Brenner. In der ehemaligen österreichischen Grenzstation am Brennerpass wird Tiroler Trachtenmode verkauft. Auf der italienischen Seite des früher für stundenlangen Wartezeiten bekannten Grenzübergangs in den Alpen hat man die Grenz-Infrastruktur gleich ganz weggerissen und ein Outlet-Center errichtet. Möglich gemacht hat all dies das Schengen-Grenzabkommen, dass passfreies Reisen innerhalb der 26 Schengen-Staaten erlaubt.
Der Zustrom hunderttausender Flüchtlingen nach Europa stellt diese Errungenschaft wieder in Frage. Mehrere Staaten - darunter auch Österreich - beabsichtigen, wieder systematische Grenzkontrollen einzuführen. Die Bewohner südlich der Brenner-Grenze sehen diesem Rückschritt mit großer Sorge entgegen. Der Brenner müsse als Symbol für den freien Verkehr innerhalb von Europa geschützt werden, verlangt etwa Franz Kompatscher, Bürgermeister der italienischen Grenzgemeinde Brenner. „Wenn dieses Symbol stirbt, heißt dass, das Europa auch stirbt”, sagt er.
Nördlich des Brenners sieht man das ähnlich. „Das ist eine Bedrohung von Errungenschaften”, sagt die grüne Politikerin Christine Baur, die in der Tiroler Landesregierung für Flüchtlingsfragen zuständig ist. „Das macht die Menschen ärgerlich bis ängstlich.”
Transportunternehmer-Verband bezeichnet strengere Kontrollen als „absurd”
Der Großteil des Güterverkehrs zwischen Italien und dem Rest von Europa passiert dieses Nadelöhr - auf der Straße oder Schiene. Strengere Kontrollen seien „absurd”, sagte kürzlich Thomas Baumgartner, Vorsitzender des italienischen Transportunternehmer-Verbandes ANITA. „Das wäre eine Umkehr von 30 Jahren europäischer Integration.” Er warnt vor höheren Kosten und längeren Transportzeiten. Jürgen Bodenseer vom der Tiroler Handelskammer versteht diese Sorgen, betont aber: „Wir brauchen Kontrollen.”
Wie diese Entwicklung aussehen könnte, darauf gibt es schon einen Vorgeschmack: Auf österreichischer Seite wurde die Grenze vor Kurzem mit einem rot-weiß-roten Schild gekennzeichnet. „Republik Österreich - Grenzübergangsstelle” steht darauf. Daneben ein Stoppschild mit dem Zusatz „Grenzkontrolle”.
Die Reaktion der Österreicher ist nach Ansicht von Monika Weissensteiner verständlich, aber irregeleitet. Für die Alexander-Langer-Stiftung beobachtet sie seit 2014 Migrationsbewegungen am Brenner. „Flüchtlinge sind nicht das Problem, das Problem ist die Antwort Europas”, sagt sie. Die Flüchtlinge wüssten, dass Staaten in Europa sie aussperren wollten, aber das halte sie nicht von der Flucht ab. „Diese Reaktion Europas macht ihren Weg nur härter, länger, gefährlicher und teuerer.”
Zahl der Flüchtlinge am Brenner hat abgenommen
Die Zahl der Flüchtlinge am Brenner hat seit 2015 abgenommen. Sie kommen derzeit vor allem über Griechenland - und nicht mehr über Italien - nach Europa. Dies könnte sich aber wieder ändern, wenn durch Grenzschließungen an der Balkanroute die Menschen wieder nach Italien gedrängt werden. „Wenn man sich eine Landkarte ansieht, dann ist klar, dass diese Gefahr besteht”, sagt auch Bodenseer.
In den vergangenen Wochen haben täglich nur ein paar Dutzend Menschen die Grenze überquert, wie Weissensteiner sagt. Polizisten aus Deutschland, Österreich und Italien kontrollieren gemeinsam Züge in Richtung der Alpenrepublik. So wollen sie Migranten abfangen, bevor sie den Engpass Brenner erreichen.
Sie habe beobachtet, dass derzeit mehr Migranten von Österreich nach Italien einreisten, als umgekehrt. Es handle sich dabei um Menschen, denen im Norden Europas die Einreise verwehrt oder deren Asylantrag abgelehnt wurde. Sie würden ihr Glück dann weiter südlich versuchen. Seit 1. Januar seien Hunderte von italienischen Grenzschützern zurück nach Österreich geschickt worden. Bürgermeister Kompatscher bestätigt: „Es ist ein bisschen wie Ping-Pong.”
Im Bahnhof der Ortschaft Brenner warten ein paar junge Männer aus Afrika. Einer von ihnen, ein junger Mann aus Benin, springt in einen Zug in Richtung Norden. Er schließt sich in einer Zugtoilette ein. So hofft er, den Kontrollen zu entwischen. Der andere, Ibrahim (25), aus Niger hat diese Reise schon hinter sich. Er ist wieder in Italien, nachdem sein Asylantrag in Deutschland abgewiesen wurde. Für Leute wie ihn sei es viel schwieriger geworden, sagt er und rät anderen Migranten von der Reise nach Europa ab. „Ich habe einen Bruder, der jetzt in Libyen ist. Er hat mich gefragt, ob er nach Europa kommen kann”, erzählt Ibrahim. „Ich habe ihm gesagt: Nein, es ist zu schwierig, bleib dort.” (dpa)