Es gilt, Mercedes zu schlagen

Herr Drees, zuletzt arbeiteten Sie als Finanzvorstand bei der von Ihrem Vater gegründeten Immobilien-Unternehmensberatung Drees & Sommer in Stuttgart. Was kann ein Nutzfahrzeughersteller wie MAN von der Immobilienwirtschaft lernen? Maximale Kundenorientierung und Umsetzungsstärke. Wenn Sie für Kunden ein komplexes Immobilienprojekt steuern, dann muss dies zu einhundert Prozent den Anforderungen der Nutzer entsprechen - und Sie müssen im vorgegebenen Zeitund Kostenrahmen das Projekt umsetzen. Kundenorientierung und Umsetzungsstärke sind deshalb zwei zentrale Fähigkeiten, die auch für MAN von hoher Bedeutung sind und in Zukunft sein werden. Zuvor haben Sie zehn Jahre bei Daimler Trucks gearbeitet. Warum der Weg zurück in die Nutzfahrzeugindustrie? In meiner Zeit bei Daimler war ich sowohl im strategischen als auch operativen Bereich tätig. Auch während meiner Zeit bei Drees & Sommer haben mich die Trucks nie ganz losgelassen. Und als ich nun von Andreas Renschler das Angebot bekam, einen globalen Champion im weltweiten Nutzfahrzeug-Geschäft mitgestalten zu dürfen, hörte sich das spannend an. MAN besitzt im Verbund mit VW, Volkswagen-Nutzfahrzeuge, MAN Latin America und Scania ein unheimliches Potenzial. Was sind die Unterschiede zwischen Daimler und MAN? Trucker sind grundsätzlich pragmatische und praktische Menschen. Im Truck-Bereich sind die Unterschiede nicht sehr groß, MAN ist vielleicht ein bisschen mittelständischer geprägt und Daimler ist derzeit sicherlich bereits globaler aufgestellt als wir. Derzeit herrscht bei einigen Ihrer Kunden Verunsicherung. Ihre Verkäufer werden nach der Meldung über die Auflösung der Dachgesellschaft MAN SE mit der Frage konfrontiert, ob MAN nun völlig zerschlagen wird. Gibt es MAN noch? Ja, natürlich. Es ist eigentlich auch nicht viel passiert. Volkswagen hat alle Nutzfahrzeugaktivitäten im Segment ab 3,5 Tonnen in einer Holding gebündelt. Diese besteht nun aus drei Säulen: MAN, Scania und MAN Latin America. Wie selbstbestimmt ist MAN in dieser neuen Holding noch? MAN ist weiterhin eigenständig. Produktion, Vertrieb und Service werden immer unabhängig bleiben. Die Zusammenarbeit mit der Holding ist von großer Bedeutung. Bei Ihrem Wettbewerber Volvo bieten die Verkäufer nach der jüngsten Umstrukturierung sowohl Volvo- aus auch Renault-Fahrzeuge an. Das werden Sie bei uns nicht erleben. Das ist nicht die Strategie der Holding. Ein Verkäufer kann nicht zwei Marken verkaufen. Aber Sie wollen doch Synergien in diesem neuen Verbund heben? Ja, natürlich. Dies ist vor allem bei den Komponenten möglich, die nicht markenrelevant sind. Scania stellt beispielsweise ein sehr gutes Getriebe in Eigenproduktion her, dies wäre ein möglicher Bereich, um Synergien zu erzeugen. Bei weiteren Komponenten wie Achsen wäre eine gemeinsame Entwicklungs- und Einkaufsstrategie denkbar. Wo unterscheiden sich heute hauptsächlich die MAN-Trucks von den Scania-Lkw? MAN deckt die komplette Palette der N3- und M3-Fahrzeuge ab, Scania steigt erst ab 16 Tonnen ein. Wir können Kunden also eine breitere Produktpalette bieten, das gibt uns Wettbewerbsvorteile. Im Fernverkehr stehen wir im Wettbewerb zueinander. Unser Fahrerhaus ist immer noch Benchmark, vor allem mit Blick auf den Komfort für den Fahrer. Wird das in Zukunft so bleiben? Auf jeden Fall. Wir wollen es wissen. MAN und Scania sind beides sehr innovative Unternehmen, die Kunden und Märkte aus dem Effeff kennen und die Entwicklungen der Nutzfahrzeuge maßgeblich vorantreiben. Scania produziert nach eigenen Angaben bewusst keine kleinen Fahrzeuge, da es sich finanziell nicht lohnt. Rechnet sich für MAN dieses Segment? Es stimmt, das leichte und mittlere Segment ist kein einfacher Markt. Aber wir haben unsere Kunden auch in diesem Segment. MAN wird hier in Zukunft noch erfolgreicher agieren. MAN hat vor ein paar Wochen die Kurzarbeit im Werk München zurückgenommen. Wie stellt sich der Lkw-Markt derzeit da? Es gibt gute und schlechte Nachrichten. Der europäische Markt ist stabil. Andere Märkte wie Russland und Brasilien schwächeln sehr. Und Deutschland? Der deutsche Markt ist stabil, aber Wachstum kommt aus anderen Märkten. 2014 waren bei MAN Umsatz, Verkaufszahlen, Auftragseingang und Rendite rückläufig - wie wollen Sie das Unternehmen wieder in die Spur bringen? Wir haben diesen Juni ein neues und umfassendes Zukunftsprogramm auf den Weg gebracht. Damit werden wir sowohl unsere Marktperformance als auch unsere Kostenstruktur deutlich verbessern. Wir erreichen dies unter anderem durch die Verschlankung der Verwaltung und durch die Neuverteilung der Aufgaben innerhalb unseres Produktionsnetzwerks. Sie verlagern die Ersatzteillogistik von München nach Salzgitter. Was bedeutet das für Ihre Kunden? Wir konzentrieren die bisherigen Zentrallager in München und Steyr zukünftig am Standort Salzgitter. Diese Umstrukturierung wird für unsere Kunden nur Vorteile haben. Durch die Verringerung interner Schnittstellen im Zuge der Zusammenführung werden kürzere Lieferzeiten möglich: Das Regionallager Süd bleibt weiterhin bestehen. Damit gewährleisten wir auch in Zukunft die Nähe zu unseren Kunden und eine schnelle Ersatzteilversorgung vor Ort. Ihre Auslandsaktivitäten in Russland und Südamerika laufen nicht gut. Planen Sie daher, verstärkt in Nordamerika oder Asien aktiv zu werden? Russland befindet sich derzeit in einer schwierigen Phase, die alle Hersteller - auch die russischen - trifft. Wir sind dort aber immer noch gut positioniert. Das Gleiche gilt für Brasilien. In China sind wir mit einer Vertriebseinheit vertreten. In Indien haben wir eine Tochtergesellschaft, die Lkw für diesen Markt, aber auch für andere Schwellen- und Entwicklungsländer baut. Es stimmt: Wir sind nicht in den USA vertreten und profitieren deshalb nicht von deren momentanem Aufschwung. Der Vorteil unserer neuen Truck-Holding ist, dass wir uns verschiedene Märkte anschauen können. Aber, für die USA braucht es ein spezifisches Fahrzeug. Sie werden einen MAN aktueller Bauart nicht in Nordamerika verkaufen können. Was hat Ihnen Herr Renschler bei Ihrer Einstellung auf die Agenda gesetzt? Herr Renschler ist nicht der Typ Mensch, der einem einfach Ziele im klassischen Sinne aufschreibt. Er ist jemand, der Verantwortlichkeit einfordert und Vertrauen mitbringt. Er erwartet, dass man sich selbst ein Bild macht von dem, was notwendig ist. Natürlich hat er klar formuliert, dass ich MAN zu einer Säule in der neuen Truck-Holding aufbaue und die Profitabilität steigere. Grundsätzlich denken Herr Renschler und ich in die gleiche Richtung, was die Holding angeht. Gibt es etwas, dass Sie bei Daimler gelernt haben und jetzt bei MAN einbringen? Eines meiner Projekte damals war das Mitgestalten einer neuen Truck-Organisation. Da habe ich gelernt, wie weit Zusammenarbeit zwischen Marken gehen kann, aber auch, wo es besser ist, getrennte Wege zu gehen. In diesem Punkt sind Herr Renschler, die Kollegen von Scania und ich hundertprozentig auf der gleichen Linie. Wir wollen zwar Synergien schaffen, aber am Markt brauchen wir die eigenen Marken. Hier haben wir bei Daimler gelernt, was gut war und was wir vielleicht anders hätten machen müssen. Wie unterscheidet sich die Wahrnehmung der Marken Scania und MAN? Hier ist die Frage, wie positioniert sich ein Unternehmen im Wettbewerb. Scania ist sehr stark gegen Volvo Trucks positioniert und wir positionieren uns gegen Mercedes-Benz. Das ist unser Hauptwettbewerber, den es zu schlagen gilt. In Brasilien hat es mein Kollege Roberto Cortes schon geschafft. Über was haben Sie als Erstes mit Ihrem Scania-Vorstandskollegen Per Hallberg gesprochen? Wir haben diskutiert, wie wir das Getriebe optimieren können. Ansonsten schauen wir im Moment, wo wir voneinander lernen können. Herr Hallberg ist ein Kollege, mit dem ich gut und lösungsorientiert zusammenarbeiten kann. In welche Bereiche will MAN in den kommenden Jahren investieren? Ein großes Thema sind Service- und Produktentwicklung. Wir müssen unsere Fahrzeuge kontinuierlich modernisieren und unseren Service verbessern. Dabei stehen mit Bezug aufs Produkt besonders die Themen Antriebsstrang und Verbrauch im Fokus. Zudem wollen wir unsere Motorenpalette vervollständigen und entwickeln derzeit weitere Produkte. Andere für uns wichtige Themen sind der Komfort für den Fahrer, Kommunikation und Connectivity. Welche Rolle spielt für Sie das autonome Fahren, das von Daimler öffentlichkeitswirksam vorgestellt wurde? Ich finde die Diskussion sehr interessant. Technisch werden vollautonom fahrende Lkw künftig möglich sein. Alleine aus versicherungstechnischen Gründen glaube ich aber, dass es ein vollständig autonomes Fahren nie wirklich geben wird. Ein sehr weit unterstütztes Fahren, das teilautonome Fahren, wird es aber sicher geben. Welches sind aus Ihrer Sicht die wichtigsten Entscheidungsgründe eines Spediteurs für einen Lkw? Das hat sich über die letzten Jahre verändert. Früher war das Image einer der wichtigsten Treiber. Heute stehen für den Spediteur Themen wie Service, Betriebskosten, Zuverlässigkeit und Qualität ganz oben auf der Liste. Der Kaufpreis selbst ist nicht so entscheidend, er wird nur als ein Teil der Total Cost of Ownership gesehen. Das Image ist heute eher auf der Fahrerseite wichtig und nicht für den Betreiber. Ob G7, EU-Kommission oder Lkw-Maut. CO2 ist überall ein Thema. Wie geht MAN damit um? Es gibt zwei Antworten auf Ihre Frage: Zum Ersten verbessern wir ständig die Effizienz unserer Fahrzeuge, ihren Kraftstoffverbrauch, das schlägt sich eins-zueins in den CO2-Emissionen nieder. Das ist der große Treiber im Nutzfahrzeuggeschäft. Das müssen wir machen, wenn wir Erfolg haben wollen. Und darin sind wir gut - bestes Beispiel sind unsere Efficient Line 2 und unsere neuen Euro-VIc-Motoren werden ebenfalls effizienter sein. Zum anderen erwarten wir von der EU-Kommission eine CO2-Regulierung schwerer Nutzfahrzeuge, die für Transparenz sorgt. Da arbeiten wir eng mit der Kommission und den anderen Stakeholdern zusammen. Unabhängig von der CO2-Regulierung werden es alternative Antriebe und Kraftstoffe auf den Markt schaffen. Gas wird ein großes Thema. Vollelektrische Lkw sehe ich vorerst nicht. An dem Thema Hybrid forschen wir aktiv. Eine entscheidende Frage sind die richtigen Batteriesysteme. Wann kommt der erste Serienhybrid? Im Bus-Bereich haben wir schon Hybrid-Fahrzeuge in Serie. Ich sehe die ersten Fahrzeuge im Lkw-Segment 2020 auf der Straße. Wie viel Spritersparnis lässt sich aus dem normalen Dieselmotor noch herausholen? Unsere Ingenieure haben immer wieder Ideen, die den Verbrauch senken, aber die Schritte werden kleiner. Beispiele sind leichter laufende Achsen oder das Ersetzen der Spiegel durch Kamerasysteme, um die Aerodynamik zu verbessern. Vielversprechender als die Einzeloptimierung der ziehenden Einheit ist die Zusammenarbeit mit allen anderen Beteiligten wie Auflieger- und Reifenherstellern, Infrastrukturbetreibern und so weiter. Das Thema CO2-Optimierung können und müssen wir nur gemeinsam angehen. Welche Rolle spielen in diesem Zusammenhang die verlängerten Fahrerhäuser und Heckklappen am Trailer? Damit lässt sich der Luftwiderstandswert sicher spürbar senken. Die Frage ist aber: Lässt sich das ökonomisch überhaupt darstellen? Es geht bei den neuen Fahrerhäusern um ein Gesamtkonzept, nicht nur um Aerodynamik. Bleiben als Chance für die Umwelt noch Gasantriebe, sei es verflüssigt, also LNG, oder komprimiert, als CNG. In Südamerika beispielsweise oder auch bei uns in Bussen ist das Thema schon sehr weit verbreitet. Für den Fernverkehrs-Truck kämpfen wir mit dem klassischen Henne-Ei-Problem: Wir brauchen mindestens eine europaweite Infrastruktur an Gastankstellen. Da passiert schon viel, aber noch nicht genug, dass unsere Kunden sich sicher fühlen, überall in der EU ihre Fahrzeuge mit dem passenden Gas betanken zu können. Vita Joachim Drees Joachim Drees, geboren 1964 in Düsseldorf, ist seit April 2015 Vorsitzender des Vorstands der MAN Truck & Bus AG, München. Zugleich ist Drees Teilhaber der Immobilien-Unternehmensberatung Drees & Sommer, die 1970 von seinem Vater gegründet wurde und rund 2000 Mitarbeiter beschäftigt. Von 2012 bis 2015 war er Finanzvorstand des Stuttgarter Unternehmens. Erfahrungen mit der Nutzfahrzeugindustrie sammelte Drees von 1996 bis 2006 bei Daimler Trucks und Mercerdes-Benz Lkw. In dieser Zeit arbeitete er drei Jahre mit dem heutigen VW-Nutzfahrzeugvorstand Andreas Renschler zusammen. Drees war unter anderem kaufmännischer Leiter des Geschäftsbereichs Getriebe Gaggenau und Leiter Nutzfahrzeugcontrolling. Er studierte Betriebswirtschaftslehre an der Universität Stuttgart und machte einen MBA an der Portland State University (USA). Nach seinem Studium war er in verschiedenen Managementberatungen und der Treuhandanstalt Berlin tätig. ak/sv Unternehmen MAN und der VW-Konzern Am 21. Juni 1915 wurde die"Lastwagenwerke M.A.N.-Saurer" ins Handelsregister der Stadt Nürnberg eingetragen. Ziemlich genau hundert Jahre später verliert der Münchner Nutzfahrzeughersteller MAN endgültig seine Selbstständigkeit. Die Holding MAN SE wird aufgelöst und die Sparte MAN Truck & Bus wird Teil eines neu geschaffenen Nutzfahrzeugbereichs innerhalb des Volkswagen-Konzerns. Unter Führung des ehemaligen Daimler-Trucks-Chefs Andreas Renschler soll aus den Marken MAN, VW und Scania ein global tätiger Anbieter für leichte, mittlere und schwere Lkw sowie Busse entstehen. Für den Bereich MAN arbeiten weltweit derzeit 36.450 Mitarbeiter. Am 24. Juni kündigte das Münchner Unternehmen an, die Produktion in den Werken München, Steyr, Krakau und Salzgitter neu zu ordnen und 1800 Stellen einzusparen. ak/sv

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