Paris. Die französische Regierung will verhindern, dass der Bahnstreik dem Bahnfrachtsektor endgültig den Garaus macht. Transportministerin Elisabeth Borne soll bis Mitte des Monats einen Plan zur Wiederbelebung der Bahnfracht vorlegen. Er zielt unter anderem auf den Ausbau und die Förderung des Multimodalverkehrs.
Von dem bis Juni geplanten Proteststreik gegen die Reform der Staatsbahn SNCF sind im Frachtbereich vor allem dessen traditionelle Hauptkunden betroffen: die Eisen- und Stahlindustrie, die Autoindustrie und ganz besonders die Getreidewirtschaft sowie die Baustoff- und anderen Materialienhersteller. An den Streiktagen – zweimal pro Woche – fahren nur 30 Prozent der vorgesehenen Güterzüge und die ausgefallenen Züge lassen sich nicht einfach von einem auf den nächsten Tag verschieben. Auch die seit einem Jahr amtierende neue Regierung von Staatspräsident Emmanuel Macron bemüht sich jetzt wie alle ihre Vorgänger seit 30 Jahren einen neuen Rettungsplan für die Bahnfracht aufzulegen. Alle bisherigen Pläne konnten nicht verhindern, dass deren Anteil am Transportgeschäft seit Mitte der achtziger Jahre um die Hälfte gesunken ist.
Elisabeth Borne hat letzte Woche in einem ersten Schritt alle Bahnfrachtanbieter und –Nutzer versammelt, um ihnen die grossen Richtungen ihrer Reformpläne zu erläutern. Eingeladen dazu waren auch die Bahngewerkschaften. Sie lehnten ihre Teilnahme jedoch aus Protest gegen die Pläne der Regierung ab, den SNCF-Unternehmensbereich Fret SNCF mit einem neuen Status zu versehen, dem einer SNCF-Tochter. Dagegen laufen sie einhellig Sturm.
Modernisierung der Infrastruktur
Vorrangig will die Transportministerin den Komplex „Modernisierung der Infrastrukturen“ angehen. Die Frage, wie die Bahnanschlussverbindungen zwischen Fabriken und Bahnnetz wieder funktionsfähig gemacht werden sollen, will Borne bis Mitte Mai klären. Als Massnahmen zur Abschwächung der Negativfolgen des aktuellen Streiks kündigte sie an, man wolle übergangsweise als Alternative zur Bahnfracht die Straße favorisieren. So wurden die Lkw-Fahrverbote am 8.Mai-Feiertag aufgehoben und die Präfekten angewiesen, auf lokaler Ebene Lösungen für den Feiertag am 10. Mai zu finden.
Ferner hat die Ministerin die Auflagen für Getreidesilos etwas gelockert. Für den dramatischen Niedergang der von SNCF verantworteten Bahnfracht machte Borne „eine Reihe externer Faktoren“ verantwortlich: die schwache Verbreitung industrieller Fertigung in Frankreich, die geringere Wettbewerbsfähigkeit der heimischen Häfen, die Finanz- und Wirtschaftskrise 2008, aber auch die seit 1990 gesunkenen Transportkosten im Straßengütertransport. Um den Bahnfrachtsektor zu retten und ihm wieder auf die Gleise zu verhelfen, habe die Regierung beschlossen, in das Bahnnetz jeden Tag rund 10 Millionen Euro zu investieren, wovon ein Großteil der Bahnfracht zugutekommen soll, die unter dem maroden Zustand des Schienennetzes besonders leide.
Stärkung des Kombiverkehrs Schiene/Straße
Des Weiteren soll die Höhe der Mautzahlungen seitens des Bahnbetreibers SNCF an den Netzverantwortlichen SNCF Réseau neu bestimmt werden. Die aktuell erhobenen sehen bis 2026 eine jährliche Steigerung um 6,9 Prozent vor. Als einen der Schwerpunkte ihres Reformvorhabens hob die Ministerin ferner die Verstärkung des Kombiverkehrs Schiene/Straße hervor. Der Sektor solle auch weiterhin mit öffentlichen Mitteln gefördert werden. Einzelheiten zu ihrem Programm gab Elisabeth Borne bei der Informationsveranstaltung im Ministerium noch nicht bekannt.
Ob die jetzige Regierung dem massiven Druck seitens der Gewerkschaften besser standhalten können wird, bleibt abzuwarten. Vor etlichen Jahren war schon der jetzige Oberbürgermeister von Bordeaux Alain Juppé mit weitreichenden Reformvorhaben für die Bahn gescheitert. Die aktuelle Fachministerin im Transportsektor verfügt jedoch vielleicht über einen wichtigen Trumpf: Sie stand seit 2015 bis zur Übernahme des Ministeramts dem Pariser Nahverkehrsunternehmen RATP vor, das kaum weniger streikanfällig ist als die Staatsbahn. Von daher dürfte sie mit den Usancen und Aktionsweisen auf gewerkschaftlicher Seite mehr als vertraut sein. (jb)