehr oder deutlich weniger produziert wurde. Und im Einzelwagenverkehr und im Kombinierten Verkehr (KV)? Dort sieht es anders aus, dort halten wir bis heute das Netzwerk stabil. Allerdings hat sich auch dort die Auslastung deutlich verringert. Wir kompensieren diese Verluste zum Teil mit Neuverkehren. Dabei handelt es sich um versorgungsrelevante Verkehre wie zum Beispiel Nudeln, Verpackung, Getreide, Zellulose für die Produktion von Hygiene-Artikeln oder Produkte für die chemische Industrie. Damit gewinnen wir auch neue Kunden für die Schiene. Aber diese Verkehre können nicht das ausgleichen, was DB Cargo durch den Shutdown verloren geht. Natürlich nicht. Aber wir sehen diese Verkehre dennoch als Chance an, neue Kunden dauerhaft zu gewinnen und sie davon zu überzeugen, dass die Bahn eine umweltfreundliche und effiziente Alternative zum Lkw ist. Wie lautet Ihre Prognose für 2020 - mengenmäßig und finanziell? Wir bei DB Cargo sind natürlich unmittelbar abhängig von der Nachfrage aus Industrie und Handel. Wann dort der Motor wieder auf Normalgeschwindigkeit läuft, weiß niemand. Im Moment gibt es verschiedene Szenarien, die auf den aktuellen Einschätzungen zur allgemeinen wirtschaftlichen Entwicklung basieren. Aber die Prognosen verändern sich permanent, sodass hier zurzeit keine seriösen und validen Aussagen zu treffen sind. Für uns bedeutet das auch, unsere Strategie permanent zu überprüfen und gleichzeitig ein hohes Maß an Flexibilität zu erreichen. Aber für uns ist natürlich auch die Zeit nach dem Shutdown extrem wichtig: Wenn die Wirtschaft entsprechende Transportkapazitäten benötigt, müssen wir in der Lage sein, schnell zu reagieren und dann auch die Kapazitäten dementsprechend wieder hochzufahren. Deshalb setzen wir unsere Einstellungsoffensive unverändert fort und rekrutieren neue Mitarbeiter, die wir in der Nach-Corona-Zeit benötigen. Unabhängig von Corona verliert DB Cargo Jahr für Jahr an Umsatz und Verkehrsleistung. Das kann Sie als neue Chefin nicht erfreuen. Nein. Das ist kein zufriedenstellender Zustand, zumal DB Cargo seit der Wirtschaftskrise nahezu jedes Jahr rote Zahlen geschrieben hat. Wie wollen Sie die Trendwende herbeiführen? Betrachten wir zunächst mal den gesamten Markt: Die Politik hat das Ziel ausgegeben, bis 2030 für die Schiene einen Modal Split von 25 Prozent im Güterverkehr zu erreichen. Heute liegt der Anteil zwischen 18 und 19 Prozent. Ich halte diese Vorgabe für extrem wichtig und richtig. Ich bin davon überzeugt, dass wir jetzt ein historisches Zeitfenster haben. Die Nachfrage nach Transporten per Bahn wird steigen, denn es ist unbestritten, dass wir mit jeder im Schienengüterverkehr transportierten Tonne im Vergleich zum Lkw automatisch 80 Prozent CO2 einsparen. Das sagt man schon seit über zehn Jahren. Trotzdem gab es keine Trendwende. Das stimmt. Aber Umwelt- und Klimaschutz gewinnen eine neue, eine viel größere Bedeutung. Das spüren wir auch bei unseren Kunden. Wenn die CO2-Ziele der Politik und damit auch der Wirtschaft eingehalten werden sollen, dann führt kein Weg daran vorbei, umweltfreundlichere Verkehrsmittel zu nutzen. Von den Speditionen ist immer wieder zu hören: Der Preis und die Leistung stehen ganz oben bei der Wahl des Verkehrsträgers. Umwelt ist ein Thema, aber dafür wird nicht mehr gezahlt und erst recht nicht der Verkehrsträger gewechselt. Ich bin davon überzeugt, dass wir am Beginn eines Veränderungsprozesses stehen, bei dem das Thema Umwelt im Ranking der Einflusskriterien immer wichtiger wird. Aber es stimmt natürlich, die beiden anderen Kriterien spielen ebenfalls eine eminent wichtige Rolle. Wenn die Qualität nicht stimmt, brauchen wir über den Rest nicht zu reden. Deshalb ist auch der erste Schritt meiner Strategie bei DB Cargo: robuster und schlagkräftiger werden! Und mindestens genauso wichtig: Wir gewinnen das Vertrauen unserer Kunden und bringen neue Kunden auf die Schiene, um intelligent und umweltbewusst zu wachsen. Was meinen Sie damit? Nehmen Sie unser Einstellungsprogramm, an dem wir in enger Abstimmung mit meinem Vorstandskollegen Martin Seiler trotz Corona festhalten. Wir werden wie im letzten Jahr 1000 neue Kollegen, insbesondere Lokführer, Rangierer und Wagenmeister, bei DB Cargo einstellen. Zudem wollen wir die Verantwortung vor Ort stärken, weil dort die Mitarbeiter am besten wissen, wo der Zug steht, was als Nächstes gemacht werden muss, damit es zu keinen Verspätungen kommt. Das ist ganz klar die Voraussetzung: Nur wenn wir robust und zuverlässig produzieren und damit eine gute Qualität abliefern, gelingt es uns, Neukunden zu gewinnen. Dazu müssen wir unsere Hausaufgaben machen. Dazu gehört auch, dass wir wieder stärker Klinken putzen bei den Kunden, um sie für die Schiene und damit für uns zu begeistern. Und zwar europaweit. Am Ende zählt unsere Leistung. Bis wann können die Kunden mit welchen Verbesserungen zum Beispiel bei der Pünktlichkeit rechnen, die auch stabil erreicht wird? Jetzt. Wir liegen aktuell bei fast 78 Prozent Pünktlichkeit - also über unserem selbstgesteckten Ziel und fast 5 Prozentpunkte besser als im gleichen Zeitraum 2019. Das ist ein Ansporn für die Zukunft. Aber das liegt daran, dass coronabedingt im Güter- wie auch im Personenverkehr weniger Züge fahren. Und plötzlich klappt es. Das haben Sie gesagt. Aber es stimmt: Wir haben derzeit unsere eigenen Ressourcen gut im Griff und können weitgehend störungsfrei fahren. Ziel ist, diese Qualität auch bei steigender Auslastung zu halten. 60 Prozent unserer Züge fahren international. Hier sehen wir uns die Qualität auf den Korridoren sehr genau an und steuern die Prozesse zusammen mit unseren Partnern so gut, dass die Qualität auf dem hohen Niveau bleibt. Laut der Strategie "Starke Schiene" der Deutschen Bahn soll 2025 die Verkehrsleistung bei DB Cargo 78 Milliarden Tonnenkilometer (tkm) betragen. 2019 lag dieser Wert bei 60,7 Milliarden tkm. Muss man das Ziel nicht korrigieren, weil es fern jeglicher Realität ist? Mit dieser Strategie hat Richard Lutz einen unglaublichen Spirit in das Unternehmen gebracht. Ziel der "Starken Schiene" ist, den Modal Split der Schiene auf 25 Prozent zu steigern. Das bedeutet, 70 Prozent mehr Güterverkehr auf der Schiene. Wir arbeiten hart daran, dass zu erreichen. Wo sehen Sie die größten Stellhebel? Der KV ist einer der stärksten Wachstumsmärkte, im gesamten Güterverkehr, aber auch bei uns. Hier wollen wir mit verschiedenen Maßnahmen das Volumen steigern. Was schwebt Ihnen vor? Wir wollen beispielsweise KV auch im Einzelwagenverkehr anbieten, und zwar im Nachtsprung zwischen den großen Wirtschaftszentren. Mir ist es wichtig, dass wir auch neue Angebote machen und nicht nur auf die Nachfrage reagieren. Wir wollen Kunden ohne Gleisanschluss über den KV an unser Netzwerk im Einzelwagenverkehr anschließen. Dazu braucht es aber auch weitere Anreize, um Güter von der Straße auf die Schiene zu verlagern. Für eine Verlagerung muss die Schiene auch preislich attraktiv sein. Spüren Sie aktuell einen höheren Preisdruck, weil mehr Laderaum im Markt verfügbar ist? Ja, das ist auf bestimmten Relationen, zum Beispiel Richtung Osteuropa, spürbar. Wenn jetzt noch die Rohölpreise sinken, müssen wir die Situation schon genau im Blick behalten. Vor diesem Hintergrund ist es eine große Herausforderung, das Netzwerk trotz geringerer Auslastung aufrechtzuerhalten. Ist DB Cargo gezwungen, die Preise zu senken, um die notwendigen Mengen zur Aufrechterhaltung des Netzes weiterhin fahren zu können? Wir alle wissen, ein Netzwerk lässt sich dauerhaft nur aufrechterhalten, wenn die Erlöse daraus auch die Kosten tragen. Daher sind Preissenkungen in der Regel kein zukunftsfähiges Mittel. Sie sind jetzt auch im Verwaltungsrat vom Kombiverkehr. Ist das für DB Cargo nicht ein grundsätzliches Problem, dass Sie im KV kaum einen Vertriebsarm haben? Diese Funktion übernehmen ja weitestgehend die Operateure wie Kombiverkehr für DB Cargo. Nein, ich sehe das nicht als Problem. Die Operateure und wir verstehen uns sehr gut und haben beide das gleiche Ziel: mehr Mengen für den KV zu gewinnen. Darüber diskutieren wir gerade intensiv mit den Kollegen bei Kombiverkehr. Ich vertrete auch nicht die Ansicht, dass wir alles selber machen müssen. Im Gegenteil, gerade im Schienengüterverkehr werden viele Erfolge durch Kooperationen erzielt, in denen die Partner ihre jeweiligen Stärken einbringen. Das wollen wir auch beim KV so handhaben. Aus den Kreisen von Kombiverkehr ist immer wieder zu hören, dass es aufgrund der permanenten Wechsel an der Spitze von DB Cargo keine Konstanz und damit Verlässlichkeit gibt. Ist diese Kritik berechtigt? An den Fakten der Vergangenheit kann ich natürlich nichts ändern, aber einen gewissen Unmut kann ich durchaus nachvollziehen. Ich habe aber den Vorteil, dass ich schon mal bei DB Cargo war, das Geschäft also kenne. Und wenn Sie sich meine beruflichen Stationen ansehen, dann sehen Sie, dass ich die mir gestellten Aufgaben mit Beharrlichkeit zu einem erfolgreichen Ende bringen will. Das strebe ich auch bei DB Cargo an. Deshalb haben wir zum 1. Mai auch das Vorstandsteam neu aufgestellt. Mit Frauenpower. In der Tat, bei drei Frauen im Vorstand. Für mich ist das eine Selbstverständlichkeit. Vielfalt, herausragende Kompetenz und Teamgeist, das sind für mich die entscheidenden Kriterien. Wir haben erstmals auch mit dem Angebotsmanagement ein neues Ressort geschaffen. Daran können Sie erkennen, dass wir unseren Kunden sehr offensiv neue und attraktive Produkte und Angebote bieten wollen. SBB Cargo hat sich geöffnet und ein Konsortium von vier Speditionen als Anteilseigner in das Unternehmen geholt, um auf diesem Weg mehr Kompetenz, mehr Marktnähe in das Unternehmen zu holen. Ist das nicht vielleicht ein Modell für DB Cargo, um die Trendwende herbeizuführen? Das ist ein Thema, das wir bislang nicht diskutiert haben. Aber wir werden genau beobachten, wie sich dieses Modell entwickelt. Letztlich ist das eine Entscheidung des Eigentümers. Ein Vorwurf der Spediteure im KV lautet, dass sie nie wissen, wo sich gerade ihre Sendungen befinden. Wie können Sie den Vorwurf, die Bahn sei wie ein schwarzes Loch, entkräften? Wir legen gerade den Endspurt bei der Ausstattung unserer Güterwagen mit GPS und Telematik ein. Bis zum Jahresende haben wir das geschafft. Auch bei der Sendungsverfolgung hat sich eine Menge getan. Auf unserem neuen Portal Link-2Rail stellen wir unseren Kunden alle Daten und Services zur Verfügung, die wichtig sind. Hier fließen heute schon bis zu 1,8 Millionen GPS-Daten unserer intelligenten Güterwagen täglich in den Track&Trace-Service. Für Kunden wird so die Sendungsverfolgung auf dem kompletten Transportweg noch präziser und transparenter. Hier setzen wir echte Maßstäbe im Schienengüterverkehr. Mehr zum Thema finden Sie unter #DB Cargo www.verkehrsrundschau-plus.de/hashtag

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