Fastenpflicht oder Arbeitspflicht?

Bis zu 16 Stunden täglich ohne Essen und Trinken: Gläubige Muslime fasten während des Ramadans von Sonnenaufgang bis -untergang. Mitunter führt das zu Problemen im Job, weil sie sich schlechter konzentrieren können und ihre Leistungsfähigkeit sinkt. Die Gefahr von Arbeitsunfällen steigt. Arbeitgeber sollten deshalb vorbereitet sein und mit den betroffenen Arbeitnehmern im Vorfeld Lösungen finden, um auch während der Fastenzeit vom 6. Mai bis 4. Juni 2019 einen reibungslosen Betriebsablauf sicherzustellen. Wir beantworten die sieben wichtigsten arbeitsrechtlichen Fragen. 1. Im Ramadan kollidiert das Fasten schnell mit der Arbeitspflicht. Dürfen Chefs es verbieten? Nein, das Grundgesetz garantiert die freie Religionsausübung. Das einmonatige Fasten im Ramadan ist für gläubige Muslime von großer Bedeutung. Es gehört zu den fünf Säulen des Islams. Chefs dürfen Beschäftigten das Fasten also nicht verbieten, selbst wenn die Arbeitsleistung sinkt. Arbeitgeber haben jedoch ein berechtigtes Interesse daran, dass Mitarbeiter ihrer Arbeitspflicht nachkommen und die betrieblichen Abläufe nicht gestört werden. Beide Seiten sind zur gegenseitigen Rücksichtnahme verpflichtet. 2. Wie lassen sich Konflikte vermeiden? Chefs sollten frühzeitig Gespräche mit den entsprechenden Mitarbeitern führen, um mögliche Probleme zu erkennen und die Personalplanung darauf abzustimmen. Wer im Lager schwer körperlich arbeitet oder lange Lkw fährt, ist sicher stärker betroffen als Kollegen, die im Büro sitzen. Um einem Leistungsloch entgegenzuwirken, könnten Arbeitszeiten in die frühen Morgenstunden verlegt oder der Kollege für die Nachtschicht eingeteilt werden. "Doch Arbeitgeber müssen aufpassen, dass sie einzelne Mitarbeiter nicht wegen ihrer Religion bevorzugen", warnt der Göttinger Fachanwalt für Arbeitsrecht Michael Voß. Nach dem allgemeinen Gleichbehandlungsgrundsatz dürfen flexible Arbeitszeitregelungen nicht nur für eine bestimmte Gruppe von Beschäftigten gelten. "Chefs sollten der gesamten Belegschaft entsprechende Angebote machen und bei den Kollegen um Verständnis werben", rät der Experte. Ist es organisatorisch möglich, können Muslime Schichten mit Kollegen tauschen, ihren Urlaub in die Zeit des Ramadans legen oder Überstunden abbauen. Denkbar ist auch, dass Betroffene versäumte Zeiten nacharbeiten. "Es empfiehlt sich, eine betriebliche Regelung zu Zeitarbeitskonten in Abstimmung mit dem Betriebsrat zu treffen", sagt Voß. 3. Was passiert, wenn Fastende nicht schwer körperlich arbeiten können? Hier gilt es, einen Konsens zu finden, denn die rechtliche Lage ist nicht eindeutig geklärt. Laut dem Koran gibt es zwar Ausnahmen für ältere Menschen und Beschäftigte, die schwer körperlich arbeiten. Sie können den Fastenmonat zu einem späteren Zeitpunkt nachholen. Weigert sich der Mitarbeiter, den Ramadan zu verschieben, wird es knifflig. Frühzeitige Gespräche helfen, eine Lösung zu finden. Chefs können muslimischen Angestellten während des Ramadans andere Aufgaben zuweisen. Lässt sich das im Betrieb organisieren, kann der Kollege in der Disposition oder Lagerverwaltung arbeiten. Zu starke körperliche Belastungen oder Arbeiten, die eine hohe Konzentration erfordern, wie das Bedienen von Maschinen oder das Lenken von Lkw, sollten Fastende besser nicht ausführen. Ist der Kollege geschwächt, unterlaufen ihm schneller Fehler und die Gefahr für Arbeitsunfälle steigt. "In einem solchen Fall sollte der Arbeitgeber den Beschäftigten, auch um eine etwaig eigene Haftung zu vermeiden, von der Arbeit freistellen", sagt Rechtsanwalt Voß. 4. Müssen Betriebe den Lohn weiterzahlen, wenn der Beschäftigte nicht arbeitet? "Nein, der Anspruch auf Entgelt entfällt", stellt der Fachanwalt für Arbeitsrecht klar. Generell gilt der Grundsatz: kein Geld ohne Arbeit. Solange jemand fastenbedingt nicht arbeiten kann, müssen Arbeitgeber ihm auch keinen Lohn zahlen. 5. Dürfen Mitarbeiter mit Verweis auf den Ramadan die Arbeit verweigern? Das kommt darauf an. Verweigert ein Beschäftigter aus religiösen Gründen eine Arbeitsaufgabe, zu der er vertraglich verpflichtet ist, muss er die Gründe darlegen und aufzeigen, welche Tätigkeiten er warum nicht ausüben kann. Verschließt sich der Mitarbeiter jeder Kooperation, reagieren Chefs schnell mit einer Abmahnung oder kündigen. Landet der Fall vor Gericht, findet immer eine Abwägung statt. "Die Richter prüfen die Verhältnismäßigkeit und fragen, wie viel jede Seite getan hat, um das Problem zu entschärfen", sagt Voß. Zwar kommt es immer auf den Einzelfall an, aber eine Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts (Urteil vom 24. Februar 2011, Aktenzeichen: 2 AZR 636/09) zeigt, dass tendenziell die Religionsfreiheit vorgeht. "Der Arbeitgeber muss in erster Linie versuchen, organisatorische Änderungen vorzunehmen, um die Religionsausübung zu gewährleisten", informiert der Rechtsanwalt. Er ist vorrangig verpflichtet, muslimische Mitarbeiter während des Ramadans anderweitig einzusetzen. "Ist das organisatorisch nicht möglich, sollten Chefs aber nicht gleich kündigen", sagt er. Da die Beschäftigten nur vorübergehend - für einen klar definierten Zeitraum - ihre Arbeitsleistung nicht oder teilweise nicht erbringen können, erscheint eine Kündigung oft unverhältnismäßig. Besser sei es, im Vorfeld einvernehmliche Lösungen zu finden. 6. Was können Chefs tun, wenn fastende Mitarbeiter ein wichtiges Projekt betreuen und Deadlines einzuhalten sind? Chefs sollten schon vor Beginn des Fastenmonats Gespräche mit muslimischen Kollegen führen, die wichtige Termine einhalten müssen. Schafft es der Mitarbeiter trotz des Fastens, das Projekt zu Ende zu führen, oder benötigt er Hilfe? "Solche Fragen muss der Arbeitgeber im Vorfeld klären und die Arbeit gegebenenfalls anders verteilen", sagt Rechtsanwalt Voß. Kann kein Kollege einspringen oder wegen fehlender Fachexpertise niemand die Aufgaben übernehmen, dürfen Arbeitgeber verlangen, dass der Arbeitnehmer das Fasten zu einem späteren Zeitpunkt nachholt, denn Beschäftigte müssen auch auf die betrieblichen Belange Rücksicht nehmen. "Verschließt sich der Arbeitnehmer jeder Kooperation, könnte eine Kündigung unter Umständen wirksam sein", meint Voß. 7. Was gilt für Gebetspausen im Betrieb? Für Gebete können Arbeitgeber kurze Pausen gewähren. Doch ist immer darauf zu achten, dass sie alle Beschäftigten gleichbehandeln. Wer bezahlte Kaffee- und Raucherpausen zulässt, kann Gläubigen schlecht verbieten, sich kurz zu einem Gebet zurückzuziehen. Gibt es keine tarifliche oder betriebliche Vereinbarung, sind Beschäftigte im Allgemeinen trotzdem berechtigt, ihre Arbeit kurz zu unterbrechen, um zu beten. Das Grundgesetz garantiert die Religionsfreiheit. Im Gegenzug dürfen Mitarbeiter dabei ihre vertraglichen Pflichten nicht verletzen. Wird der betriebliche Ablauf erheblich gestört, ist es nicht zulässig, den Arbeitsplatz zu verlassen, um zu beten. Bänder lassen sich nicht einfach anhalten und wer eine Maschine bedient, kann nicht schnell mal Pause machen, weil er dadurch Arbeitsprozesse lahmlegt. Gefährden Gebetspausen die Arbeitssicherheit oder den betrieblichen Frieden, müssen Arbeitgeber dies ebenfalls nicht hinnehmen. "Gläubige haben keinen Anspruch auf Sonderpausen, wenn dadurch betriebliche Störungen auftreten", sagt Voß. "Mitarbeiter können das Gebet zu den betriebsüblichen Pausen nachholen", erläutert der Rechtsanwalt. Mehr zum Thema finden Sie im Dossier Arbeitsrecht www.verkehrsrundschau.de/dossiers Der Ramadan Einen Monat fasten und betenIm Monat Ramadan wurde nach islamischer Überlieferung der Koran herabgesandt. Da der Ramadan sich nach dem Mondkalender richtet, verschiebt er sich jedes Jahr. 2019 fasten Muslime von 6. Mai bis zum 4. Juni. Von Sonnenaufgang bis -untergang sind Essen, Trinken, Rauchen und Geschlechtsverkehr verboten. Für Alte, Kranke, Schwangere und schwer körperlich arbeitende Muslime gibt es Ausnahmen von der Fastenpflicht. Das dreitägige Fest des Fastenbrechens beendet den Ramadan und ist einer der religiösen Höhepunkte im Jahr.In einigen Bundesländern gibt es Regelungen zu muslimischen Feiertagen. So müssen Muslime in Berlin, Hamburg, Bremen und Baden-Württemberg am ersten Tag des Zuckerfestes nicht arbeiten. Sie können unbezahlt freinehmen.sah

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