"Herr Simon, wie ernst ist die Lage?"

Die Stimmung der Transport- und Speditionsunternehmer rauscht derzeit in den Keller. Nun ist der Gruß des Kaufmanns bekanntlich die Klage. Wie ernst ist die Lage wirklich? Als Kaufmann, dessen Firmensitz im Allgäu liegt, ist man da eher verhaltener. Ich werde nun nicht in ein Lamento einschwenken und sagen, dass alles katastrophal ist. Wir sehen aber natürlich, dass sich die Konjunktur erheblich abkühlt, vor allem auf den weltweiten Märkten. Wir sehen aber auch, dass der viel besungene schwierige europäische Markt mit seinem starken Facettenreichtum immer wieder gute neue Möglichkeiten bietet, um Schwankungen auszugleichen. Es gibt nach wie vor konstante Warenflüsse, die Transportleistungen nach sich ziehen. Und vielleicht ist diese momentane Phase für unsere Branche sogar gut. Als Chef eines großen Unternehmens wie Dachser sagt sich das sehr leicht. Fakt ist doch, dass eine Branche nicht nachhaltig wächst, wenn sie nur einem Konjunkturhoch und dann dem nächsten hinterherhechelt. Sie wächst dann profitabel, wenn sie die schwierigeren Phasen dazu nutzt, um in Ruhe Entscheidungen zu treffen, die robust langfristig halten. Deshalb ist jetzt für alle Firmen, ob klein oder groß, eine gute Zeit zu prüfen, welche Systeme, Innovationen und Digitalisierungsprozesse ihnen helfen - auch in nachfrageschwächeren Zeiten. Wie stark spürt Dachser die Talfahrt der deutschen Industrie? Wir hatten ein sehr fulminantes erstes Quartal, im zweiten Quartal trübte sich das ein, im Moment sehen wir eher gedämpfte Wachstumsraten. Und ein ausgeprägtes Herbstgeschäft hat sich aktuell nicht eingestellt, auch wenn die Tagestonnagen nach der Sommerpause wieder angezogen haben. In welchen Bereichen hakt es, wo läuft es? Was wir sehen - unabhängig vom Herbstgeschäft -, dass sich die gesamte Automobilbranche in einem tiefen Strukturwandel befindet. Und das schlägt sich bei uns nieder - zunächst im Air- & Sea-Geschäftsfeld, mit geringerer Intensität aber auch im Landverkehr. In der Konsumgüterindustrie sehen wir dagegen Umsatzzuwächse, gerade im Lebensmittelgeschäft und in den konsumnahen Bereichen. Wie entwickeln sich vor diesem Hintergrund konkret Ihre Geschäftsbereiche? Air & Sea ist weltweit von der Konjunktureintrübung am stärksten betroffen, auch weil wir sehr viel für die Automobilindustrie unterwegs sind. Hier haben wir die meisten Wachstumsrückgänge. 2018 lag unser Air-&-Sea-Umsatz bei 1,185 Milliarden Euro: 2019 wird das eher auf Stagnation hinauslaufen. Aber bekanntlich sind November und Dezember in der See- und Luftfracht stets die stärksten, Prognosen sind also derzeit schwierig. Unser Stückgutgeschäft läuft nach wie vor sehr gut, wenngleich in unterschiedlichen Ausprägungen. Großbritannien hat nicht mehr die Wachstumsraten wie in den letzten ein, zwei Jahren; da profitierten wir von einer Art vorgezogenem Brexit. Insgesamt bin ich zufrieden. Unsere gesamte europäische integrierte Logistik läuft wie ein Uhrwerk, und was sich derzeit sehr gut darstellt, auch in den Wachstumszahlen, ist das europäische Road-Geschäft. Wie kommentieren Sie die Übernahme von Panalpina durch DSV? Diese Übernahme wird uns nicht von unserer Unternehmensstrategie abbringen. Sprich: Wir werden uns weiterhin auf die Erbringung integrierter Supply-Chain-Lösungen fokussieren, verknüpft mit unseren Landverkehren und unserer selbstentwickelten Software. Und dies weltweit und über alle Verkehrsträger hinweg. Klingt nach Offensive - der aktuellen Krise zum Trotz. Downsizing steht bei Dachser jetzt mit Sicherheit nicht an. Ich halte nichts davon, ständig Gas zu geben, um dann sofort wieder auf die Bremse zu treten, wenn sich die Konjunktur einmal etwas eintrübt. Denn da wird es den Mitreisenden, ich spreche von Kunden und Mitarbeitern, sehr schnell unwohl. Diese wünschen sich lieber berechenbare, verlässliche Partner, mit denen sie arbeiten und Geschäfte machen wollen. Wie reagieren Sie dann auf das schwächere Wachstum? Natürlich werden wir nicht im gleichen Ausmaß Mitarbeiter einstellen, wie wir das bislang getan haben. Andererseits haben wir jetzt die Möglichkeit, gerade im gewerblichen Bereich, wieder stärker auf nachhaltige Qualifizierung zu setzen, über innerbetriebliche Weiterbildung. So müssen wir unsere gewerblichen Mitarbeiter, das sind hierzulande fast 50 Prozent aller Beschäftigten, mit den neuen Technologien zusammenbringen, die derzeit entwickelt werden. Dann gibt es auch nicht die Ängste, dass ihr Arbeitsplatz durch die Digitalisierung wegrationalisiert wird. Es ist im Übrigen bedauerlich, dass Politik und Wissenschaft mit solchen Aussagen immer wieder für Verunsicherung im Gewerbe sorgen. Mitarbeiter bauen Sie also jetzt nicht ab? Wenn uns ein Kunde kurzfristig an einem Standort ein Kontraktlogistikprojekt kündigt, ist der punktuelle Abbau von Mitarbeitern nie auszuschließen. Andererseits wird es für dann vielleicht an einem anderen Dachser-Standort Möglichkeiten geben, Mitarbeiter weiter zu beschäftigen oder solche neu einzustellen. Unser Geschäft ist immer in Bewegung. Aber aufgrund der konjunkturellen Delle werden wir jetzt nicht Mitarbeiter abbauen. In welchen Bereichen sehen Sie überhaupt noch Wachstumspotenziale? Mit Sicherheit in unseren Geschäftsfeldern Road Logistics und Air & Sea Logistics. Wir haben in Air & Sea in den letzten Jahren unser eigenes Transportmanagementsystem geschaffen, um unsere Luft- und Seefrachtorganisationen mit unserem europäischen Landverkehrsnetz und unseren Kontraktlogistik-Aktivitäten intelligent zu verknüpfen. Ziel ist, so einen einheitlichen global durchgängigen Informationsfluss ohne Schnittstellenprobleme zu schaffen. Gerade sind wir dabei, die letzten und kompliziertesten Länder wie Indien und Brasilien im Rollout zu haben. Das hat uns Kraft gekostet. Sind Zukäufe ein Thema? Wenn wir akquirieren, dann nicht der Größe und des Umsatzwachstums willen, sondern weil wir Wertschöpfung durch Integration sehen wollen. Das heißt, dass wir auf die Integration unserer Zukäufe sehr viel Wert legen. Das muss erst einmal gestemmt werden. Dafür braucht es personelle Kapazitäten, und diese haben wir derzeit durch das Reengineering unserer Prozesse in der Luft- und Seefracht gebunden. Deshalb haben wir entschieden, uns aktuell ein wenig zurückzuhalten. Das wird wohl in den nächsten zwei, drei Jahren wieder anders aussehen. Das heißt aber nicht, dass ich einige kleinere Zukäufe in Zukunft kategorisch ausschließe. Von welchem wirtschaftlichen Szenario gehen Sie im kommenden Jahr aus? Ich gehe nicht davon aus, dass wir in 2020 den riesengroßen konjunkturellen Einbruch haben werden. Aber ich sehe auch keine hohen Wachstumsraten. Wir werden in 2020 wohl eher eine Seitwärtsbewegung sehen und Märkte, die sich untereinander ausgleichen. Ich sehe auch einige Verwerfungen auf uns zukommen. Deshalb ist es wichtig, mit einem eigenen Netz auf Schwankungen reagieren zu können. Unterm Strich gehe ich davon aus, dass sich unser Umsatz in 2020, wie in 2019 auch, verhalten entwickeln wird. Er wird aber auch in 2020 nicht schrumpfen. DHL Express hat für 2020 schon 4,9 Prozent höhere Preise angekündigt. Auch Nagel Group will seine Preise um vier bis fünf Prozent anheben. Was planen Sie? Nach dem Gießkannenprinzip Preise zu erhöhen, macht keinen Sinn. Wir schauen uns unsere Kunden sehr genau an, vor allem die Prozesse, die dahinterstehen. Dann gehen wir individuell auf die Kunden zu und sprechen mit diesen über unsere Preise. Denn fest steht: Warenwirtschaftsverkehr wird in Zukunft deutlich teurer werden. Was treibt da? Die größte Herausforderung für unser Gewerbe ist die Ressourcen-Verknappung. Sie könnte ein wichtiger Begrenzungsfaktor für unser künftiges Wachstum werden. Die Frage ist doch, wie gehen wir mit dem knapper werdenden Laderaum um, dem Mangel an qualifizierten Fachkräften, wie mit dem Thema CO2, wie mit den schwerer verfügbaren Grundstücksflächen, die wir für Niederlassungen und Warehouses brauchen? Wie wollen Sie das lösen? Das wird nur mit effizienten Prozessen gelingen, die nahtlos ineinander übergehen. Die Effizienzpotenziale sind da längst nicht ausgereizt. Aber dafür braucht es neue Technologien, Standards, aber auch unternehmensübergreifende Wertschöpfungsketten - auch im Zusammenspiel mit den Kunden. Interessanterweise nennen Sie nicht den Klimaschutz, über den viel gesprochen wird. Sie haben recht, es wird sehr viel in der Politik darüber gesprochen. Es wird aber wenig Verständnis für Kreislauf-Zusammenhänge und für Wechselwirkungen gezeigt. Es wird sehr viel monokausal debattiert, gehandelt wird oft dann in eindimensionalen Denkrichtungen und sehr häufig populistisch mit Wirkungen, die in den letzten Jahren eher das Gegenteil von dem bewirkt hatten, was CO2-Einsparungen bringen soll. Nun wurde ja gerade das Klimaschutzpaket verabschiedet. Müssen jetzt Ihre Transportpartner auf alternative Antriebe umrüsten? Wie soll das funktionieren? Das frage ich Sie. Die Frage ist doch, woher sollten unsere Transportpartner diese Fahrzeuge bekommen? Dachser hat es innerhalb der letzten fünf Jahre geschafft, drei E-Lkw für das gesamte Unternehmen kaufen zu dürfen. Die Betonung liegt auf dem Wort "dürfen". Fragen Sie doch einmal die Nutzfahrzeughersteller, wie es um die Serienreife von E-Lkw im Schwerlastbereich steht. Etliche Ihrer Branchenkollegen setzen ja zum Beispiel auf LNG. LNG - das ist ein schönes Thema. Mir ist indes nicht bekannt, dass fossiles LNG tatsächlich CO2 signifikant reduzieren kann. Das ist auch der Grund, warum wir uns bei Dachser mit der E-Mobilität seit Jahren beschäftigen. An folgendem Beispiel wird deutlich, dass E-Mobilität im Schwerlastverkehr über längere Strecken keine echte Lösung sein kann: Um unseren E-Actros in diesem Jahr auf der Messe Transport Logistic in München präsentieren zu können, mussten wir diesen erst von unserer Niederlassung Stuttgart nach Ulm fahren und dort mehrere Stunden die Batterie aufladen. Was könnte seitens der Politik in der Klimaschutz-Debatte also besser laufen? Fakt ist doch, dass sich die wesentliche Debatte im Güterverkehr derzeit wenig um CO2-Einsparung dreht, sondern sich mit der Luftreinhaltung - bedingt durch Feinstaub und Stickoxide - befasst. Was wiederum dazu führt, dass die Innenstädte nun, um Feinstaub zu reduzieren, anders bedient werden müssen - und das erfolgt eben nicht immer CO2-einsparend, wenn man den gesamten Energieeinsatz, auch der vor- und nachgelagerten Prozesse, betrachtet. Dieses Beispiel zeigt: CO2-Ersparnis/Klimaschutz und Luftreinhaltung sind nicht immer kongruent, sondern können auch gegeneinander wirken. Und wenn Sie sich mit der Physik eines E-Lkw im Schwerlastbereich näher beschäftigen, ist es mitnichten so, dass dessen Batterien wirklich zur CO2-Reduktion beitragen, wenn man die Produktion der Energiespeicher und das Betreiben eines solchen Fahrzeugs ganzheitlich betrachtet. In welcher Antriebstechnologie sehen Sie im Schwer-Lkw-Segment also die Zukunft? In den nächsten zehn Jahren wird es im Schwerlast-Verkehr zum herkömmlichen Dieselantrieb keine Alternativen geben. Was wirklich Zukunftstechnologien sein könnten, sind die alternativen Antriebsformen Wasserstoff und Methanol. Sprich, das, was die Bundesregierung verabschiedet hat, wird uns beim Thema Klimaschutz im Güterverkehr nicht wirklich weiterhelfen. Was wir brauchen, sind signifikant verbesserte Rahmenbedingungen und Investitionen in synthetische Kraftstoffe und alternative Antriebsformen. Dies werden wir nicht allein in Deutschland stemmen können. Zudem wird die dafür nötige grüne Energie nicht allein in Deutschland erzeugt werden können. Dafür sind Kooperationen mit Ländern nötig, die über die natürlichen Rahmenbedingungen für Wind und Sonnenenergie verfügen, wie etwa Marokko. Nun ist ja, abschließend gefragt, Uber Freight soeben in Deutschland gestartet. Ist das etwas, was Ihnen Sorgen bereitet? Nein, Uber Freight betrifft in erster Linie den Teil- und Komplettladungsmarkt. Müssen Sie als Speditionsnetz nicht fürchten, zu einem Erfüllungsgehilfen solcher Plattformen zu werden, weil diese künftig die Transport- und Logistikmärkte steuern? Mit Sicherheit nicht (lacht). Wir sind ein Partner für Wertschöpfungsprozesse unserer Kunden. Ich spreche von integrierten Supply Chains, die sehr komplexe Prozesse abbilden. Uber Freight und andere Plattformen sind in völlig anderen Marktfeldern unterwegs. Mehr zum Thema finden Sie im Dossier "Dachser" www.verkehrsrundschau.de/dossiers Vita Bernhard Simon ist CEO des Speditions- und Logistikunternehmens Dachser in Kempten. Er ist 1960 in Kempten geboren. Nach seinem Abitur absolvierte er zunächst eine Ausbildung zum Speditionskaufmann. 1987 schloss er sein Studium Betriebswirtschaft ab und absolvierte im Jahr 1986 ein Senior-Executive-Programm in Harvard, USA. 1989 stieg er als Projektleiter europäische Verkehre bei Dachser ein, das sein Großvater einst gegründet hatte. 2005 wurde er dort Sprecher der Geschäftsführung; seit 2015 ist er dort CEO. eh Das Speditions- und Logistikunternehmen Dachser Das Speditions- und Logistikunternehmen Dachser wurde 1930 in Kempten im Allgäu von Thomas Simon gegründet. Seit 2005 wird es von Bernhard Simon, Enkel des Firmengründers, geführt. Dachser teilt das Unternehmen in zwei Geschäftsbereiche ein: Road Logistics und Air & Sea. Im Geschäftsbereich Road Logistics wird unterschieden in European Logistics (Transport und Lagerung von Industriegütern) und Food Logistics (Transport und Lagerung von Lebensmitteln). Im vergangenen Jahr erwirtschaftete Dachser weltweit mit rund 30.600 Mitarbeitern einen konsolidierten Nettoumsatz von rund 5,6 Milliarden Euro. Davon erwirtschaftete European Logistics in 2018 rund 3,548 Milliarden Euro; Food Logistics 917 Millionen Euro und Air & Sea rund 1,185 Milliarden Euro Nettoumsatz. eh

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