Die neue Mehrgleisigkeit

Der Kampf um das Weihnachtsgeschäft tobt und Media Markt ist in vorderster Front dabei. Auf großen rot-weißen Plakaten wirbt die Kette derzeit mit ihrem neuen Slogan: "Wer will, der kriegt - im Markt, im Netz. Jederzeit." Das Versprechen an die Kunden: In Zukunft macht es keinen Unterschied mehr, ob im Netz oder im Laden gekauft wird. Zum neuen Angebot gehört zum Bei-spiel, dass online bestellte Ar-tikel im Markt um die Ecke abgeholt werden können. Media Markt wirbt sogar für das von anderen Händlern verteufelte sogenannte Showrooming: Die Elektronikkette fordert die Kunden explizit auf, sich die Produkte erst im Laden anzuschauen und dann im Internet zu ordern - freilich im eigenen Online-Store. Auslieferung noch am selben Tag Mit dieser Strategie ist Media-Markt nicht alleine: Viele Einzelhändler werben verstärkt um die Shopper vor den Bildschirmen. Auch beim Konkurrenten Saturn können Onlinebestellungen im Markt abgeholt werden und der Elektronikspezialist Conrad verspricht sogar, die Ware - gegen Aufpreis - noch am gleichen Tag aus der Filiale zum Kunden zu bringen. Experten bewerten das als wegweisend. "Es wird in Zukunft kaum einen Händler geben, der nur im Laden verkauft", meint Stephan Seeck, Professor an der Hochschule für Technik und Wirtschaft Berlin (HTW). Er hat im Auftrag der BVL eine Studie verfasst, die den aktuellen Trends in der Handelslogistik nachspürt (siehe Kasten unten). Ganz oben auf der Liste steht die logistische Verknüpfung von stationärem Vertrieb und Internetversand (Cross-Channel). Seeck ist überzeugt: Nur mit dieser Zweigleisigkeit kann der klassische Handel verhindern, weitere Umsatzanteile an die Netzkonkurrenz zu verlieren. In die andere Richtung wirkt der Trend allerdings nicht: Seeck erwartet, dass es auch in Zukunft reine E-Commerce-Anbieter geben wird, die ohne Filialnetz auskommen. "Noch wachsen die Online-Umsätze für die sogenannten Pure Player ausreichend stark - auch ohne stationäres Netz", erklärt der Hochschullehrer, der auch für die Unternehmensberatung 4flow tätig ist. Für die Logistikverantwortlichen bedeutet der Mehrkanalvertrieb viel Arbeit, schließlich liefen das Online- und Offline-Geschäft in der Vergangenheit überwiegend getrennt ab. Hier wurden Pakete bewegt, dort Paletten. Diese Warenströme müssen jetzt zusammengebracht werden. "Es geht darum, zu schauen, wo sich Synergien ergeben", erklärt Seeck. Bei der Buchhandelskette Thalia etwa ist der Umbau der Logistikketten schon bewältigt worden. "Wir haben das Zentrallager ausgebaut und die Zahl der sofort verfügbaren Artikel um ein Vielfaches erhöht. Es gibt einen integrierten Warenfluss für online und offline, wir trennen die Kanäle erst im Warenausgang", erklärt Christoph Maris, Leiter Supply Chain Management bei der Thalia Holding. Aber gibt es wirklich keine Alternativen zum Tanz auf allen Hochzeiten? Wohl nur in der Nische. Ein Beispiel sind sogenannte Convenience-Läden wie Tankstellen oder Kiosks. Hier kann der Kunde seine Bedürfnisse sofort und rund um die Uhr befriedigen - ein Vorteil, den Onlineshops sobald nicht bieten können. "Es ist durchaus denkbar, dass Einzelhändler vermehrt Convenience-Konzepte anbieten werden", sagt die BVL-Studie voraus. Ein weiterer Trend: mehr Tempo Ein zweiter Trend geht von den Verbrauchern aus: mehr Tempo. "Die Anforderungen der Kunden steigen an den gesamten Handel", fasst Experte Seeck zusammen. Und zwar auch an die Logistik. Ist ein Artikel nicht im Laden vorrätig, wird erwartet, dass ihn der Händler binnen kurzer Zeit beschaffen kann. Ansagen wie "Das müssen wir bestellen, kommen Sie nächste Woche vorbei" akzeptieren die Kunden nicht mehr. Sie sind es vom Online-Einkauf gewohnt, dass jedes Produkt spätestens nach zwei Tagen verfügbar ist und erwarten das gleiche Tempo vom Laden um die Ecke. Das Internet hat die Konsumenten ungeduldig gemacht. Für die Logistiker bedeutet das: Abläufe straffen, Reaktionszeiten verkürzen, Transportmengen verringern, eine engere Zusammenarbeit mit KEP-Diensten pflegen. Doch die Kunden werden nicht nur ungeduldiger, sondern auch neugieriger. Sie erwarten, dass Sortimente häufiger wechseln; in der Modebranche etwa sind mittlerweile schon bis zu zwölf Saisonzyklen üblich. Logistikdienstleister müssen sich also auf eine höhere Transportfrequenz einstellen. Hinzu kommt, dass eine breitere Produktpalette erwartet wird, was wiederum die Komplexität im Lager erhöht. Experten allerdings weisen darauf hin, dass dieser Prozess irgendwann an eine natürliche Grenze stößt. "Grundsätzlich ist die Thalia Logistik auf ein breit gefächertes, aber am Ende doch mit Maximalmaßen begrenztes Produktspektrum ausgerichtet", erklärt Supply-Chain-Manager Maris. Alles andere würde zu überproportionalen Logistikkosten führen. Innerhalb dieses Spektrums sei man sehr flexibel und könne von heute auf morgen die Produkte ändern. Leicht abgerutscht auf der Trend-Agenda der Logistiker ist das Thema grüne Logistik und Nachhaltigkeit. "Da ist keine Begeisterung drin", spürt auch Marktkenner Seeck. Mittlerweile scheut sich der Handel auch nicht, das einzuräumen. Rewe etwa musste erst kürzlich zugeben, dass die eigene Marke "Pro Planet" nicht den gewünschten Absatzerfolg gebracht habe. Es fehlt anscheinend der Druck vom Markt, sprich: vom Kunden. Es kommen zunehmend Zweifel an der Idee auf, dass die Masse der Konsumenten sich umweltbewusst verhält. Das scheint auch eine Studie der Unternehmensberatung Accenture zu bestätigen. Demnach interessieren sich nur 20 Prozent der Verbraucher hierzulande beim Kauf für Nachhaltigkeit und nur 13 Prozent informieren sich darüber, welche Folgen die Herstellung oder Nutzung eines Produkts hat. Grüne Logistik: derzeit ein Ladenhüter Grüner Konsum ist noch lange keine Massenbewegung und genau deshalb steht auch die grüne Logistik auf der Agenda des Handels ziemlich weit unten. Wer als Spediteur auf niedrige CO2-Emissionen verweisen kann, kassiert höchstens einen "grünen Bonus". Aber damit allein gewinnt man noch keine Ausschreibung. Das wird sich erst ändern, wenn die Logistikkosten eine gewisse Grenze überschreiten, glauben Experten. Derzeit zahlt der Supermarktkunde bei einem Ein-Euro-Produkt rund 20 Cent für Transport und Lagerung. Erst wenn Treibstoffkosten, (City-)Maut, Strompreise und Fahrerlöhne weiter steigen, dürfte der Handel genauer auf diesen Kostenblock schauen. Ergebnisse einer BVL-Befragung Die sechs wichtigsten Trends in der Handelslogistik - Der Umsatz im E-Commerce wächst. Zwei Drittel der Befragten sehen eine weitere Ausbreitung des Internethandels. Mehr als die Hälfte der Befragten gibt an, das Onlinegeschäft auf- oder ausbauen zu wollen.- Der Online-Einkauf via Smartphone wird sich weiter stark verbreiten.- Der Kostendruck steigt. Experten rechnen vor allem mit zusätzlicher Belastung durch Energie- und Mautkosten.- Die Anforderungen der Kunden an die Logistik steigen. Zunehmend erwartet werden hohe Termintreue, kurze Lieferzeiten und hohe Warenverfügbarkeit.- Der demografische Wandel wird stärker spürbar. Ein Viertel der Befragten erwartet, dass es aufgrund der Alterung schwieriger wird, Logistikpersonal zu beschaffen.- Nachhaltigkeit gewinnt an Bedeutung. In Lager und Transport werden ressourcenschonende Technologien wichtiger. Allerdings: Rein ökologisch motivierte Veränderungen der Logistik werden kritisch gesehen. cd

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