Lagern wie die Ameisen

Wie Ameisen mit ihrer Beute auf ihren Haufen laufen, fahren kleine Robots mit ihrer Fracht über einen Alu-Kubus. Am Ziel angekommen, verschwinden Beute und Fracht in den Tiefen der Gebilde. Was bei den Ameisen der Erhaltung der Art dient, ist im Fall der Robots ein neuartiges Lagersystem für kleine Teile. Erfunden hat das AutoStore der norwegische Hersteller Jakob Hatteland Logistics. Das System ist eine echte Alternative zu automatischen Kleinteilelagern (AKL) herkömmlicher Bauweise mit Regelbediengerät. Und das geht so: Das automatische Behälterlager besteht aus einem Lagerkubus mit Systembehältern, Bedienfahrzeugen, Steuerungssoftware und daran angebundenen Kommissionierplätzen. Die Besonderheit: das Systemlayout. Im AutoStore werden die Lagerbehälter nicht in Regalzeilen abgestellt, sondern in einem kompakten Lagerwürfel von oben in Lagerschächte eingebracht und in einzelnen Zellen übereinander gestapelt gelagert. Der Kubus besteht aus einem dreidimensionalen Aluminiumraster, das wie ein um 90 Grad nach oben gekipptes Kanallager aussieht. Kleine Bedienfahrzeuge, sogenannte Robots, übernehmen das Ein- und Auslagern. Dazu fahren sie auf Fahrschienen über den Kubus. Die ebenfalls kastenförmigen Robots werden von einem Akku angetrieben und verfügen über einen Ausleger in Kantenlänge der einzulagernden Behälter. In betriebsarmen Zeiten fahren die Robots an ihre Ladestationen am Rand des Kubus. Räder machen den Robots Beine An jeder Seite der Robots sind zwei Laufräder montiert, sodass die Geräte sich in Längs- und Querrichtung auf dem Aluraster bewegen können. So gelangen sie zu den einzelnen Schächten, um Behälter ein-, aus- oder umzulagern. Auch tranportieren sie auf diese Weise die Plastikboxen zu den Auslagerschächten für die Kommissionierplätze direkt am Fuß des Kubus. Zusätzliche Förderstrecken, die schnell zur Engstelle im Arbeitsablauf werden, sind so nicht notwendig. Wenn die Kapazität nicht mehr ausreicht können in Ausbauschritten neben weiteren Robots zusätzliche Pickstationen integriert werden. Für letztere gibt es zwei unterschiedliche Module. Den Conveyer-Port mit einer Leistung von bis zu 240 Behältern pro Stunde und den Carousel-Port für bis zu 500 Behälter pro Stunde. Erhältlich ist zudem ein Lift-Port, der die Behälter zur Kommissionierung in andere Stockwerke, weit über oder unter der Anlage, transportieren kann. Die Module kosten etwa 21.000 Euro. Die Behälter werden chaotisch eingelagert. Die Systemsteuerung weiß, welcher Behälter an welchem Platz steht und steuert die Robots für entsprechende Zugriffe per Funkverbindung. Für den Zugriff sind unter Umständen Umlagerungen notwendig - je mehr andere Behälter über dem gesuchten Behälter stehen, desto mehr müssen umgeräumt werden. "Das ist kein Problem, weil die Aufträge nach dem Systemkonzept des AutoStore in der Regel in Wellen kommissioniert werden", sagt Christoph Böing, Warehousing-Director des IT-Distributors Avnet Logistics, Poing. "Ansonsten müsste man wohl bis zu fünf Minuten auf einen Behälter warten." In Poing bei München ist eine Anlage mit 45.000 Behälterstellplätzen im Einsatz, die von 36 Robots bedient werden - "die erste Referenzanlage in Deutschland", so Böing. Mit einer Vorlaufzeit von etwa 30 Minuten vor Beginn der Kommissionierung spielt das Warehouse Management System (WMS) die Aufträge in die Anlage ein. Die Anlagensteuerung berechnet die Fahrwege und verteilt anschließend die Fahraufträge an die Robots. Diese schichten die Behälter zügig um, stellen die geforderten Boxen frei und füllen damit in der von der Systemsteuerung berechneten Reihenfolge die Schächte für die Pickstationen. ABC-Prinzip kommt von allein Interessanter Nebeneffekt: Das System lagert automatisch nach dem ABC-Prinzip - selten abgeforderte Behälter rutschen sukzessive auf die unteren Stellplätze durch, Schnellläufer bleiben auf den oberen Ebenen. "Ausgeklügelte Prozesse, die das System höchst effizient machen", urteilt Böing. "Herkömmliche AKL arbeiten nicht schneller. Die Hochverfügbarkeit und die deutlich höheren Stellplatzkapazitäten, die AutoStore auf gleichem Raum bietet, hatten uns schnell überzeugt." Im AutoStore lagern die Warenbehälter direkt aufeinander und daher dicht aneinander. Gassen für Regalbediengeräte, wie in normalen AKL, sind nicht nötig. Dadurch spart das System kostbare Lagerfläche ein. "AutoStore ermöglicht eine 60 bis 70 Prozent bessere Raumausnutzung als andere automatische Lagersysteme", urteilt Johannes Traub vom Automatisierungsspezialisten AM Automation aus Offenau nahe Heilbronn. Das modulare System lässt sich an den Anwenderbedarf anpassen und in jedem beliebigen Lager installieren. Allein die Robots setzen dem Ganzen Grenzen: Der Zugriff auf die gelagerten Behälter erfolgt über ein spezielles Zugsystem, das in den Auslegern der Robots installiert ist. Eine redundante Positionssteuerung positioniert die Robots neben dem Schacht mit dem gewünschten Lagergut. Die Greifer, mit denen die Robots die Systembehälter an ihren vier Ecken fassen, werden über Bänder in die Schächte hinabgelassen. Die Spulengrößen für die Bandaufwicklung ermöglichen eine maximale Zugrifftiefe von sechs Metern. Zuzüglich Freifläche für die Robots und Wartungseinsätze sind die Anlagen auf eine Höhe von rund 7,5 Metern beschränkt - je nach Behältergröße entspricht das 16 bis 24 Behälter übereinander. "Diese Einschränkung lässt sich bei Bedarf jedoch aufheben, indem eine Zwischenebene eingezogen wird, auf der sich dann ein weiterer Lagerkubus installieren lässt", erklärt Andreas Bücker vom Beratungs- und Planungsbüros Domnik und Bücker Logistik, Dortmund. Weitere Einschränkungen betreffen das Gewicht und die Größe der Behälter, die mit den Innenmaßen 603 Millimeter (mm) mal 403 mm mal 310 mm und 603 mm mal 403 mm mal 200 mm zur Verfügung stehen. Das auf die Tragfähigkeit der Robots ausgelegte maximale Ladungsgewicht der Behälter beträgt 30 Kilogramm. Zudem sind die Systembehälter außerhalb der Anlage kaum zu gebrauchen. Weil die Behälter in den Zellen und Schächten vom Raster des Lagerkubus fixiert werden, haben sie keine Arretierungen, die sie außerhalb des Lagers aufeinander halten. Bücker: "Sie sind nicht stapelbar und rutschen einfach weg." Gleichwohl: Ab 50 Behälterandienungen pro Stunde, so Berechnungen von AM Automation, wird der Einsatz von AutoStore unter mehreren Gesichtspunkten wirtschaftlich. Seit Traub und seine Kollegen ihre erste Anlage bei einem Automobilzulieferer installiert haben, steige bei ihnen die Nachfrage exponentiell. AKL hat das Nachsehen Einen Trend, den auch Logistikberater Bücker sieht: "In mehreren Projekten haben wir uns schnell vom klassischen AKL verabschiedet, da es bei gleicher Leistungsfähigkeit teurer und nachteiliger war als die betrachteten AutoStore-Lösungen." Innerhalb von fünf Jahren wurden bundesweit knapp 30 AutoStore-Anlagen mit Kapazitäten zwischen 5000 und knapp 170.000 Behälterstellplätzen bei Industrieunternehmen und E-Commerce-Logistikern installiert. Zum Beispiel das neue Logistikzentrum von Ludwig Meister, ein Handels- und Dienstleistungsunternehmen für Antriebstechnik. Herzstück ist eine AutoStore-Anlage mit 14 Robots und 55.000 Lagerplätzen, in denen 23.000 Behälter stehen. Die Kapazität des Systems liegt heute bei 3500 Picks am Tag. Geplant ist eine nächste Stufe, bei der durch Inbetriebnahme weiterer elf Robots die Pickleistung auf 6250 Zugriffe täglich gesteigert wird. Bei Bedarf wird das System auf 150.000 Lagerplätze mit 55.000 Behältern ausgebaut. 55 Robots sollen dann 13.750 Picks pro Tag ermöglichen. Das Vorgehen kennzeichnet einen wichtigen Systemvorteil: die mehrstufige Skalierbarkeit. Wachsen die Anforderungen an die Logistik, wird die Performance einfach durch mehr Robots oder neue Pickstationen in der Anlage erhöht oder das Auto-Store-System insgesamt erweitert. Robots rechnen sich So hat der Dortmunder Modehändler L-Shop Team seine Anlage sukzessive von 21.000 auf inzwischen 110.000 Lagerplätze erweitert. Insgesamt 182 Robots kommissionieren täglich bis zu 500.000 Textilien. Damit ist die Anlage bei L-Shop die mit den meisten Robots weltweit. "Mit dem AutoStore ist die manuelle Konsolidierung bei uns auf wenige Prozent gesunken", sagt Geschäftsführer Stefan Schenk. "Zudem können wir unser Tagesgeschäft mit mehr als 85.000 verschiedenen Artikeln nun auf einem Bruchteil der vorher notwendigen Fläche abwickeln." Etwa 25.000 Euro kosten die Robots pro Stück. Eine Investition, die sich schnell rechnet. Tatsächlich, so Vergleichsrechnungen von Logistikplaner Bücker, kann eine AutoStore-Anlage bei den Investitionskosten pro Behälterstellplatz unter denen einer vergleichbaren manuellen Fachbodenregalanlage liegen (siehe Kasten oben). "Von den Effekten bei Personalkosten und Effizienz ganz zu schweigen." Allerdings sei wichtig, projektspezifisch zu vergleichen, da es von Fall zu Fall deutliche Abweichungen geben kann. So zögen Fachbodenanlagen hinsichtlich des Lagervolumens im Höhenbereich von sieben Metern mit einem AutoStore weitgehend gleich. "Die bessere Raumhöhennutzung kompensiert den größeren Ganganteil zum Teil", so Bücker. Je nach Vergleichssituation ließen sich zudem durchaus ähnliche Amortisationszeiten erreichen. In einem anderen Beispiel betrage die Investition für eine zweigeschossige Fachbodenanlage nur etwa ein Drittel dessen, was eine vergleichbare AutoStore-Anlage kostet. Allerdings erfordere die Fachbodenanlage im Betrieb einen 50 bis 70 Prozent höheren Personalaufwand. Und: Selbst bei den AutoStore-Anlagen schwankt der Preis pro Stellplatz je nach gewünschter Lagerkapazität, Durchsatzleistung und Kommissioniergeschwindigkeit. "Von diesen drei Faktoren wird die Anzahl der Komponenten, Alugerüst, Behälteranzahl, Robots und Arbeitsplätze, bestimmt - und damit der Preis für die Anlage", so AM-Vertriebsleiter Traub. Avnet nutzt mittlerweile 16 Ports für die Kommissionierung. 3000 Lieferscheinpositionen picken die Mitarbeiter pro Tag. "Unser Fokus lag neben dem hohen Durchsatz bei der Kommissionierung möglichst ganzer Verpackungseinheiten auch auf dem Schutz, den das System bietet", erklärt Böing. "Wir haben darin neben Schnellläufern auch Artikel gelagert, die ein besonderes Handling und Diebstahlschutz erfordern." An die Behälter im geschlossenen Lagerkubus kommt von außen niemand ran. Zudem benötigt das System gegenüber der Kommissionierung aus Fachbodenregalanlagen deutlich weniger Personal. Das senkt die Betriebskosten. Im Vergleich mit einem AKL erzielt Auto-Store bei gleicher Leistung Energieeinsparungen von mehr als 95 Prozent. "In weiteren Rationalisierungsschritten lässt sich sogar der Pickprozess automatisieren", erklärt AM-Projektleiter Traub. "Wir haben dafür den BinPick-Roboter entwickelt, der an der Arbeitsstation die Kleinteile aus den Behältern pickt - die Basis für eine ganzheitliche Automationslösung mit dem AutoStore." Ganz ähnlich funktioniert die Arbeitsteilung auch in einem Ameisenhaufen - jedes Tier hat seine feste Rolle und Aufgabe. Die Ameise 2.0 arbeitet auf einem Alu-Kubus, entweder als Robot oder BinPick. Ein Video des Herstellers erklärt die Funktionsweise www.verkehrsrundschau.de/autostore

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