Gemeinsam stark: Im Mentoring-Projekt VerAPlus unterstützen Rentner Azubis

"Mein Ziel ist es, Berufskraftfahrer zu werden", sagt Abrahm Kahsay. Er ist 31 Jahre alt, lacht viel und sitzt nicht gerne untätig rum. Vor knapp zehn Jahren ist er nach Deutschland gekommen - und ganz im Norden, in Flensburg, gelandet. Seine Frau und sein Kind sind noch in Eritrea. Nach einem Deutschkurs hat er einige Jahre gearbeitet - in verschiedenen Unternehmen, auch in einer Brauerei. Der Weg zu VerAplus Seine Ausbildung als Lkw-Fahrer begann er vor gut zwei Jahren. Doch dann gab es Schwierigkeiten mit seinem Ausbildungsbetrieb und im Herbst des vergangenen Jahres drohte der Ausbildungsabbruch. Worum es dabei konkret ging, will Abrahm Kahsay lieber nicht sagen und die Vergangenheit ruhen lassen. "Das hat einfach nicht gepasst", fasst er zusammen. Als die Industrie- und Handelskammer Flensburg (IHK) von den Problemen Wind bekommt, wird nach einer Lösung gesucht: "Es hieß: Wenn das so verfahren ist, machen wir eine Auflösung und dann müssen wir sehen, dass er eine Anschluss-Ausbildung bekommt. Oft ist das Problem, dass wir erst angesprochen werden, wenn es schon zu spät ist. Aber in dem Moment, als es so weit war, hat die IHK einmal uns bei VerAplus informiert und gleichzeitig Herrn Kahsay gesagt, er möchte sich online über unsere Website anmelden", erzählt der VerAplus-Regional-Koordinator in Flensburg, Bodo Steglich. Die "Verbesserung von Ausbildungserfolgen" - kurz VerAplus - ist ein deutsches Mentoringprogramm des Senior Expert Service (SES), eine deutsche Entsendeorganisation für ehrenamtliche Fach- und Führungskräfte im Ruhestand oder in einer beruflichen Auszeit. Ziel des Programmes ist es, Auszubildende, denen die Ausbildung schwerfällt, mit Rentnern zusammenzuführen, die die jungen Leute ehrenamtlich in einem Tandem-Modell mit ihrer Lebenserfahrung unterstützen sollen. So kam Kahsay zu dem Programm - und anschließend zu seinem Senior-Experten von VerAplus, Wolfgang Held. Vor Ort organisierte das Bodo Steglich: "Ich musste erst mal schauen, wer regional zur Verfügung steht. Herr Kahsay ist der erste Azubi, den Herr Held betreut, aber ich dachte, das könnte gut passen. Und mit dem schwierigen Thema ist es gleich eine Herausforderung für ihn." Held zur Hilfe Held war zu dem Zeitpunkt schon seit gut einem Jahr bei VerAplus dabei, hatte das zweitägige Vorbereitungsseminar für die Freiwilligen absolviert und nahm an den Treffen der Senior-Experten zum Erfahrungsaustausch teil. Mit seinem Schützling habe er sich sofort gut verstanden: "Wir haben uns dann einmal pro Woche getroffen und erst mal eine Stunde geschnackt, dass man weiß - wo kommt er her, was spricht er für Sprachen, spricht er gut Deutsch?", erzählt Held. Der Raum für das Kennenlernen wurde von der IHK bereitgestellt. "Dann habe ich - mit Abrahms Zustimmung - mit der IHK und der Berufsschule geredet", so Held. Das war wichtig, denn so konnte Kahsay seine Ausbildung in der Berufsschule fortsetzen und verpasste dort nichts, auch wenn er gerade ohne Ausbildungsbetrieb war. Ein neuer musste aber zeitnah her. Kurz nach dem ersten Treffen zeigte Abrahm Kahsay seinem Senior-Experten eine Bewerbung, zu der dieser nicht gleich Nein sagen wollte: "Ich habe es mir kurz angeschaut, ob es ungefähr passt, und habe gesagt, schicken wir es mal ab und sehen, was passiert", erinnert sich Wolfgang Held. Nach ein paar Tagen kam dann jedoch die Absage. "Da habe ich gesagt, wir gehen da anders ran: Wir machen keine Online-Bewerbung, sondern suchen ein paar Firmen raus, ich rufe da an und frage, ob wir ein Gespräch kriegen. Weil, wenn man das per E-Mail macht oder nur telefoniert, ist es sehr unpersönlich. Da weiß man nicht, wer das ist", findet der Rentner. Und setzte damit die grundlegende Idee von VerAplus um: mit seiner Lebenserfahrung den Azubi zu unterstützen. Individuelle Situationen Und seine Taktik funktionierte, berichtet der Mentor: "Von insgesamt drei Unternehmen, die ich angerufen habe, haben wir bei zwei Gesprächstermine bekommen. Und Veolia war dann am Ende schneller. Da hat es auch gut gepasst." Dass er mit zu den Vorstellungsgesprächen gekommen ist, ist nicht selbstverständlich: "Ich habe Abrahm gefragt, ob ich dabei sein soll, und er hat ja gesagt." VerAplus-Koordinator Steglich betont dabei: "Das ist das Entscheidende: Wir von VerAplus sprechen nicht mit dem Betrieb und nicht mit der Schule, wenn es der Auszubildende nicht möchte. In Fällen, wo es um einen Betriebswechsel geht, setzen wir uns natürlich auch oft mit dem Betrieb auseinander. Die Probleme sind immer andersartig und demnach auch immer die Vorgehensweisen. Aber in diesem Fall war es sinnvoll, gerade in dem Vorstellungsprozess zu unterstützen." Man könne das Vorgehen nicht pauschal vorhersagen, sondern müsse in jedem Fall individuell abwägen - was ein persönlicher Mentor leisten kann. Gemeinsam durch die Ausbildung Der Start in die Arbeitswelt ist eine große Veränderung im Leben junger Menschen und nicht immer leicht, wie die Zahlen bestätigen: In Deutschland wurden in den letzten Jahren stets über 25 Prozent aller Ausbildungsverträge vorzeitig gelöst. Die Gründe dafür sind vielfältig, so VerAplus-Regional-Koordinator Bodo Steglich: "Oft sind die jungen Leute nicht richtig beraten, den Eltern fehlt das aktuelle Wissen und das Angebot auf dem Ausbildungsmarkt ist inzwischen sehr unübersichtlich." Alt und Jung zusammenführen Um dagegen vorzugehen, wurde schon 2008 das Programm VerAplus entwickelt: Auszubildende, die Unterstützung brauchen, bekommen kostenlos und nach Wunsch anonym einen ehrenamtlichen Experten im Ruhestand zur Seite gestellt, der ihnen mit der Erfahrung aus seinem Berufsleben und gesammelter Lebenserfahrung auf einer persönlichen Ebene hilft. Neben einer kleinen Aufwandsentschädigung profitieren auch die Rentner von dem Programm, da sie eine neue Aufgabe bekommen, die sie frei und zeitlich flexibel gestalten können, meint Steglich. Ein Netzwerk aufbauen Er ist stetig dabei, sich mit der Zentrale in Bonn auszutauschen und das Netzwerk von VerAplus in seiner Region in Norddeutschland auszubauen: "Ich habe beispielsweise der Arbeitsagentur klar gemacht, dass wir in keinster Weise eine Konkurrenz für sie darstellen. Aber es gibt sicher Nischen, wo wir helfen können und wo wir sie bestens ergänzen können." Das bundesweite Mentoringprogramm VerAplus wird im Rahmen der Initiative Bildungsketten vom Bundesministerium für Bildung und Forschung gefördert. Ein neuer Ausbildungsplatz "Ich bin wirklich sehr zufrieden", betont Abrahm Kahsay. "Wir haben nach einem neuen Betrieb gesucht und den hat Herr Held auch gefunden. Dann hat er einen Termin gebucht und wir haben uns mit Bernd getroffen, um uns erst mal kennenzulernen", erzählt Kahsay und lächelt seinem neuen Chef zu, den er duzen darf. "Da verlief alles gut und jetzt habe ich hier bei Veolia meinen Ausbildungsplatz." Veolia - das ist ein Konzern, der in den Bereichen Wasserver- und -entsorgung sowie Aufbereitung und Energieversorgung tätig ist und kommunale und gewerbliche Abfallentsorgungskonzepte bereitstellt. "Wir haben den Ausbildungsvertrag übernommen", berichtet Bernd Dittmer, Betriebsleiter bei Veolia am Standort Flensburg und er ergänzt: "Herr Kahsay hat jetzt nicht noch mal von vorne angefangen. Er hat die ersten zwei Ausbildungsjahre hinter sich und wir führen jetzt die Ausbildung im dritten Lehrjahr weiter." Bedenken habe er zu Beginn durchaus gehabt: "Wir hatten schon unsere Zweifel, ob das alles klappt, wenn wir jetzt im dritten Lehrjahr weitermachen. Normalerweise ist es so, dass die angehenden Berufskraftfahrer zum Ende des zweiten Lehrjahres bereits im Besitz eines gültigen Lkw-Führerscheins sind, um im dritten Lehrjahr Berufspraxis sammeln zu können, wie es auch der Ausbildungsrahmenplan vorsieht. Aber da haben wir uns geeinigt, wie wir hier weitermachen." Warum seine Wahl auf Veolia fiel, erklärt Held: "Ich finde es wichtig, in einem größeren Betrieb zu arbeiten. Ich komme ja selbst von Telekom, einer großen Firma, und ich weiß, wie strukturiert es da ist. Da gibt es alles: einen Betriebsrat und durchdachte Standards. Und da hat man wirklich eine gute Ausbildung und gute Chancen. Deshalb habe ich nicht auf einen Kleinbetrieb, der das in dem Rahmen gar nicht leisten kann, geguckt. Und das hat bis jetzt gut funktioniert." Wie ein Vater Das Vorstellungsgespräch bei Veolia war Mitte November, eine Woche später bekam Abrahm Kahsay die Zusage. Über die Weihnachtsfeiertage haben sich Held und Kahsay nicht gesehen, jetzt treffen sie sich bei Bedarf: "Wenn Abrahm anruft und etwas benötigt, dann komme ich. Neulich hat er gesagt, er braucht einen Couchtisch für seine neue Wohnung. Ich hatte noch einen auf dem Dachboden, der ist jetzt im Kofferraum und nachher bringen wir den bei ihm vorbei. Manchmal treffen wir uns auch zum Essen in der Stadt oder auch mal öfters pro Woche - je nach Bedarf", so der Betreuer. "Ich kann mich immer bei ihm melden. Er ist wie mein Vater", sagt Kahsay. Damit ist das Ziel von VerAplus erreicht: Eine Vertrauensbeziehung zwischen Senior und jungem Menschen zu etablieren und damit einen Ausbildungsabbruch zu verhindern. Probleme bereinigt Fest bei Veolia dabei ist Abrahm Kahsay nun seit dem 1. Januar. Sein Betriebsleiter Bernd Dittmer ist sehr zufrieden mit ihm: "Es hat vom ersten Moment an super funktioniert. Er ist gleich mit aufs Auto gestiegen und alles, was ich von ihm in unseren Gesprächen mitbekommen habe, ist positiv. Er ist stets gut gelaunt und sehr motiviert." Held nickt bekräftigend, sichtlich zufrieden. Mit Kahsay wird er sich zumindest noch für ein Jahr treffen: "Wir haben abgemacht, dass er nach seiner Abschlussprüfung mit Frau und Kind im Veolia-Lkw bei mir vorfährt." Kahsay lächelt zuversichtlich. Er kann endlich seine Ausbildung zum Berufskraftfahrer fortführen - in einem Betrieb, in dem er sich wohlfühlt - und nächsten Monat kommen seine Frau und sein Kind zu ihm nach Deutschland.