Gemeinsam wachsen

Warum digitales Wissen mühsam selbst aufbauen, wenn man es auch zukaufen kann? Das denken sich derzeit viele Transport- und Logistikunternehmen und gehen deshalb auf Einkaufstour und übernehmen junge Start-ups. So sind die vor wenigen Jahren in gestarteten Newcomer Coureon, Liefery und Tiramizoo, um einige Beispiele zu nennen, mittlerweile mehrheitlich in der Hand von Konzernen. Doch unter welchen Bedingungen ist der Kauf eines Startups überhaupt sinnvoll und wie läuft eine solche Übernahme dann ab? Motive für Akquisitionen Grundsätzlich führt der Begriff "Kauf" in diesem Zusammenhang ein wenig in die Irre. Denn dass eine junge Firma komplett übernommen wird, kommt eher selten vor. In den meisten Fällen erwirbt der Aufkäufer einen Mehrheitsanteil am Start-up, zum Beispiel 51 Prozent. Die Motive für eine Akquisition können unterschiedlich sein: Manche Käufer wollen sich den exklusiven Zugang zu einer Technologie sichern, andere interessiert der Kundenstamm, den sich ein Start-up aufgebaut hat. Gelegentlich werden Übernahmen sogar gestartet, um an die Mitarbeiter des jungen Unternehmens zu kommen. In der Logistik jedoch ist das wichtigste Kaufmotiv derzeit die Digitalisierung: Die Großen schnappen sich kleine, virtuelle Speditionen oder Frachtplattformen, um ein Standbein in der virtuellen Welt zu bekommen. Hat das Start-up grundsätzliches Interesse an einem solchen Deal signalisiert, findet zunächst eine sogenannte Due-Diligence-Prüfung statt. Dabei schaut sich ein Experte, meist ein externer Wirtschaftsprüfer, die Unterlagen des Start-ups an. "Das Ziel ist, mögliche Risiken vorab zu identifizieren", erklärt Rainer Weichhaus, Partner bei Mazars, einer internationalen Wirtschaftsprüfungsgesellschaft. Bei der Due-Diligence-Prüfung wird zum Beispiel kontrolliert, ob das Start-up seine Geschäfte bisher steuerlich sowie rechtlich korrekt abgewickelt und die Bücher korrekt geführt hat. Hier lauern versteckte Kosten Dabei ist Genauigkeit gefragt, da selbst kleinste Details nach dem Verkauf zum Problem werden können. Ein typischer Knackpunkt bei IT-Neugründungen etwa sind Urheberrechte, ein Beispiel: Vier Studierende tüfteln gemeinsam an einer Logistik-Software. Ein Beteiligter verliert die Lust und springt ab, dafür kommt ein freiberuflicher Programmierer an Bord. Später gründen die Absolventen ein Unternehmen, das auf der Software basiert. Doch wem gehört der Code? Solche Detailfragen können auf lange Sicht eine große Sprengkraft entfalten. Meldet der abgesprungene Programmierer nämlich Rechte an der Software an, nachdem das Start-up verkauft wurde, könnten auf den neuen Besitzer überraschende Kosten zukommen. Solche potenziellen Brandherde finden sich bei vielen Start-ups. Gerade in der Startphase gehen die Gründer alles pragmatisch an und machen einige Fehler, die dann bei einer Due-Diligence-Prüfung ans Licht kommen. "Wir hatten zum Beispiel den Fall, dass das Start-up für die Gründer und Geschäftsführer keine Sozialversicherungsbeiträge gezahlt hatte, weil alle dachten, von der Pflicht befreit zu sein", berichtet Christian Hensel von der KPMG Law Rechtsanwaltsgesellschaft, Nürnberg. Da so viele Risiken bestehen, nimmt die Frage, wer nach der Übernahme für unerwartete Kosten aufkommen muss, in den Vertragsverhandlungen also viel Raum ein. Ist die Due-Diligence-Prüfung abgeschlossen, geht es in die Übernahmeverhandlung. Ein zentraler Punkt ist hier der Preis. "Da geht es manchmal wie auf einem Basar zu", lacht Serge Ragotzky, Professor an der Hochschule für Wirtschaft und Umwelt Nürtingen-Geislingen (HfWU). Denn Garagenfirmen stehen oft vor dem Problem, dass sie noch keine wirtschaftliche Zahlen vorweisen können, aus denen sich seriös ein Kaufpreis berechnen ließe. Die Umsätze sind oft niedrig, die Gewinne nicht existent, das ganze Geschäft beruht auf Annahmen und der Hoffnung, die ehrgeizigen Ziele realisieren zu können. "Je früher in der Startphase, desto schwieriger ist die Bewertung", fasst Experte Ragotzky zusammen, der selbst jahrzehntelang Firmenübernahmen betreut hat. Mangels harter Zahlen bildet der Businessplan die Grundlage der Preisfindung. Darin sollten die Gründer gut verständlich geschildert haben, was die Firma von anderen unterscheidet (USP) und mit welchen Entwicklungen man rechnet. Es gilt: Je gründlicher und plausibler der Businessplan, desto höher der Kaufpreis. Manchmal werden auch sogenannte Multiplikatoren genutzt, um den Wert eines Unternehmens zu ermitteln. Man greift dazu eine Kennzahl aus dem Geschäft heraus, etwa die Zahl der Kunden oder der Klicks auf einer Website, und multipliziert sie mit einem bestimmten Faktor, den eine Bank für die Branche ermittelt hat. Doch letztlich sind diese Werte nur Anhaltspunkte. "Das ist sehr häufig eher eine Rechtfertigung für die Entscheider", schmunzelt Ragotzky. Erst, wenn das Start-up einige Jahre am Markt aktiv war und sich beweisen konnte, stehen genug Daten zur Verfügung, um einen Kaufpreis seriös zu berechnen. Dann werden zum Beispiel aus den vergangenen Betriebsergebnissen die zukünftigen Erträge geschätzt (Ertragswertverfahren). Dass um den Wert des Unternehmens oft lange gerungen wird, hat einen Grund: Er entscheidet darüber, wie groß der Anteil des Käufers ist - und damit auch über seine Einflussmöglichkeiten. Beispiel: Investiert der Übernehmer etwas über zwei Millionen Euro in eine Neugründung, die auf vier Millionen taxiert wurde, gehört ihm die Mehrheit. Liegt der Wert des Start-ups bei fünf Millionen, würde der Käufer nur über eine Minderheitsbeteiligung verfügen. Strittige Punkte bei Vertragsgestaltung Genauso wichtig ist die Frage, wie die Gründer in Zukunft beteiligt werden. Denn junge Firmen leben von der Energie der Macher und die soll auch nach dem Verkauf nicht nachlassen. "In der Praxis behalten die Gründer nach dem Deal weiter Anteile", weiß Rechtanwalt Hensel. Um die Gründer und andere wichtige Mitarbeiter möglichst lange zu binden, werden zudem oft sogenannte Vesting-Klauseln und Mitarbeiterbeteiligungsprogramme in den Kaufvertrag aufgenommen. Sie verpflichten die jeweiligen Personen, noch einen gewissen Zeitraum (oft drei bis vier Jahre) für das Start-up zu arbeiten. Steigen sie vorher aus, kann die Abtretung ihrer Anteile verlangt werden. "Die Rolle der Gründer gehört oft zu den strittigen Punkten", resümiert Wirtschaftsprüfer Weichhaus. Entsprechend viel wird in den Vertragsverhandlungen über ihre Rechte und Pflichten geredet: Wie werden die Gründer überwacht? Welche Berichte müssen sie erstellen? Bei welchen Entscheidungen darf der Käufer oder ein Beirat mitreden (Zustimmungskatalog). Erfolgsgarantien gibt es natürlich bei keiner Übernahme. Aufgekaufte Start-ups verschwinden oft für immer aus den Schlagzeilen, weil ihre vielversprechende Idee unter den Flügeln des neuen Inhabers verkümmert. Woran liegt das? "Das Kulturelle entscheidet. Der Große darf dem Kleinen nicht zu stark seine Strukturen überstülpen", betont Übernahmeprofi Ragotzky. Dieser Punkt wird in der Praxis oft falsch gemacht: Kaum ist das Start-up bei der Mutter untergeschlüpft, müssen die Mitarbeiter den Dienstweg einhalten und ellenlange Reports schreiben. Von der Bürokratie genervt, kündigen die Gründer offen oder innerlich und der Ideenfluss versiegt. Behutsame Integration sollte also die Devise lauten, bloß das Start-up nicht nur als weitere Abteilung betrachten. Als zweiten Erfolgsfaktor nennt Ragotzky eine intensive Zusammenarbeit: Der übernehmende Betrieb sollte dem Start-up zum Beispiel den Zugang zu neuen Märkten eröffnen, günstigere Beschaffungswege vermitteln oder mit Management-Knowhow helfen. Option der Minderheitsbeteiligung Bleibt die Frage: Muss es überhaupt immer die Übernahme sein? Das kommt darauf an, welche Ziele der Käufer verfolgt. Geht es ihm nur darum, eine Software zu bekommen, ein Patent oder den Zugang zu einem Markt, kann der Kauf die beste Option sein. Anders sieht die Sache aus, wenn man es auf die Kreativität der "Jungen Wilden" abgesehen hat. In diesem Fall bringt es häufig nichts, einfach nur 51 Prozent an der Garagenfirma zu erwerben. "Als Investor macht es oft keinen Sinn, durchzuregieren; die Gründer sollen ja weiter ihre Freiheit haben", sagt Rechtsanwalt Hensel. Aus diesem Grund sei oft eine Minderheitsbeteiligung sinnvoller als die Übernahme, rät der Jurist. Der große Betrieb könnte zum Beispiel nur 20 bis 30 Prozent der Anteile am Start-up erwerben und sich zusätzliche Einflussrechte zusichern lassen, zum Beispiel ein Vetorecht, wenn es um die Aufnahme weiterer Teilhaber geht. "Meist wird die Beteiligung durch eine Kooperation ergänzt", so Hensel. Der Etablierte und der Newcomer vereinbaren beispielsweise, in einem gewissen Zeitraum gemeinsam eine IT-Lösung zu entwickeln. Außerdem hat es sich bewährt, wenn der große Partner einen Beirat installiert, in dem Branchenkenner sitzen, die das Gründerteam mit ihrem Know-how unterstützen. Mehr zum Thema im Dossier Logistik-Start-ups www.verkehrsrundschau.de/dossiers Die Serie Die neuen Logistik- Start-upsWohin geht die Reise der digitalen Anbieter?- Revolution, Disruption oder Evolution? (VR 10)- Innovativ mit eigenen Startups: Flash Europe (VR 11)- Logistik-Start-ups kaufen und verkaufen (VR 13) Tipp-Kasten So klappt der Kauf eines Logistik-Start-ups- Suchen Sie nach jungen Firmen, die Ihnen dabei helfen können, bestimmte Abläufe in Ihrem Geschäft zu digitalisieren. Das hilft Ihnen dabei, interne Ressourcen auf das Kerngeschäft zu konzentrieren.- Prüfen Sie, ob eine komplette Übernahme nötig und sinnvoll ist. In vielen Fällen genügt eine Minderheitsbeteiligung, gegebenenfalls ergänzt durch zusätzliche vertragliche Vereinbarungen.- Lassen Sie eine sorgfältige Due-Diligence-Prüfung durchführen. Garagenfirmen übersehen in der Startphase häufig steuerliche oder juristische Details. Für eventuelle Fehler, die gemacht wurden, müssen Sie als Firmenkäufer unter Umständen haften.- Sorgen Sie dafür, dass die Gründer auch nach der Übernahme motiviert bleiben, etwa indem sie weiter Anteile halten. Stellen Sie zudem mit sogenannten Vesting-Klauseln sicher, dass entscheidende Personen an Bord bleiben.- Gewähren Sie dem Start-up möglichst viele Freiheiten. Stülpen Sie der jungen Firma nicht gleich alle Prozesse über, behandeln Sie den Zukauf nicht wie eine weitere interne Abteilung - das tötet den Unternehmergeist. Lassen Sie die Gründer autonom handeln und stellen Sie ihnen einen erfahrenen Beirat zur Seite. cg