Eine große Stütze für Logistiker

Rückenbeschwerden gelten seit jeher als Volkskrankheit, sei es bei "Schreibtischtätern" oder Mitarbeitern, die körperliche Arbeit verrichten. Klar, dass Unternehmen in Industrie und Logistik, neue Lösungen austarieren, um ihren Mitarbeitern den Arbeitsalltag etwas weniger anstrengend und gesundheitserhaltend zu gestalten. Exoskelette, am Körper getragene Hebehilfen, die den Rücken oder Schultern und Arme unterstützen, sind junge Hilfsmittel. Bisher haben erst wenige Produkte die Marktreife erreicht. Das niederländische Unternehmen Laevo etwa hat ein passives Exoskelett entwickelt, das den Rücken bei Hebe- und Tragetätigkeiten durch ein Federsystem stützt: Beugt sich der Mitarbeiter nach vorn, baut eine Feder ein Gegengewicht auf, sodass sich die Belastung um 40 Prozent reduziert. Laevo hat seine Lösung bereits bei einigen Unternehmen untergebracht, eines davon ist Geodis, die Transport- und Logistiktochter der französischen SNCF-Gruppe. Einige Mitarbeiter am niederländischen Logistikstandort Venlo arbeiten bereits mit dem Laevo-Exoskelett. Und sind nach Angaben von Bernhard Heimann, Director Operations Germany bei Geodis, zufrieden: "Nach der Einführungsphase berichten die meisten unserer Mitarbeiter, dass sie sich nach ihrem Arbeitstag fitter fühlen." Die Exoskelette werden von Mitarbeitern genutzt, die häufig schwer heben und tragen müssen, beispielsweise Umkartons aus der Konsumgüterindustrie oder Industriegüter. Das 2,3 Kilogramm leichte Exoskelett könne problemlos über die komplette Schicht hinweg getragen werden und sei ohne großen Aufwand an- und auszuziehen, berichtet der Geodis-Mananger, der die Lösung auch hierzulande gerne adaptieren würde. "Nach den positiven Erfahrungen der Kollegen in den Niederlanden identifizieren wir derzeit auch in Deutschland geeignete Standorte und prüfen diese auf Erfolg versprechende Einsatzmöglichkeiten", sagt er. Insbesondere bei der Kommissionierung für FMCG-Kunden biete sich der Einsatz von Exoskeletten an, da hier große Volumen während des Arbeitstages bewegt werden müssten. Nachdem passive Exoskelette bereits in Industrie und Logistik zu finden sind, sind aktive Exoskelette, also Lösungen, in denen Motoren und Sensoren die Bewegungen unterstützen, vom breiten Einsatz in der Praxis noch ein ganzes Stück entfernt. Geforscht wurde zuletzt aber intensiv: Im Rahmen eines Ende 2016 abgeschlossenen EU-Forschungsprojekts wurde Robo-Mate entwickelt, eine Lösung, die aus mehreren miteinander kombinierbaren Modulen besteht: einem passiven, mit Federn ausgerüsteten Armmodul sowie jeweils einem aktiven Arm- und Körpermodul. Jedes Kilo zählt Die große Herausforderung war dabei das Gewicht. "Exoskelette sollten immer maßgeschneidert auf die Tätigkeit sein, alle nicht gebrauchten Funktionen und das entsprechende Gewicht können Sie sich dann sparen", erklärt Dr. Konrad Stadler von der Zürcher Hochschule für angewandte Wissenschaften (ZHAW), die das Projekt koordinierte. Jedes zusätzliche Kilo am Körper spüre der Anwender früher oder später, so der Dozent für Regelungstechnik. "Das passive Armmodul wiegt aktuell etwa 3,5 Kilogramm, dieses Gewicht wollen wir noch einmal halbieren. Dann würde das Eigengewicht von etwa eineinhalb bis zwei Kilogramm einer Unterstützung von 7,5 bis zehn Kilogramm entsprechen - unserer Ansicht nach ein für den Anwender akzeptables Ergebnis", so Stadler. Bei aktiven Exoskeletten wird es komplexer. Einerseits wollten die Forscher das Armmodul mit möglichst vielen Freiheitsgraden, also kraftunterstützenden Gelenkfunktionen, versehen. "Je mehr Motoren man jedoch einbaut, desto schwerer wird das Exoskelett", so Stadler. Das aktive Armmodul verfügt momentan über nur einen Motor und wiegt zwischen zwei und drei Kilogramm. "Auch hier wollen wir das Gewicht noch etwas reduzieren, sodass das Verhältnis zwischen Eigengewicht und Unterstützung ähnlich ausfällt wie beim passiven Modul", sagt Stadler. Das momentan zehn Kilogramm schwere Körpermodul könne das eigene Körpergewicht plus 15 Kilogramm kompensieren. Auch hier müsse noch deutlich nachjustiert werden. "Aus meiner Sicht müssten wir unter fünf Kilogramm bleiben. Das ist aber noch Zukunftsmusik", räumt der Schweizer ein. Bislang wurde Robo-Mate am Probanden nur über wenige Stunden getestet, noch keine ganze Schicht simuliert. Wichtiges Mitglied im Test-Konsortium war Autobauer Fiat, wo die Lösung an Testaufbauten eingesetzt wurde. "Obwohl unser Exoskelett vom Tragekomfort her noch nicht perfekt ist, haben wir von den Mitarbeitern, die Robo-Mate in dieser Laborumgebung getestet haben, gutes Feedback bekommen", berichtet Stadler. Es wird weitergeforscht Bis aktive Exoskelette im großen Stil zur Marktreife und zum Einsatz in Produktion und auch Logistik gelangen werden, wird es allerdings noch dauern. Momentan gebe es Stadler zufolge nicht nur in Sachen Eigengewicht, sondern auch was Sicherheitsaspekte angeht, noch einiges zu tun. "Wir stellen uns diesen Problemen, indem wir auch in Zukunft diese Laboruntersuchungen fortführen", so Stadler. Derweil wurde in Augsburg die Firma German Bionic Systems gegründet, die auf Basis dieser Forschung die Weiterentwicklung und letztendlich Vermarktung der Exoskelette in Angriff nimmt. Superkräfte à la Robocop verleihen Exoskelette nicht - und sollen sie auch gar nicht. "Durch die Nutzung erhöhen sich nicht die Tagesbelastungen der Trage- und Hebetätigkeiten, wie sie von den Berufsgenossenschaften und einschlägigen ergonomischen Richtlinien vorgegeben sind", versichert Heimann von Geodis. Dass Exoskelette nicht dazu da sind, dem Lagerarbeiter noch mehr Leistung abzuverlangen, betont auch Stadler: "Robo-Mate ist ausschließlich auf die Entlastung der Mitarbeiter ausgelegt. Wenn es zu schwer wird, müssen nach wie vor andere Hilfsmittel eingesetzt werden." Beide sind zuversichtlich, dass sich Exoskelette mittelfristig durchsetzen werden. "Exoskelette haben in Bereichen der Lagerlogistik ihre Berechtigung, wo wiederkehrende schwere Hebeaufgaben zu erledigen sind. Dementsprechend werden sich derartige Lösungen in den kommenden Jahren stark verbreiten", so Heimann. Auch Stadler ist sich sicher, dass Exoskelette in der Logistik in den nächsten Jahren ein Thema werden: "Wenn der Druck seitens des Arbeitsschutzes weiter ansteigt, gibt es an Exoskeletten eigentlich kein Vorbeikommen mehr." Mehr zum Thema im Dossier Intralogistik-Trends www.verkehrsrundschau.de/dossiers Exoskelette Lösungen für Produktion und Logistik* - Laevo: Die passive (Rücken-)Stütze des niederländischen Herstellers unterstützt Arbeiten in einer vorgebeugten Stellung und mit vielen Hebebewegungen. Durch die Struktur wird das relative Gewicht des Oberkörpers und somit die Belastung auf den unteren Rücken um 40 Prozent reduziert.- Robo-Mate: Die modular aufgebaute Exoskelett-Lösung wurde von zwölf Partnern aus sieben europäischen Ländern entwickelt, die Koordination des Projektes oblag der ZHAW in Zürich. Robo-Mate besteht derzeit aus einem aktiven Rumpfmodul, einem passiven Armmodul sowie einem aktiven Armodul. Das Start-up German Bionic Systems arbeitet an der Vermarktung.- Chairless Chair: Das unter anderem bei Audi in der Produktion eingesetzte Exoskelett des Schweizer Unternehmens Noonee wird mit Gurten an Hüfte, Knien und Knöcheln des Mitarbeiters befestigt. Chairless Chair soll Stühle und Hocker, die in der Produktion in manchen Bandabschnitten als kurzzeitige Hilfsmittel dienen, ersetzen. mh*Auswahl

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