E-Frachtbrief nimmt langsam Fahrt auf

Die Nachricht kam Anfang des Jahres aus Südeuropa. Zwischen Spanien und Frankreich, genauer zwischen Huelva und Perpignan, fand laut der Internationalen Road Transport Union (IRU) erstmals eine grenzüberschreitende Fahrt eines Lkw statt, der einen digitalen Frachtbrief benutzte. "Das zeigt, dass das System funktioniert", jubelte IRU. Und Joaquín del Moral, Generaldirektor im spanischen Verkehrsministerium, fügte stolz hinzu: "Als eines der ersten Länder, das das E-CMR-Protokoll ratifiziert hat, unterstützt Spanien die Einführung des elektronischen Frachtbriefs. Er ist die Zukunft der Logistik." So sahen es wohl auch schon die Beteiligten, die 2008 den E-CMR aus der Taufe hoben. Damals einigten sich die Mitglieder der Wirtschaftskommission für Europa der Vereinten Nationen (UNECE) darauf, den elektronischen Frachtbrief als Ergänzung der seit 1956 gültigen "Internationalen Vereinbarung über Beförderungsverträge auf Straßen" (CMR) in Papierform einzuführen. Oder anders ausgedrückt: die Möglichkeit, statt des herkömmlichen CMR-Frachtbriefs auf Papier einen digitalen CMR-Frachtbrief zu benutzen. 2011 traten die Bestimmungen dieses UN-Zusatzprotokolls in Kraft. Eine Erfolgsgeschichte wurde die des E-CMR allerdings nicht. Erst elf europäische Länder haben das Protokoll von 2008 ratifiziert (siehe Kasten). Deutschland gehört bisher nicht dazu. Road Alliance setzt sich für E-CMR ein Trotzdem scheint jetzt Bewegung in die Sache zu kommen. Der Test an der spanisch-französischen Grenze ist nur ein Hinweis darauf. Im Oktober 2016 einigten sich die Niederlande, Belgien und Luxemburg darauf, den E-CMR im Benelux-Raum zu nutzen. An den Vorbereitungen dazu, sowohl bei der Technik als auch bei der Anpassung von Gesetzestexten, arbeiten die drei Länder noch. Die im Januar dieses Jahres in Paris von den Verkehrsministern aus Österreich, Belgien, Dänemark, Frankreich, Deutschland, Italien, Luxemburg, Norwegen und Schweden gegründete "Road Alliance" fordert die rasche Ratifizierung des E-CMR-Protokolls, damit der E-CMR möglichst flächendeckend bald eingesetzt werden kann. Beim Digital Transport and Logistics Forum (DTLF), der Expertengruppe, die von der EU-Kommission im Juni 2015 zur Vorbereitung auf die Umstellung auf eine digitalisierte Verkehrswelt eingesetzt worden ist, beschäftigt sich eine der vier Untergruppen mit der Digitalisierung der Transportdokumente. Der E-CMR gewinnt dort immer mehr an Bedeutung. "Am 26. April fand die 5. DTLF-Plenarsitzung statt", berichtet Stuart Coley vom Brüsseler IRU-Büro. "E-CMR war das Hauptthema der Debatte", fügt er hinzu. Die an dem Forum beteiligten Organisationen, Verbände und Unternehmen aus dem Straßengüterverkehr hätten großes Interesse daran gezeigt. Das bestätigt ein Sprecher der EU-Kommission: Die Digitalisierung von Transportdokumenten habe zurzeit Priorität beim DTLF. Vergangenes Jahr habe die Gruppe eine Umfrage unter den Behörden der EU-Mitgliedsländer durchgeführt, um nach dem Stand der Dinge beim E-CMR zu fragen. Anfang April seien zwei öffentliche Online-Umfragen gestartet worden, um Meinungen und Erfahrungen der Nutzer des Dokuments zu bekommen. In den für Ende Mai angekündigten Initiativen für den Straßengüterverkehr werde die EU-Kommission einen Vorschlag unterbreiten, der die Einführung des E-CMR erleichtern könnte. Die Ergebnisse der DTLF-Expertengruppe würden natürlich von der EU-Kommission aufgegriffen. Vielleicht noch in diesem Jahr, spätestens 2018 wolle sie selbst eine öffentliche Befragung zum Thema E-CMR starten. Die Ergebnisse könnten Einfluss auf eine mögliche Gesetzgebung haben. Digitalisierung würde viel vereinfachen Grund für das große Interesse am E-CMR sind die Vorteile, die sich viele von der Digitalisierung des Frachtbriefs versprechen. Der niederländische Unternehmerverband für Transport und Logistik (TLN) rechnet damit, dass die Einführung des E-CMR allein in den Benelux-Staaten Einsparungen von jährlich 180 Millionen Euro für niederländische Unternehmen bedeuten würde. Auch der internationale Dachverband der Straßentransport-Organisationen IRU spricht von niedrigeren Kosten: Drei- bis viermal billiger als heute würde die Abfertigung durch die Verwendung eines elektronischen Frachtbriefs als mit einem CMR auf Papier. Kopieren, faxen, Archivierung wären Vergangenheit. Alle Vorgänge würden transparenter - und damit leichter und schneller zu verfolgen und zu kontrollieren. Aus Fahrersicht sieht auch Udo Skoppeck, Vorsitzender des Vereins "Allianz im deutschen Transportwesen", nur Vorteile im E-CMR. Allerdings fordert er einen E-CMR, der noch mehr sein soll als der reine digitale Ersatz des bisherigen Frachtbriefs auf Papier. Vielmehr sollte bei der Digitalisierung des Frachtbriefs direkt eine ganze Reihe anderer Daten miteinander vernetzt werden: Daten über die Lenkund Ruhezeiten, genauer Aufenthaltsort des Fahrzeugs, bei kühlempfindlichen Produkten zum Beispiel auch die aktuelle Liefertemperatur etc. Dadurch, so Skoppeck, ließe sich einiges "vereinfachen und sicherer gestalten: Lkwund Warendiebstahl, Missachtungen der Kabotage sowie Lenk- und Ruhezeiten sind nur einige Punkte", schrieb er schon 2015 in einem Exposé, das er den SPD-Mitgliedern im Verkehrsausschuss des deutschen Bundestages vorstellte. Die Ängste einzelner an der Lieferkette beteiligter Unternehmen, dadurch zu viele betriebsinterne Informationen an Unbefugte zu geben, dürfe kein Hindernis für die Erfassung all dieser Daten sein. "Der Anspruch auf Open-Data und ihre Verwendung in der Verkehrsplanung und für die digitalisierte Logistik ist im gewerblichen Güterkraftverkehr unverzichtbar", begründet Skoppeck. Zurückhaltung bislang in Deutschland Mit dieser Idee steht der Lkw-Fahrer aus Solingen nicht alleine. Die technische Möglichkeit, unterschiedlichste Informationen in einem künftigen elektronischen Frachtbrief zu bündeln, ist zum Beispiel auch Gegenstand einer 2016 an der schwedischen Universität Karlskrona veröffentlichten Doktorarbeit. Der Verfasser, Shoaib Bakhtyar, lässt darin keinen Zweifel an den Vorzügen, die ein solches Instrument für den Straßengüterverkehr haben würde. Doch nicht überall herrscht Begeisterung. Seit Skoppecks Exposé 2015 hat sich in der Bundespolitik nicht viel getan. Das Bundesverkehrsministerium ließ unsere Fragen zum elektronischen Frachtbrief trotz mehrmaligem Nachhaken unbeantwortet. Auch der Bundesverband Güterverkehr, Logistik und Entsorgung (BGL) gab keine zufriedenstellende Einordnung: "Leider ist bei der Thematik noch sehr viel im Fluss und es damit im Moment noch zu früh für bewertende Aussagen, zumal es dafür sehr auf die konkrete Ausgestaltung im Einzelfall ankommt", so die Antwort. Beim Deutschen Speditions- und Logistikverband (DSLV) hieß es, das Thema E-CMR sei "praktisch nicht wichtig" für die Mitglieder. Der europäische Dachverband Clecat, zu dem DSLV gehört, ist aber Mitglied in der EU-Beratergruppe Digital Transport and Logistics Forum. Mehr zum Thema finden Sie im Dossier Verkehrspolitik www.verkehrsrundschau.de/dossiers Erst elf Staaten dabei E-CMR findet bisher noch wenig Akzeptanz Erst elf der 56 Staaten des europäischen Wirtschaftsrats der Vereinten Nationen haben das Zusatzprotokoll für den elektronischen Frachtbrief E-CMR bislang ratifiziert: Bulgarien, die Tschechische Republik, Dänemark, Estland, Frankreich, Litauen, Lettland, Niederlande, Slowakei, Spanien, Schweiz. Vier weitere Länder haben das Zusatzprotokoll von 2008 unterzeichnet: Belgien, Finnland, Norwegen und Schweden. Um die E-CMR im grenzüberschreitenden Straßengüterverkehr einzusetzen, haben laut IRU-Angaben erst Spanien, Frankreich, Dänemark und die Niederlande die gesetzlichen Voraussetzungen geschaffen. kw

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