Brüssel. Zerknirschte Zufriedenheit prägt die Reaktionen in Brüssel auf den aktuellen Beschluss des EU-Parlaments, dass das europäische Emissionshandelssystem (ETS) für die Luftfahrt bis Anfang 2017 auf Flüge innerhalb des Europäischen Wirtschaftsraums (EU plus Norwegen, Island und Liechtenstein, EWR) beschränkt bleibt. „Die Entscheidung ist mit Bauschmerzen verbunden“, sagte Matthias Groote (SPD), Vorsitzender des Umweltausschusses im EU-Parlament.
Noch vor zwei Wochen hatte sein Ausschuss den mit den Mitgliedsstaaten ausgehandelten Kompromiss zur Weiterführung von ETS abgelehnt. Das Plenum nahm diesen Kompromiss jetzt an. Die 458 Ja-Stimmen bedeuten eine deutlichere Mehrheit, als zu erwarten war. Es gab 120 Gegenstimmen und 24 Enthaltungen. Die endgültige Zustimmung des EU-Rats gilt als sicher.
Der Beschluss sieht vor, dass ab 2017 ETS wieder in seinem vollen Umfang auf die Luftfahrt angewendet wird. Sollte sich die Internationale Zivil-Luftfahrtbehörde ICAO 2016 allerdings wie geplant auf ein weltweit gültiges System zur Verringerung der CO2-Emissionen in der Luftfahrt einigen, ist davon auszugehen, dass die EU erneut „die Uhr anhält“ (englisch: Stop the Clock) und ETS lediglich auf innereuropäische Flüge anwendet.
„Ich habe die Befürchtung, dass wir uns hier noch ein paar Mal treffen, um über Stop the Clock drei, vier und fünf zu sprechen. Das wäre nicht gut für die Glaubwürdigkeit der europäischen Umweltpolitik“, kritisierte Groote auf einer Pressekonferenz.
„Wir haben jetzt mehr CO2-Emissionen abgedeckt, als die Mitgliedsländer und die EU-Kommission wollten“, versuchte Peter Liese (CDU) als Berichterstatter des Parlaments das Positive hervorzuheben. Die EU-Mitgliedsstaaten hätten am liebsten Stop the Clock sofort bis 2020 ausgeweitet, dem Datum, an dem das ICAO-System starten soll. Die EU-Kommission hatte bis 2020 alle Flugstrecken innerhalb des europäischen Luftraums berücksichtigen wollen. Bei diesem Ansatz wären rund 40 Prozent der Emissionen berücksichtigt worden, die ETS ursprünglich hätte abdecken wollen.
„Wir Grüne haben im Plenum gegen diesen faulen Kompromiss gestimmt, da er das ETS als eigentlich sinnvolles Klimaschutzinstrument massiv schwächt“, zeigte sich der Verkehrspolitiker Michael Cramer (Grüne) enttäuscht. Als „Einknicken auf Druck von Drittländern“ bezeichnet der europäische Umweltverband Transport & Environment das Abstimmungsergebnis.
„Der Kompromiss ist ein Schritt in die richtige Richtung, in dem die Realität der internationalen Klimapolitik anerkannt wird. Konsequent ist es allerdings nicht. Der Emissionshandel für Fluggesellschaften sollte komplett ausgesetzt werden“, kommentierte der FDP-Europaabgeordnete Holger Krahmer.
Ähnlich der Verband der Europäischen Fluggesellschaften AEA: „Obwohl wir es begrüßen, dass sich das Europaparlament letztlich für einen realistischen Ansatz ausgesprochen hat, hätten wir uns eine rechtliche Planungssicherheit bis 2020 gewünscht“, sagte AEA-Geschäftsführer Athar Husain Khan.
Das europäische Emissionshandelssystem war 2012 auf die Flugfahrt ausgeweitet worden. Es bezieht in seiner ursprünglichen Form alle Flüge in ihrer gesamten Länge ein, die in EWR-Ländern starten oder landen. Das System hatte zu heftigen Protesten von Drittländern bis hin zu Handelsboykott-Drohungen geführt. Als daraufhin ICAO ankündigte, im Herbst 2013 die Einführung eines weltweit gültigen Systems zur Emissionsminderung zu beschließen, beschloss die EU, ETS für zunächst ein Jahr lediglich auf die Flüge innerhalb des EWR zu beschränken. Dieses „Stop the Clock“-Verfahren ist jetzt bis Ende 2016 ausgeweitet worden. Hätte die EU bis Ende April keinen neuen Beschluss gefasst - was jetzt aber geschehen ist -, wäre laut EU-Gesetzen ETS in seiner ursprünglichen Form wieder aktiviert geworden. (kw)