Formenvielfalt verknüpft mit Mehrwert

Marcus Wille reibt sich die Hände: "Die Nachfrage nach Mehrwegsystemen und -verpackungen ist seit geraumer Zeit ungebrochen", sagt der Vertriebsleiter Material Handling bei Schoeller Allibert. Davon profitiert sein Arbeitgeber, der Marktführer bei Mehrweg-Verpackungen aus Kunststoff für Transport und Lagerung. Bei Behältern und Ladungsträgern aus Kunststoff stehen die Zeichen auf Wachstum (siehe Kasten auf Seite 31). "Die großen Handelsketten automatisieren ihre Zentrallager", erläutert Wolfgang Lammers, Teamleiter Abteilung Verpackungsund Handelslogistik am Fraunhofer Institut für Materialfluss und Logistik (IML) die Hintergründe. Dabei würden zunehmend Mehrwegsysteme mit Ladungsträgern aus Kunststoffen implementiert, die immer öfter auch in der Distribution genutzt werden. "Ein Trend, der allerdings noch kaum in Zahlen fassbar ist." Immer mehr setzen auf Kunststoff So hat das auf Mehrweg-Ladungsträger spezialisierte Beratungsunternehmen Ekupac in Köln unlängst für einen Kunden der Modebranche eine Lösung mit Kunststoff-Klappkisten in der Kommissionierung und Warenauslieferung an Filialen erarbeitet. Damit spart dieses Unternehmen pro Jahr 400.000 Kartonverpackungen. Ein anderes Beispiel: Die Drogeriemarktkette dm und ihr Kontrakt- und Transportdienstleister DSV Road haben im Februar die Kommissionierung und Distribution aus zwei dm-Logistikzentren und sechs DSV-Verteilzentren komplett auf Kunststoffpaletten umgestellt. Mit bis zu 11.500 der eigens entwickelten und vom Hersteller Georg Utz mit speziellen Features ausgestatteten Paletten werden die mehr als 1700 dm-Filialen täglich beliefert. Die leichten, mit Tragegriffen versehenen Ladungsträger sind serienmäßig mit einem Barcode-Label und einem Transponder für die Radio Frequency Identification (RFID) ausgestattet. Mit bis zu 50 Umläufen können die Logistikpartner diese fünf Mal häufiger verwenden als die vorher genutzten Standard-Holzpaletten. Als Vorteile benennen sie neben den niedrigeren Kosten durch schlankere Prozesse in der Intralogistik und bei der Leergutsteuerung die Zeitersparnis, weil sie die Paletten nicht mehr nach Qualität sortieren müssen. Gleichwohl muss man wissen, dass Kunststoffpaletten sieben bis zehn Mal teurer sind als Holzpaletten. Passgenaue Zuschnitte sind gefragt Der individuelle Zuschnitt, mithin die Flexibilität, gilt vielfach als einer der großen Vorteile der Kunststoff-Ladungsträger - insbesondere, wenn sie in größeren Mengen für geschlossene Kreisläufe produziert werden. Deren Hersteller - das zeigt die Fachmesse Fachpack, die vom 29. September bis 1. Oktober 2015 in Nürnberg stattfindet - entwickeln kontinuierlich weitere Innovationen, die die Flexibilität der Nutzer bei Transport und Lagerung steigern sollen. "Trends wie die zunehmende Individualisierung der Gesellschaft und der wachsende Online-Handel führen in vielen Branchen dazu, dass immer mehr unterschiedliche Artikel in immer kleineren Losgrößen gelagert und transportiert werden müssen", erläutert Wille von Schoeller Allibert. Anwender fragen deshalb verstärkt nach Verpackungssystemen, die sich an ihre Bedürfnisse anpassen lassen. Der Vertriebsexperte sieht vor allem einen Trend zu volumenreduzierbaren Großverpackungen: Transportbehälter und Großladungsträger etwa, deren Seitenwände sich durch Zusatzmodule in der Höhe anpassen lassen, Drehstapelbehälter, die sich für Leerfahrten ineinandersetzen lassen und so bis zu 70 Prozent weniger Platz auf der Ladefläche brauchen, oder produktspezifische Konstruktivverpackungen aus Schaumstoff, die mit 3-D-Technik für Produkte erstellt werden, die kein Standardmaß haben. "Für die Innenverpackung von komplexen, empfindlichen Produkten spielt künftig zudem der 3-D-Druck eine wichtige Rolle und ist vor allem bei hochwertigen Einzelstücken eine ernstzunehmende Konkurrenz für Guss-, Schaumstoff- und Tiefzug-Träger", prognostiziert Lammers vom IML. Über zwei Drittel macht Wellpappe aus Klassiker unter den Verpackungsmaterialien ist und bleibt jedoch die Wellpappe. Dem Verband der Wellpappe-Industrie (VDW) in Darmstadt zufolge decken Kunststoffe bei den Transportverpackungen lediglich einen Aufkommensanteil von 5,4 Prozent. Mehr als zwei Drittel aller Transportverpackungen in Deutschland sind demnach Wellpappe-Lösungen. "Daran wird sich grundlegend nichts ändern", sagt Lammers. Gestützt wird diese Auffassung von der Anfang August veröffentlichten Studie "Supply Chain 2025" des Frankfurter Zukunftsinstituts. Danach werden Wellpappe-Verpackungen gerade wegen ihrer Flexibilität und Variabilität künftig noch mehr gefragt sein. "Die immer stärkere Individualisierung im E-Commerce führt zu einer immer größeren Vielfalt transportierter Sendungen", sagt Christian Rauch, Geschäftsleiter des Zukunftsinstituts. "Deshalb sind künftig variabel auszugestaltende Verpackungen gefragt, die sich etwa über Perforationen oder Rillungen den unterschiedlichen Anforderungen anpassen lassen." Neuentwicklungen kombinieren beispielsweise Wellpappe und Folien. So hat die STI Group in Kooperation mit der Sealed Air Corporation unlängst für einen Prothesen-Hersteller eine Versandlösung entwickelt, bei der auf den Wellpappe-Zuschnitt der Verpackung eine extrem reißfeste Folie aufgeklebt ist. Die Folie fixiert und sichert im Innenteil des Kartons spitze oder unförmige Produkte. "Die Kombination aus Wellpappe und Folie bietet unseren Kunden völlig neue Möglichkeiten", urteilt Aleksandar Stojanovic, Geschäftsführer Vertrieb und Marketing der STI Group. Verpackungsmaterialien, die flexible Konstruktions- und Ausstattungsmöglichkeiten sowie sehr gute Umwelteigenschaften aufweisen, haben der Studie "Supply Chain 2025" zufolge höchstes Zukunftspotenzial. Denn künftig würden deutlich höhere Anforderungen an die Transportverpackungen gestellt. "Diese müssen noch verlässlicher, nachhaltiger und intelligenter werden", resümiert Rauch. Mehr als der Schutz der Güter Die Autoren der Studie haben sieben zentrale Merkmale von Supply Chains der Zukunft identifiziert, die deutliche Auswirkungen für die Hersteller von Verpackungsmitteln mit sich bringen: erhöhte Transparenz und Reaktionsschnelligkeit, mehr Automatisierung und Kundenzentrierung, eine zunehmende Individualisierung von Lösungen sowie eine intensivere Zusammenarbeit und engere Verzahnung der Wertschöpfung. Danach schützt die Verpackung die Waren künftig nicht nur. Sie wird vielmehr zum Informationsträger und ermöglicht intelligente Prozesse. "Beim Transport hochwertiger Güter übernimmt die Verpackung der Zukunft beispielsweise mit Sensorik und Kommunikationsfähigkeit, die den Nutzer über Erschütterungen und daraus resultierende Schäden informiert, zunehmend eine aktive Gewährleistungsfunktion", erklärt Rauch. "Sie wird ihren eigenen Weg durch die Supply Chain aufzeichnen oder dokumentieren und autonom oder teilautonom sogar ihren Weg durch die Lieferkette steuern." Mit dieser Beurteilung fallen vor allem der Transportverpackung wichtige Funktionen im Internet der Dinge zu, in dem Geräte denken lernen und Waren ihren Weg zum Ziel selbst organisieren. Aber auch bei den bewährten, herkömmlichen Ladungsträgern tut sich einiges. Etwa bei Rollcontainern. Dort geht es im Wesentlichen darum, das Volumen bei der Leergutbeförderung zu reduzieren. K. Hartwall Oy Ab, finnischer Hersteller von mobilen Logistikeinheiten für den europäischen Einzelhandel, hat aktuell Rollcontainer entwickelt, die sich dank eines neuen Bodeneinsatzes zusammenklappen und ineinanderstellen lassen - bis zu sechs Stück passen ineinander. Einfaches Handling, flexible Zuschnitte prägen auch die Neuentwicklungen bei den Holzverpackungen. So hat die ISC Siebengebirge AG, Königswinter, für den Landund Seetransport oder den Lufttransport einen Transportbehälter für bis zu 5000 Kilogramm Zuladung mit patentiertem Stecksystem aufgelegt. Die in individueller Serienfertigung hergestellten Kistenteile für Einweg- oder Mehrwegverpackungen lassen sich platzsparend lagern, ohne Werkzeuge montieren und mit zahlreichen Optionen wie wasserresistenten Bodenuntergruppen, PE-Beuteln oder geteilten beziehungsweise stufenweise aufbaubaren Seitenwänden ordern. Automatisierungsgrad nimmt zu Weiteres zentrales Verpackungsmaterial - von der Einlagerung bis zur Transportsicherung - sind Folien. Allein bei den Transportverpackungen nehmen sie mit mehr als zehn Prozent den zweiten Platz hinter der Wellpappe ein. Mit den Folien kommt der Verpackungsmaschinenbau ins Spiel. Mit einem heimischen Produktionswert von 12,4 Milliarden Euro (2013) entfallen etwa sechs Prozent an der Gesamtproduktion des deutschen Maschinen- und Anlagenbaus auf die Verpackungsmaschinen. Hinzu kommen Komponenten und Maschinen für die Nahrungsmittel- und Getränkeindustrie. "Der Trend geht - je nach Automationsgrad der Anwender - zu kompletten Verpackungsanlagen", erklärt Danuta Kessler-Zieroth, Sprecherin des Abfüll- und Verpackungsanlagenbauers Krones AG. "Von der Palettierstation über Folienabwickler und Etikettiersysteme bis hin zu Klebe- und Umreifungssystemen: die komplette Linie möglichst aus einer Hand." Dort, wo Lagerung und Kommissionierung nicht auf vollautomatisierte Prozesse ausgelegt sind, kommen halbautomatische Foliersysteme zum Einsatz; Stretchmaschinen, die die kommissionierten oder produktreinen Paletten umwickeln. Als Alternative zu den herkömmlichen Stretchern mit Drehteller drängen zunehmend mobile Roboter und Vollautomaten in den Markt. Die Vollautomaten sind mit Drehrollenbahn oder -station mit Kettenförderer ausgestattet. Das ermöglicht eine Einbindung in kurze Förderstrecken. Die Folierung erfolgt mit einer Vorstreckvorrichtung. Wegen ihrer Flexibilität steigt gegenwärtig die Nachfrage nach mobilen Stretchsystemen. Die akkubetriebenen Roboter umfahren die auf dem Boden stehenden Paletten selbsttätig und umwickeln dabei die Ladungen spiralförmig mit Stretchfolie. "Wie weit die Automation bei Stretchmaschinen gehen soll, ist eine Glaubensfrage", erklärt Ekupac-Gesellschafter Ekart Kuhn. "Die Entscheidung wird in jedem Fall von Durchsatz und Folienpreis bestimmt." IT spielt eine immer größere Rolle Last but not least: die IT. "Ihre Rolle im Verpackungssegment wird immer wichtiger", sagt Kessler-Zieroth. Über die Kennzeichnung und Erfassung der Ladungsträger hinaus bringt die IT gegenwärtig die Pakete, Behälter und Paletten auf den richtigen Weg. Mit Funktionen für optimale Palettenpackmuster oder zur Case Calculation, mit der die Systeme die artikel- und transportgerechte Verpackung berechnen und den Kommissionierern und Packern vorgeben, bieten sie probate Instrumente zur bestmöglichen Laderaumausnutzung. "Voraussetzung dafür sind allerdings gepflegte Artikelstammdatensätze", mahnt IML-Teamleiter Lammers. Die Zukunft der Verpackung, so das Fazit, ist noch nicht geschrieben. Im Spannungsfeld zwischen Produktschutz und Ladungssicherung auf der einen und Wirtschaftlichkeit bei Versandkosten und Transportauslastung auf der anderen Seite "besteht weiterhin großer Entwicklungs- und Forschungsbedarf", so Lammers. "Ideal wären höchst flexible Zuschnitte oder gar ein bedarfsgerechtes Packaging-on-demand, mit denen sich die Verpackungsgrößen optimieren und das Verpackungsmaterial reduzieren lassen. Erste Ansätze dazu sind realisiert, aber die Anlagen sind gegenwärtig noch zu groß und zu kostspielig." Mehr zum Thema finden Sie im Dossier Verpackungen www.verkehrsrundschau.de/dossiers Wachstumsmarkt Studie: Geschäft mit Kunststoffverpackungen boomt Etwa 63 Prozent aller Massenfüllgüter werden in Kunststoffverpackungen zum Verbraucher transportiert. Das besagt die Studie "Entwicklung der Effizienz von Kunststoffverpackungen von 1991 bis 2013", die die Gesellschaft für Verpackungsmarktforschung (GVM) in diesem März veröffentlicht hat. Die jährlichen Zuwachsraten der Branche liegen demnach bei vier bis fünf Prozent. Stärkste Packmittelgruppen sind die Verpackungsfolien sowie der Bereich Becher, Dosen, Kisten, Steigen und Paletten. Mit ihnen erzielten die Produzenten nach Berechnungen der Industrievereinigung Kunststoffverpackungen (IK) mehr als 50 Prozent des Gesamtumsatzes von 13,6 Milliarden Euro (2013). Tendenz steigend. rbb

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