Lkw-Test mit dem Turbo-Renault

Neu ist die Technik ja nicht, beeindruckt aber trotzdem jedes Mal aufs Neue: in diesem Fall an den Steigungen der A 9, nördlich von München. Bei knapp unter 1000 Touren beißt sich der DE13-Sechszylinder des Renault T im höchsten Gang an diesen regelrecht fest - ungeachtet des voll ausgeladenen Test-Aufliegers der VR-Redaktion auf der Sattelplatte. Vergleichbare Aggregate würden da längst beim automatisierten Getriebe um eine Rückschaltung betteln, der Franzose zieht dagegen stoisch über die Kuppe. Den Grund für diese überdurchschnittliche Elastizität deuten dezente Schriftzüge an den Türen der in schlichtem Weiß lackierten Sattelzugmaschine an: Turbo-Compound steht dort zu lesen. Hinter der Bezeichnung verbirgt sich eine zusätzliche Turbine im Maschinenraum. Genauer gesagt ist diese dem Turbolader nachgeschaltet und nutzt die dann immer noch bestehende Hitze der Abgase, um in Wallung zu kommen. Die so erzeugte Energie wird per Getriebe direkt auf die Kurbelwelle übertragen. 300 Newtonmeter mehr Zusätzliche 300 Newtonmeter Drehmoment sind der Lohn der Mühe. Durch die kann der 480 PS starke Motor auf in Summe 2700 Newtonmeter zurückgreifen, die zudem ab frühen 900 Touren bereitstehen. Zum Vergleich: Die nächst-stärkere Leistungseinstellung mit 520 PS, die Renault nicht mit Turbo-Compound kombiniert, bringt es "nur" auf 2550 Nm. Dass der "T High 480 TC", wie das Testfahrzeug mit vollem Namen heißt, die Turbo-Compound-Technologie nutzen kann, hängt mit der Konzernmutter Volvo Trucks zusammen. In deren FH-I-Save-Modellen bewährt sich die Zusatz-Turbine schon länger. Deutliche Verbrauchseinsparungen sollen Lohn der Mühe sein, wie man in Lyon (und Göteborg) verspricht. Ebenso durch "Optivision", das für unseren Geschmack allerdings übers Ziel hinausschießt. Wir sind ohne Frage Befürworter des GPS-Tempomaten, im Renault sind aber Unterschwinger von reichlichen minus 10 km/h fest hinterlegt, was für unsere vollen Straßen eindeutig zu viel ist! Viele werden diesem Treiben daher per Tritt aufs Gaspedal ein Ende bereiten, womit sich der Spareffekt in heiße Luft auflöst. Apropos sparen: Zum aufpreispflichtigen Turbo-Compound-Paket gehören neben der eigentlichen Turbine weitere spritsparende Ausstattungen wie beispielsweise der Wegfall des Powermodus. Damit es sein Potenzial richtig ausspielen kann, empfiehlt es sich vorrangig für den Fernverkehrseinsatz, weshalb es sich folgerichtig nicht in den Preislisten der C- und K-Modelle findet. Beim T lässt sich das Paket dagegen sowohl mit der "Sleeper-Cab"-Kabine als auch dem größeren High-Sleeper kombinieren, allerdings für den deutschen Markt nur in Verbindung mit dem DE-13 480. In anderen Ländern arbeitet die Turbo-Compound-Turbine dagegen alternativ auch mit der 440 PS starken Einstellung des Motors zusammen. Warum Renault Trucks den T 440 TC bei uns bislang nicht anbietet, entzieht sich unserer Kenntnis. Wir sind aber sicher, dass diese bis zu 2500 Newtonmeter drehmomentstarke Kombination viele Interessenten finden würde. Technische Daten Motor Sechszylinder-Reihenmotor (DE-13), oben liegende Nockenwellen, einstufiger Turbolader, Common-Rail-Einspritzung (2000 bar), Turbo-Compound-Turbine, Euro 6e mit AGR, SCR-Kat, DPF Hubraum: 12.800 cm3; Leistung: 480 PS (360 kW) bei 1250-1600/min maximales Drehmoment: 2700 Nm bei 900-1250/min Getriebe und Motorbremse automatisiertes Schaltgetriebe "Optidriver AT 2812", unsynchronisiertes Dreigang-Grundgetriebe, Range- und Splitgruppe, 12 Vorwärtsgänge, 3 Rückwärtsgänge, Motorbremse: "Optibrake+"; 430 kW bei 2300/min Option: Voith-Retarder; 450 kW/3250 Nm (im Test-Lkw verbaut) Am T selbst liegt es nicht! Wobei das mit den Interessenten bei Renault Trucks ja so eine Sache ist, denn der Anteil auf dem deutschen Markt der Fernverkehrsfahrzeuge ist, man möge uns diese Spitze in Lyon verzeihen, aktuell kaum der Rede wert. Warum das so ist? Zumindest auf der Testfahrt lässt sich darauf keine Antwort finden. Denn bei unserem, mit dem großen High-Sleeper-Fahrerhaus ausgerüsteten Testfahrzeug handelt es sich um ein wirklich feines Auto! Weder Materialauswahl noch Verarbeitung oder Geräuschdämmung geben Anlass zur Kritik. Vielmehr findet sich im Franzosen manch gute Idee. Da sei einmal mehr das obere Bett erwähnt, dessen Vorderteil sich dank seiner cleveren Konstruktion nach oben klappen lässt, wodurch eine sichere Ablage fürs Gepäck entsteht. Riesiger Lenkradverstellbereich Auch der optionale Schwenktisch gefällt. Er lässt sich sowohl vom Bett aus als auch vom gedrehten oder nach vorn ausgerichteten Beifahrersitz aus nutzen. Und auch den langjährigen und wohl größten Kritikpunkt hat der Hersteller bereits mit der letzten Produktaufbereitung vor drei Jahren beseitigt: Die bis dann wenig flexiblen Verstellwege der Lenksäule wichen einer neuen, über drei Achsen variablen Lösung. Mit dieser setzte Renault klar ein Benchmark auf diesem Gebiet, hier dürfte kein Lkw-Fahrender mehr Probleme damit haben, eine passende Position zu finden. Dagegen nach wie vor etwas fummelig: die Getriebebedieneinheit am rechten Lenkstockhebel. Mit der Zeit gewöhnt man sich aber daran, ebenso wie an den Blinkerhebel auf der gegenüberliegenden Seite des Lenkrads, der bei gesetzter Fahrtrichtungsanzeige nicht - wie man es erwarten würde - arretiert. Ansonsten gibt das teildigitale Konzept im T nicht mehr Bedienrätsel auf als die in anderen modernen Lkw. Weshalb man das komfortable Gleiten genießen kann, das in unserem Fall fast sänftenartig ausfällt. Schließlich besitzt die bestens ausgestattete Testsattelzugmaschine auch eine luftgefederte Vorderachse. Die bräuchte es nach unserer Meinung nicht zwingend, lässt den T aber auch bei Reisetempo 85 km/h weich über Fahrbahnunebenheiten hinweggleiten, während der DE-13 in Verbindung mit der lang ausgeführten 2,31er-Hinterachse mit nur knapp über 1000/min dezent dahinwerkelt. Eine Spur zu weich ausgeführt ist nach Geschmack des Testers die Aufhängung der hohen Kabine, die sich an der Autobahnausfahrt mehr zur Seite neigt als bei den Wettbewerbern. Beim darauf folgenden Beschleunigungsvorgang sammelt der Franzose dann wieder Punkte, denn die Arbeitsweise des Optidriver-Getriebes, baugleich mit der I-Shift-Schaltung von Volvo Trucks, gehört in Sachen Schaltgeschwindigkeit, Abstimmung und Komfort zu den besten am Markt. Nachfolger in den Startlöchern Diese genannten Tugenden dürfen ebenfalls für den jüngsten Wurf aus Lyon bestehen - streng genommen handelt es sich bei unserem nagelneuen Testfahrzeug schon wieder um ein Auslaufmodell. Denn Renault Trucks hat kürzlich die technisch verbesserten Nachfolgemodelle präsentiert, die nochmals bis zu drei Prozent weniger verbrauchen sollen. Turbo-Compound inklusive.

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