Einigung ohne echte Einheit

Beim Brenner-Gipfel im norditalienischen Bozen haben die Teilnehmer sich erneut zur weiteren Verlagerung von Gütern auf die Schiene bekannt. Politikvertreter aus Deutschland, Österreich und Italien unterzeichneten nach mehrstündigen Gesprächen eine entsprechende Absichtserklärung zu weiteren Maßnahmen und sprachen von einem erfolgreichen Treffen. Das Lächeln des gastgebenden Südtiroler Landeshauptmanns Arno Kompatscher (SVP) konnte aber nicht davon ablenken, dass sich einige Länder weiter voneinander entfernt haben und eine einfache Lösung des Problems nicht in Sicht ist. Tirols Landeshauptmann Günther Platter (ÖVP) verweigerte nämlich seine Unterschrift unter der Absichtserklärung von Bozen. Das sorgte für Verstimmung, insbesondere auf deutscher Seite. Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer (CSU) warf Platter schlechten Stil vor. Ihm sei schon länger bekannt, dass dieser den Brenner-Gipfel als Plattform ausnütze und den vereinbarten Aktionsplan nicht unterzeichne, teilte Scheuer mit. "Darum habe ich bereits im Vorfeld abgesagt. Die deutsche Seite ist immer gesprächsbereit und lösungsorientiert. Das platte Verhalten blockiert uns im gemeinsamen Prozess." Deutschland klagt vor dem EuGH Für Scheuer nahm aber sein Parlamentarischer Staatssekretär Steffen Bilger (CDU) teil, neben ihm war Bayerns Verkehrsministerin Ilse Aigner (CSU) dabei. Scheuer hatte seine Teilnahme kurz zuvor abgesagt, da Platter an den umstrittenen Blockabfertigungen von Lastwagen bei der Einreise aus Deutschland festhält, um die eigene Autobahn zu entlasten. Laut Aigner hat Deutschland mittlerweile eine Klage beim Europäischen Gerichtshof (EuGH) gegen die Blockabfertigung eingebracht. Platter wiederum knüpfte die Unterzeichnung des gemeinsamen Papiers an ein von ihm kurzfristig eingebrachtes Zusatzprotokoll, das unter anderem ein Bekenntnis der Teilnehmer zu einer Lkw-Obergrenze in Tirol, einem Transitverbot auf Staatsstraßen und einer einheitlichen Korridormaut von München bis Verona mit einer Anhebung der Gebühren sowie eine Akzeptanz der Blockabfertigungen bei Kufstein enthielt. Dem Zusatzprotokoll schlossen sich Österreich, Südtirol und Trentino an, nicht aber Bayern und Deutschland. Das gemeinsame Maßnahmenpapier aktualisiert eine Vereinbarung von 2009 und beinhalte nichts Neues, kritisierte Platter. Alte Pläne in neuem Gewand Nach Teilnehmerangaben enthält es im Wesentlichen Absichtserklärungen zur Entwicklung der Brenner-Achse, darunter Dutzende Maßnahmen zum Ausbau und zur Verlagerung der Gütertransporte auf die Schiene. Unter anderem sollen die Bahnsysteme auf der Strecke von München nach Verona technisch harmonisiert und die Arbeiten am Brenner-Basistunnel und seinen Zuläufen vorangetrieben werden - vielfach sind dies Fortschreibungen bisheriger Vereinbarungen. Scheuer fordert eine Förderung für Güterverkehrsunternehmen, die auf die Schiene umsteigen. Die Delegation aus Deutschland mit Bilger und Aigner an der Spitze beschrieb den Verkehrsgipfel nach Angaben des Gastgebers als wichtiges Update für mehr Güterverkehr auf der Schiene sowie den Brenner-Aktionsplan, will eine Annäherung der Lkw-Maut entlang des Brenner-Korridors prüfen und sprach sich für eine Halbierung der Trassenpreise für den Schienentransport aus. Die Eisenbahninfrastrukturbetreiber - Deutsche Bahn, Österreichische Bundesbahnen und Rete Ferroviaria Italiana - versprachen, besser zusammenzuarbeiten und kurzfristig zusätzliche Umschlagkapazitäten in Güterterminals zu schaffen und mittelfristig mehr Terminals für den Containerverkehr im Brenner-Korridor zu bauen. RoLa soll kurzfristig Entlastung bringen Wie beim ersten Brenner-Gipfel im Februar in München vereinbart, hat Bayern inzwischen als kurzfristige Lösung die Rollende Landstraße (RoLa) reaktiviert, bei der Lkw auf Zügen transportiert werden. Das Terminal in Regensburg für die Verladung Richtung Italien stehe zur Verfügung, sagte Aigner. Die RoLa sei aber nur eine Zwischenlösung, weil die Bahnverladung ganzer Lkw auf die RoLa praktisch keinen Effekt für die langfristige Güterverlagerung auf die Schiene habe. Es mangele an Spezial-Niederflurwagen. Zudem werde keine Kostendeckung erreicht. Bayern favorisiere deshalb den Transport der Sattelauflieger ohne Lkw-Zugmaschine. Bisher seien aber 95 Prozent der Sattelauflieger nicht kranbar, sagte Aigner. Die Umschlagplatte Nikrasa soll dieses Problem lösen. "Sie ermöglicht einen einfachen und kostengünstigen Wechsel auf die Schiene - ohne Spezialwaggons und an jedem Terminal", erläuterte Bayerns Verkehrsministerin. Damit würden nichtkranbare Sattelauflieger in den unbegleiteten Kombinierten Verkehr gebracht und die Quote von 5 Prozent auf nahezu 100 Prozent erhöht. Sie appellierte an die Teilnehmer des Gipfels in Bozen, an dem Projekt grenzüberschreitend zusammenzuarbeiten. Tirol plant mehr Blockabfertigungen Aigners Vorschlag, das seit 1989 bestehende Nachtfahrverbot für Lkw in Tirol zu lockern, fand beim Brenner-Gipfel in Bozen keinen Anklang. Im Gegenteil: Nach dem zweiten Krisentreffen will Tirol die Maßnahmen gegen die Verkehrsbelastungen durch den Lkw-Transit verschärfen. Der Tiroler Landeshauptmann Platter legte danach entsprechende Pläne vor. "Die fehlende Zustimmung von Deutschland und Italien für Schritte, die den Transit unmittelbar einbremsen, und die massiv steigenden Lkw-Durchfahrten lassen uns keine andere Wahl", betonte er. Diese geplanten Maßnahmen beziehen sich auf die Evaluierung der bisherigen Blockabfertigungen an der deutsch-österreichischen Grenze, die Untersuchung und Ausweitung des sektoralen sowie des Nacht-Fahrverbotes in Tirol und zusätzliche Lkw-Kontrollen. Platter kündigte zudem an, einen neuen Dosierkalender am 15. August zu präsentieren: "Wir haben derzeit eine 20-prozentige Steigerung des Transitverkehrs - mit diesen Zahlen der letzten Monate werden wir die weiteren Blockabfertigungs-Termine bestimmen", sagte der Landeshauptmann. Er rechnet mit zusätzlichen Dosiertagen im kommenden Jahr (siehe Kasten). Das sektorale und das Nacht-Fahrverbot will Tirol auf Euro 6-Lkw ausweiten und Ziel- und Quellverkehr vom Nachtfahrverbot ausnehmen: "Damit wird auch die heimische Wirtschaft nicht belastet, sondern entlastet", sagte Platter. Mehr zum Thema finden Sie im Dossier "Alpentransit" www.verkehrsrundschau.de/dossiers Blockabfertigung 2019 soll 2018 noch übertreffen Tirol hat Mitte März bekannt gegeben, den Lkw-Transit im Jahr 2018 an mindestens weiteren 25 verkehrsreichen Tagen auf der Inntalautobahn bei Kufstein-Nord dosieren zu wollen. Dabei werden nur 250 bis 300 Lastwagen pro Stunde über den Grenzübergang gelassen, um den Verkehr auf den viel befahrenen Transitstrecken zu begrenzen. Für 2019 ist ein neuer Dosierkalender mit mehr Terminen für Blockabfertigungen geplant. An Wochenenden in den Sommerferien will Tirol den Transitverkehr zum Beispiel weiter ausbremsen. Die Lkw sollen im Juli und August zusätzlich zum gesetzlichen Sonntagsfahrverbot nun auch an Samstagen an der italienisch-österreichischen Grenze zurückgehalten werden. ag

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