Berlin. Nach dem fast einwöchigen und damit längsten Streik in der Geschichte der Deutschen Bahn hat das Unternehmen die Kosten des Ausstands auf mindestens 100 Millionen Euro beziffert.
Bei längeren Arbeitskämpfen erhöhten sich die Streikkosten pro Tag, sagte DB-Finanzvorstand Richard Lutz. Ähnlich argumentierte der Deutsche Industrie- und Handelskammer (DIHK) für die Wirtschaft insgesamt. Präsident Eric Schweitzer rechnet mit Kosten von einer halben Milliarde Euro, die auch das Wirtschaftswachstum vorübergehend dämpfen würden. „Eine Gefahr für die Konjunktur ist der Streik zum Glück aber nicht“. Die Unternehmen setzten alles daran, liegengebliebene Aufträge schnell abzuarbeiten, was Überstundenzuschläge koste.
Keine Produktionsausfälle
Große Autoproduzenten wie VW, Daimler und BMW bestätigten, dass die Produktion aufrechterhalten werden konnte. Für dringend benötigte Zulieferteile griffen sie entweder auf Bahn-Konkurrenten zurück, die mittlerweile rund ein Drittel des Markts erobert haben. Zum anderen wurden auch Lkw stärker genutzt. Die Stahlbranche als größter Bahnkunde äußerte sich ähnlich: Einzelne Transporte seien über die Straße abgewickelt worden, Produktionsausfälle habe es nicht gegeben, erklärten Unternehmen wie ThyssenKrupp oder Salzgitter.
Nach dem Ende des Streiks am Sonntag waren dessen Auswirkungen im Güterverkehr noch bis Mitte der Woche zu spüren. Insgesamt seien rund zwei Drittel der Güterzüge gefahren und damit mehr als im Personenverkehr, teilte die Bahn mit.
Verhandlungen in der Sackgasse
Die Lokführergewerkschaft GDL hatte zu dem Arbeitskampf aufgerufen, weil der seit mehr als zehn Monaten laufende Tarifkonflikt mit der Bahn in einer Sackgasse steckt. Der Konzern ist zwar bereit, sowohl mit der GDL als auch mit der konkurrierenden Eisenbahn- und Verkehrsgewerkschaft (EVG) eigenständige Tarifverträge auszuhandeln. Die Bahn lehnt aber unterschiedliche Regelungen für eine Berufsgruppe ab. Die GDL sieht darin einen Eingriff in ihre Tarifautonomie. Eine Einigung ist nach wie vor nicht in Sicht. Bahnchef Rüdiger Grube wollte dem Vernehmen nach hinter den Kulissen nach neuen Lösungsmöglichkeiten suchen.
GDL-Chef Claus Weselsky bezeichnete den Ausstand als „absoluten Erfolg“ und kündigte eine „Pause“ an. Er forderte den Bund auf, seine Verantwortung als Eigentümer wahrzunehmen, zumal der Konflikt ohne das von der großen Koalition geplante Tarifeinheitsgesetz „vermutlich gar nicht erst aufgekommen“ wäre. Mit dem Gesetz, das noch vor der Sommerpause vom Bundestag beschlossen werden soll, will die Regierung den Einfluss von Spartengewerkschaften begrenzen.
In DB-Kreisen wird auch auf die laufenden Tarifverhandlungen mit der EVG verwiesen, die bis Ende Mai abgeschlossen werden sollen. Dann würden Fakten geschaffen, die Kompromissangebote an die GDL erschwerten. Jede Gewerkschaft müsste befürchten, dass ihr Ergebnis von der anderen mittels Streik überboten wird.
Ramsauer: Lokführer verbeamten
Vertreter der Regierungsparteien kommentieren den Streik zunehmend kritischer. So warf SPD-Fraktionschef Thomas Oppermann Weselsky vor, das Streikrecht aus „persönlichen Machtinteressen“ zu missbrauchen. Unionsfraktionschef Volker Kauder warnte vor Folgen für den Standort Deutschland. Der Vorsitzende des Wirtschaftsausschusses des Bundestages, Peter Ramsauer (CSU), sagte: „Der exzessive Streik der GDL ist eine ungewollte Folge der Bahnreform“. Um Arbeitskämpfe künftig zu vermeiden, sollten alle 20.000 Lokführer verbeamtet werden, meinte der frühere Bundesverkehrsminister.
Deutliche Worte kamen auch aus dem Gewerkschaftslager. „Der Horizont solcher Spartengewerkschaften ist so klein wie ihre Mitgliedschaft“, betonte der Vorsitzende der Gewerkschaft IG BCE, Michael Vassiliadis. Ein Streik, der sich gegen eine andere Gewerkschaft richte, sei ein „Spaltpilz“. (jök)