"Spirit der Gründerszene übertragen"

Noch vor nicht allzu langer Zeit mussten DKV-Kunden Mautboxen per handschriftlich ausgefülltem Formular bestellen. Letztes Jahr wurden Sie mit dem Digital Leader Award ausgezeichnet. Was ist da passiert? Der DKV hatte schon immer das Selbstverständnis, beim technischen Wandel in der Transportbranche vorne zu sein. Wir waren seinerzeit schon bei der Tankkarte als eines der ersten Unternehmen ganz vorn dabei. Die Digitalisierung aber so voranzutreiben, dass Kunden vieles online abwickeln können, war ein Marathon. Wie gestaltete sich dieser Marathon? Der erste Schritt war erst einmal zu schauen, ob wir überhaupt die IT-Voraussetzungen haben. Die Frage lautete also: Wie können wir unsere IT erweitern, dass diese neuen Aufgaben gewachsen ist? Andererseits müssen die Bedürfnisse der Kunden klare Priorität haben. Die haben sich daran gewöhnt, dass man online jederzeit Waren bestellen kann, und fragen sich womöglich: Muss das wirklich sein, dass ich meine Mautbox über ein Papierformular bestelle? Seit rund einem Jahr können sie das nun endlich online erledigen. Woher wissen Sie, welche Lösungen die Kunden wirklich brauchen? Wir haben Interviews mit Spediteuren in ganz Europa geführt und uns genau angesehen, was sie am bisherigen Prozedere stört. Herausgekommen dabei ist, dass Schnelligkeit der wichtigste Faktor ist. Deshalb kann der Kunde die Mautbox bei uns im Vorfeld bestellen, damit er sofort Touren absolvieren kann, wenn er ein neues Fahrzeug bekommen hat. Der zweite Faktor ist, dass Fuhrunternehmen typischerweise sehr viele verschiedene Mautboxen betreiben. Da kann man schnell den Überblick über die Registrierungsunterlagen verlieren. Diese an einem Ort digital abzulegen, ist natürlich eine enorme Erleichterung. Mit dem DKV Cockpit haben wir das realisiert - übrigens nicht nur für Mautboxen, sondern auch für Tankkarten. Wofür steht die noch junge Abteilung Digital Solutions konkret? Die Unit kümmert sich ausführlich um das Thema Portale und Apps sowie die direkte Anbindung an die Fahrzeuge. Zusätzlich haben wir ein Team gebildet, dessen Fokus auf der Customer Experience liegt. Je mehr digitale Dienste man anbietet, desto mehr läuft man Gefahr, dass die Website zu unübersichtlich wird. Dann hat man nichts gewonnen und der Kunde sagt sich: Ruf ich doch besser im Innendienst an. Die Frage lautet: Wie baut man ein Haus schrittweise um, ohne dass das für den Bewohner, in diesem Fall den User, mit Einschränkungen verbunden ist? Deshalb gehen wir bei der digitalen Transformation behutsam und schrittweise vor. Was sind die nächsten Schritte? Wir hören uns die Probleme der Speditionen an und überlegen, wo wir eventuell zur einer Lösung etwas beitragen können. Neben dem allgegenwärtigen Problem Fahrermangel ist das Thema Kosten ein Dauerbrenner, beispielsweise das Einsparen von Kraftstoff - über den Umstand hinaus, dass wir gute Konditionen fürs Tanken bieten. In Kürze ermöglichen wir über ein neues App-Paket auf der TomTom Bridge, dass Fahrer auf ihrer Route zu den Tankstellen mit den besten individuellen Rabatten gelotst werden. Fahrer steuern aber auch gerne ihre persönliche Lieblingstankstelle an... Der Fahrer wird belohnt, die für das Unternehmen günstigste Tankstelle anzusteuern, etwa mit einem verknüpften Bonussystem. Darüber hinaus haben wir Elemente von Gamification in eine weitere App integriert, die den Fahrer spielerisch zum ökonomischen Fahren anhält. Das kam in den Tests bei den Fahrern gut an. Das schöne ist, dass wir dank der hohen Verbreitung von TomTom sehr viele Fahrer erreichen. Darüber hinaus sind wir derzeit in Gesprächen mit zwei Lkw-Herstellern über die Integration der Module in deren Telematiksysteme. Sie suchen den Schulterschluss mit der Gründerszene und kooperieren mit dem Start-up-Inkubator Startplatz. Das grundsolide Tankkartengeschäft und Start-up-Atmosphäre - passt das zusammen? Unser Unternehmen ist 85 Jahre alt und hat 1000 Mitarbeiter, in unserem angestammten Geschäft sind wir sehr erfolgreich, nach wie vor. Ich werde sicher auch nicht den DKV in ein Start-up verwandeln. Die Idee dahinter ist, den Spirit der Gründerszene auf die eigene Mannschaft zu übertragen. Wir haben also unsere Kantine leer geräumt und sind als Gastgeber für den Start-up-Wettbewerb Rheinland-Pitch aufgetreten. Eine gewisse Prise Aufbruchsstimmung also und wir partnern mit einigen Start-ups. Was muss ein Start-up mitbringen, damit Sie investieren? Wir holen uns vor allem Ideen von den Start-ups - wir haben gar nicht unbedingt vor, eines zu kaufen, sondern sehen uns eher als Partner. Es gibt viele kleine Firmen, die tolle Ideen und Produkte entwickelt haben, aber schlichtweg nicht über den Marktzugang verfügen, diese zu realisieren. Wir sind dagegen europaweit präsent und haben eine stabile Nähe zum Kunden. Sie bieten Ihren Mitarbeitern im Rahmen der Kooperation mit Startplatz auch die Nutzung eines Co-Working-Space an. Was versprechen Sie sich davon? Dadurch rücken wir nicht nur näher an die Start-ups heran. Die Hauptmotivation besteht darin, unseren Mitarbeitern die Erfahrung des agilen Arbeitens zu bieten. Wenn man in einem stetigen Trial-and-Error-Verfahren gemeinsam mit dem Kunden an einem Produkt arbeitet, ist das wesentlich zielführender, als lange an einem Produkt zu arbeiten, das am Ende dem Kunden nicht gefällt. Sie arbeiten mit dem Start-up Zahlz bereits an Mobile-Payment-Lösungen. Wie ist der Stand in Sachen digitale Tankkarte? Wir setzen große Hoffnungen in dieses Thema und entwickeln derzeit Kundenlösungen sowohl für kontaktloses Bezahlen im Nahbereich mittels Karte oder App als auch für Remote-Payment - also das Bezahlen vom Fahrzeug aus. Dazu haben wir mit der Q1 Energie AG Pilotprojekte ins Leben gerufen. Hier eine übergreifende Lösung zu schaffen, ist allerdings eine große Herausforderung. Zum einen bewegen sich die IT-Infrastrukturen der einzelnen Tankstellenketten auf den verschiedensten Niveaus und letztendlich herrscht in der Branche beim Thema Mobile-Payment eine sehr gemischte Interessenlage. Im letzten Jahr haben Sie DKV Key Sharing vorgestellt, bei dem das Fahrzeug per App geöffnet und der Schlüssel in einer Box im Auto aufbewahrt wird. Wird die Lösung mittlerweile im Lkw-Bereich genutzt? Dieses originär für Pkw-Flotten entworfene Produkt 1:1 auf Lkw-Flotten zu übertragen, war nicht der Selbstläufer, den wir zunächst erwartet haben. Da spielt tatsächlich der Lkw-Fahrer eine große Rolle, der es mitunter nicht mag, wenn per Appgesteuerter Zugangsberechtigung andere Mitarbeiter Zutritt zu seinem ganz persönlichen Arbeitsplatz haben. Wir bauen daher gerade die Zugangsmechanismen um, um diese Vorbehalte auszuräumen. Kann man mittelfristig echte Keyless- Lösungen vom DKV erwarten? Im Moment ist unsere Herangehensweise vor allem pragmatisch. Kunden aus dem Spediteursgewerbe möchten einfache, schnell umzusetzende und vor allem bezahlbare Lösungen. Wird es in zehn Jahren noch eine DKV-Schlüsselbox geben? Ich glaube nicht, denn dann werden sich echte Keyless-Lösungen herstellerseitig ohnehin durchgesetzt haben. Sie sind eine Kooperation mit dem Kartendienstleister Here eingegangen. Was steckt dahinter? Hier kommen wir in den strategischen Bereich. Es gibt bereits einen Datenaustausch zwischen unseren Unternehmen - die Tankstellendaten in Here-Karten etwa stammen zum Teil von uns. Die Reise wird dahin gehen, dass wir als Unterwegsversorger den Kunden mit neuen, kartenbasierten Realtime-Diensten bei der Bewältigung und dem Management der Transporte unterstützen, quasi eine logische Erweiterung der Tank- und Mautdienste. Im ersten Schritt umfasst die Kooperation die Bereitstellung von Tankstellendaten durch den DKV auf dem Here OLP Marketplace, einem neuen Marktplatz für den Austausch und die Anreicherung ortsbezogener Daten. Woher beziehen Sie das Datenmaterial für die geplanten Realtime-Dienste? Wir planen, unseren Kunden auf Basis der Positionsdaten, die die neue EETS-Box zur Verfügung stellt, erweiterte Track-and-Trace-Dienste anzubieten. Vor allem wollen wir ermöglichen, dass nicht nur der Flottenbesitzer diese Daten einsehen kann, sondern, wenn das gewünscht wird, auch dessen Kunde. Über den europäischen elektronischen Mautdienst EETS sollen künftig Mautgebühren in Europa über eine Box abgerechnet werden. Wie läuft die Einführung? Bei der Umstellung handelt es sich in der Mautbranche praktisch um eine Revolution, vergleichbar wie die Umstellung auf internationales Roaming in der Telekommunikation. Die Aufschaltung der jeweiligen Mauten erfolgt sukzessive Over-the-Air. Wir befinden uns mit der DKV Box Europe voll im Zeitplan. Sie ist bereits bestellbar und soll ab Mai ausgeliefert werden. In diesem Jahr werden die Mauten für Belgien, Deutschland, Österreich, Frankreich, Spanien und Portugal verfügbar sein. In einigen Jahren, wenn alle Mauten zertifiziert sind, wird europaweit über nur noch eine OBU abgerechnet werden können - für Speditionen mit großen Flotten, die flexibel international disponieren müssen, ist das eine enorme Erleichterung. Welchen Anteil werden digitale Geschäftsmodelle beim DKV in fünf Jahren haben? Vielleicht noch nicht in fünf, sicherlich aber in zehn Jahren werden unsere Umsätze im Bereich Mautabwicklung über digitale Kanäle generiert. Im Bereich Tanken wird es nicht viel anders aussehen. Im Segment Elektromobilität ist die Wertschöpfungskette schon jetzt größtenteils digital: Die Infrastruktur im Bereich E-Ladenetz, die wir gerade gemeinsam mit Innogy aufbauen, ist 100 Prozent Appgesteuert. Wir sehen dann auch einen Umsatzanteil im zweistelligen Prozentbereich von völlig neuen digitalen Diensten für die Transportbranche. Sehen Sie sich als digitaler Vorreiter auf dem Markt? Im Bereich der Mobilitätsdienstleister gibt es in den USA sicherlich den einen oder anderen, der in Sachen Digitalisierung weiter ist als wir oder auch unsere Marktbegleiter. Wir haben aber auf jeden Fall den Anspruch, in Europa die Technologieführerschaft zu übernehmen, und ich sehe auch gute Chancen, dass uns das gelingt. Mehr zum Thema finden Sie im Dossier Tankkarten www.verkehrsrundschau.de/dossiers Vita Hendrik RosenboomHendrik Rosenboom ist seit Sommer 2015 beim DKV Euro Service. Zunächst als Director of IT beim Mobilitätsdienstleister tätig, stieg er 2016 zum Chief Digital Officer auf und bekleidet seit Herbst 2018 zudem die Position Managing Director Holding. Vor seinem Wechsel ins Tankkarten- und Mautgeschäft war der promovierte Biochemiker für das Prozessmanagement bei dem Medizin- und Hygieneprodukthersteller Paul Hartmann AG verantwortlich. mh New Work Projekt Fit für agiles ArbeitenIm Rahmen des sogenannten New Work Projektes haben die DKV-Mitarbeiter des Bereichs Information Management und der Abteilungen Digital Solutions, Project Management Office sowie User Experience (UX) und Customer Experience (CX) Ende Januar am Standort Ratingen neue Büroflächen bezogen. Höhenverstellbare Schreibtische, zahlreiche Gelegenheiten für spontane oder geplante Besprechungen, farbenfrohe Projekt- und Kreativräume und moderne Technik sollen vor allem das agile Arbeiten fördern. Teams können sich innerhalb der neuen Büroräume für Diskussionen in kleine, schallgeschützte Bereiche zurückziehen."Die Räume und die Technik können uns nur ein Angebot machen, nutzen müssen wir es im Sinne des modernen Arbeitens selbst", so Hendrik Rosenboom, Chief Digital Officer und Managing Director DKV."In den nächsten Monaten haben wir noch einige Aufgaben, um das Potenzial der Fläche und Technik voll zu heben." mh

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